Logistik:Symphonie der Teile

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Für die Lieferketten von Unternehmen macht es einen Unterschied, ob es stürmt, regnet oder Krankheiten ausbrechen. Spezialfirmen helfen, bei Engpässen Lösungen zu finden.

Von Helmut Martin-Jung, München

Es war alles sorgfältig geplant, wie immer, auch mit ein bisschen Puffer. Doch dann hörte es einfach nicht auf zu regnen in Thailand, und plötzlich wurden Computer-Festplatten knapp. 2011 war das, die Bauteile stiegen stark im Preis, manche Modelle waren gar nicht zu bekommen. Gut, wer da rechtzeitig im Bilde war. "Überblick", sagt Lucien Besse, "Unternehmen brauchen Überblick." Den zu verschaffen, ist das Ziel seines Start-ups Shippeo.

Das ist heute schwieriger denn je, denn die Welt ist nicht nur digital vernetzt. Auch viele Produkte könnten nicht oder nicht zu einem marktfähigen Preis hergestellt werden, wenn es nicht weltumspannende Handelsbeziehungen und Lieferketten gäbe. Doch was ist, wenn eine Lieferkette unterbrochen wird? Wenn ein Frachter einen Umweg fahren muss, weil er einem Wirbelsturm ausweicht? Wenn bei einem Zulieferer gestreikt wird? Wenn es ein Erdbeben gibt oder eine andere Naturkatastrophe, die nicht vorherzusehen war? Oder sich eine bisher unbekannte Krankheit wie Covid-19 ausbreitet und Fabriken lahmlegt?

Wer kann, sorgt rechtzeitig vor. Aber damit das funktioniert, muss man auch wissen, wo es Alternativen gibt für die Hunderte Einzelteile, aus denen zum Beispiel ein Notebook besteht oder ein Smartphone - Chips, Leiterplatten, Widerstände, Kondensatoren, Spezialglas und viele mehr. Diese Symphonie der Bauteile, sie muss nahtlos funktionieren. Und ist das Gerät zusammengebaut, muss es auch zum Hafen transportiert und in Container verladen werden. Längst ist das alles so kompliziert, dass bloß noch spezialisierte Software den Unternehmen den Überblick liefern kann, den sie brauchen.

Denn wenn alles mit allem zusammenhängt, wenn die Produktion in Europa stillsteht, weil irgendwo ein Glied der Lieferkette ausfällt, müssen die Unternehmen das möglichst früh wissen. Viele arbeiten deshalb mit Unternehmen wie Shippeo oder Blue Yonder zusammen. "Wenn ich zwei Wochen früher erfahre, dass etwas nicht termingerecht fertig wird, kann ich noch rechtzeitig reagieren", sagt Gabriel Werner, der bei Blue Yonder den Bereich Lösungsberatung leitet.

"Die Informationen sind oft auf verschiedene Töpfe verteilt."

Damit sie das leisten können, sammeln die Firmen alle Daten, die für die Lieferkette von Bedeutung sind. Das reicht von den Daten des Herstellers über die Positionsdaten auf dem Handy des Lkw-Fahrers, der die Fracht zum Hafen bringt, bis zu den Daten der Reedereien. Die können mittlerweile für jeden Container live angeben, wo sich der gerade befindet. Dazu kommen Wetterdaten, die etwa Frachtschiffe dazu veranlassen könnten, einen Umweg zu nehmen, Daten über Unruhen, Streiks oder Naturkatastrophen - kurz Daten über alle Faktoren, welche die simple Frage beeinflussen: "Wann kommt meine Lieferung bei mir an?" Aus bis zu 500 Quellen werden die Daten gesammelt, die Kunst ist es, daraus diese eine Aussage zu destillieren, die den Auftraggeber interessiert.

Seinen Kunden gehe es ähnlich wie Kunden von Online-Versendern, sagt Besse, der das Tagesgeschäft bei Shippeo verantwortet, einem französischen Start-up, das ähnlich arbeitet wie Blue Yonder. Beide Unternehmen setzen künstliche Intelligenz ein, um die Massen an Daten auszuwerten. Ihre Algorithmen und viel Rechenpower machen es möglich, aus dem Datenwust eine verlässliche Schätzung herauszufiltern. Bis vor wenigen Jahren wäre es kaum möglich gewesen, solche Systeme vernünftig zu betreiben. Es fehlten sowohl Daten als auch bezahlbare Rechen-Kapazitäten. Die neue Transparenz hilft nun den Unternehmen, rechtzeitig umzudisponieren. "Wenn es irgendwo ein Problem gibt, können Partnerfirmen gewarnt werden, um Alternativen zu finden", sagt Besse. Doch ob es auch Alternativen gibt, hängt stark von der Branche ab.

Ein Lebensmittelhändler wie Carrefour, einer der Kunden von Shippeo, kann bei verderblicher Ware keine großen Sicherheitsbestände anlegen. In der Autobranche wird zwar auch just-in-time produziert, doch weil es teuer ist, wenn die Bänder wegen Teilemangels stillstehen, halten die Firmen etwas Vorrat. Noch besser aber ist es, wenn der Engpass frühzeitig erkannt wird und alternative Quellen genutzt werden können. Nicht immer ist das einfach: Bei Hightech-und Elektronik-Teilen ist es schwierig, den Lieferanten zu wechseln, "das kann nicht mal eben umgesteuert werden", sagt Gabriel Werner. In der Elektronikbranche ist es daher üblich, sich nicht von einem Lieferanten abhängig zu machen, damit ein Problem bei einem der Zulieferer nicht gleich auf die gesamte Produktion durchschlägt.

Vor allem große Firmen, die eine weltweite Lieferkette organisieren müssen, greifen auf die Dienste der KI-Spezialisten zurück. Denn sie selbst haben oft nicht den globalen Durchblick, den sie bräuchten, um sich einverlässliches Bild der Lage zu verschaffen. "Die Informationen sind oft auf verschiedene Töpfe verteilt und nicht immer aktuell", sagt Gabriel Werner von Blue Yonder.

Die Überwachung der Lieferkette hilft aber nicht nur im Tagesgeschäft. Die Systeme lernen auch, welche Maßnahmen in einem Problemfall zum Erfolg geführt haben und welche sich als nicht hilfreich erwiesen. Sie lernen also, wie die Probleme gemanagt wurden, und helfen so den Nutzern auch langfristig. Bei einem großen europäischen Reifenhersteller beispielsweise stellte sich heraus, dass die Kunden nicht besonders loyal gegenüber der Marke waren. Hatte eine Werkstatt die Reifen dieses Herstellers gerade nicht verfügbar, ließen die Kunden auch Produkte der Konkurrenz aufziehen. Mit dem System wurde deshalb dafür gesorgt, dass immer genug Vorräte verfügbar waren - die Verkaufszahlen gingen deutlich nach oben.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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