Air Baltic:"Wir müssen alle miteinander auskommen"

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Air Baltic hat den Flugplan wegen des Krieges in der Ukraine deutlich verkleinern müssen. (Foto: Air Baltic/oh)

Martin Gauss leitet seit zehn Jahren die lettische Fluggesellschaft Air Baltic. Seit Russland in der Ukraine Krieg führt, geht es bei weitem nicht mehr nur ums Geschäft.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Mit Air Baltic leitet Martin Gauss nur eine ziemlich kleine Fluggesellschaft, aber in der Flugbranche ist er trotzdem ziemlich bekannt. Jahrelang tingelte er von einer Luftfahrtmesse zur nächsten, um seine Zuhörer von den Vorzügen des Kurz- und Mittelstreckenflugzeuges Airbus A220 zu überzeugen, die seine Air Baltic in großen Mengen bestellt hat. Er ging mit einem der Flugzeuge sogar auf Asien-Tour, als sei er bei Airbus in der Verkaufsabteilung angestellt. Dabei ging es ihm auch ums Image und das Interesse möglicher Investoren für seine Airline. Aber von außen wirkte es schon manchmal so, als sei einem da der Job in der lettischen Hauptstadt Riga ein bisschen zu langweilig geworden.

Das hat sich grundlegend geändert. Gauss musste die Fluggesellschaft durch die Corona-Pandemie lenken und nebenbei die Regierung Lettlands davon überzeugen, per Kapitalerhöhung und mit 250 Millionen Euro das Überleben des Unternehmens zu sichern. Und nun der Krieg Russlands in der Ukraine, der die Fluglinien im Osten Europas wie Air Baltic besonders hart trifft.

Martin Gauss beschäftigt als Chef von Air Baltic Mitarbeiter aus Lettland, Russland und der Ukraine. (Foto: Mihkel Maripuu/imago/Scanpix)

Gauss hat einst sein Studium abgebrochen, um als Pilot bei der Deutschen BA (DBA) fliegen zu können. Schnell wurde er dort Kapitän auf der Boeing 737, und bald drängte er auch ins Management. Als der Unternehmer Hans-Rudolf Wöhrl 2003 die DBA kaufte, beteiligte sich auch Gauss mit zehn Prozent und wurde Geschäftsführer. Drei Jahre später verkauften die beiden die Gesellschaft an Air Berlin, und Gauss war ein reicher Mann. Doch die Karriere als Fluglinienchef ging damit erst los: er leitete die kleine deutsche Cirrus. Danach stieg er bei der chronisch defizitären ungarischen Staatslinie Malev ein, konnte sie aber nur noch abwickeln. Seit mehr als zehn Jahren ist er bei Air Baltic - seit zwei Jahren im Dauer-Krisenmodus.

Vor dem Krieg hat Air Baltic in der Ukraine gute Geschäfte gemacht. Sie flog von ihrem Drehkreuz in der lettischen Hauptstadt Riga unter anderem nach Lwiw, Kiew und Odessa und ließ die Passagiere an ihrer Heimatbasis umsteigen auf Verbindungen nach ganz Europa. Ende Februar, mit Beginn des Krieges war es damit vorbei. Die Ukraine macht für die lettische Airline zwar nur sieben Prozent des Umsatzes aus, aber auch im Deutschland-Geschäft und im Heimatmarkt sind die Buchungen anfangs gegenüber den internen Prognosen um rund 30 Prozent eingebrochen. "Die Leute warten erst einmal ab," sagt Gauss. Er glaubt und hofft, dass das Geschäft nicht ganz verloren ist, sondern die Fluggäste später buchen. In den vergangenen Tagen sind die Rückgänge trotz allem wieder ein bisschen kleiner geworden.

Aber Buchungskurven stehen gerade nicht im Vordergrund. Eher schon, wie es gelingen konnte, noch in den Anfangstagen des Krieges die ukrainischen Mitarbeiter auf dramatischem Wege aus Kiew herauszuholen, per Auto und mit Handy-Standleitung nach Riga, damit sich niemand verfährt. In Riga erlebt Gauss in diesen Tagen eine "extreme Solidarität, eine enge Verbundenheit" mit den Kriegsopfern. "Man spürt das jeden Tag auf der Straße", sagt Gauss. Schließlich grenzt Lettland an Russland und war Teil der Sowjetunion. Auch intern muss Air Baltic mit der Kriegsrealität fertig werden: "Wir beschäftigen Letten, Russen und Ukrainer, wir müssen alle miteinander auskommen", sagt Gauss.

Fünf Flugzeuge fliegen gerade für Eurowings

Als der Krieg begann, hat Air Baltic sofort gehandelt: "Wir waren die ersten, die nicht mehr nach Russland geflogen sind", sagt der Airline-Chef, obwohl der Luftraum noch geöffnet war. "Keiner will jetzt ein Asset in Russland haben." Dazu hat das Management entschieden, Russland dauerhaft nicht mehr anzufliegen, zumindest sind die Flüge für ein Jahr aus dem Buchungssystem gestrichen. Russland war zuletzt nur ein kleiner Markt für die lettische Fluggesellschaft, denn der russische Corona-Impfstoff Sputnik ist immer noch nicht in der Europäischen Union zugelassen, was Flugreisen auch gegen das Virus geimpfter Russen unmöglich macht. Vor Corona waren die Verbindungen deutlich enger.

Russland ist also bis auf weiteres passé, hingegen hofft Gauss, seine Maschinen so bald wie möglich wieder in die Ukraine zu schicken. "Wir könnten heute Abend fliegen", sagt er, aber natürlich wird es noch viel länger als ein paar Stunden dauern. Wenn es soweit ist, dann werde es zunächst keine Linienverbindungen, sondern "humanitäre Flüge" geben, denn Luftfahrt sei "perfekt für den Wiederaufbau".

Bis dahin müssen die Flugzeuge, die jetzt nicht in die Ukraine und nach Russland fliegen, anderswo eingesetzt werden. Fünf Jets hat die Airline mitsamt Besatzungen für den Sommer an Eurowings vermietet, knapp ein Drittel der derzeit 35 Maschinen sollen bald im Auftrag anderer Gesellschafter eingesetzt werden, denn in der jetzigen Lage ist Air Baltic für die Nachfrage im Baltikum zu groß.

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