Liechtenstein:Zwergstaat im Zwielicht

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Das Fürstentum Liechtenstein versucht, sein Image zu polieren. Ein sauberer Finanzplatz wird das Land aber nicht werden - dazu wird zu viel Schwarzgeld versteckt.

Uwe Ritzer

Entspannt schlendert Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein die hundert Meter von der Vaduzer Kathedrale St. Florin zum Parlamentsgebäude, eskortiert vom Regierungschef und dem Protokollchef. Die Herren scherzen, die Stimmung ist gelöst. Gleich wird der hochgewachsene Fürstensohn als Staatsoberhaupt das neue Sitzungsjahr des Landtages mit einer Thronrede eröffnen. Unterwegs bedrängen ihn diesmal keine deutschen Journalisten mit Kameras und unfreundlichen Fragen wie im Vorjahr. Und auch der traditionelle Gottesdienst vor der Sitzung bot dem Monarchen und der politischen Elite des Fürstentums uneingeschränkte seelische Erbauung.

Das Fürstentum Liechtenstein versucht derzeit mit aller Kraft, sein ramponiertes Image aufzupolieren. (Foto: Foto: Reuters)

Sie mussten sich keine donnernde Predigt anhören wie vor Jahresfrist, als der katholische Pfarrer Markus Kellenberger die Geldgier beim "Tanz ums Goldene Kalb" geißelte, Banker mit falschen Priestern verglich und Treuhänder ihre willfährigen Ministranten nannte. Kellenberger verschwand kurz darauf als Missionar nach Südamerika. Der Nachfolger zeigte keine Neigung, den Großmächtigen des kleinen Landes ähnlich drastisch die Leviten zu lesen. Seine Predigt war theologisch einwandfrei und politisch rein. Es hat sich eben viel getan in Liechtenstein im vergangenen Jahr.

4,7 Milliarden Franken weg

Die alpine Festung, die seit Generationen Steuerflüchtlingen aus der ganzen Welt Unterschlupf für ihr Schwarzgeld bietet, ist zwar nicht ins Wanken geraten; wohl aber hat sie tiefe Risse erhalten. Der Schaden ist durch Austrocknung entstanden. Seit am 14. Februar 2008 der Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel als einer dieser Steuerflüchtlinge aufflog, ist der Geldstrom versiegt. Ein Mitarbeiter hatte Zumwinkels Daten und die Hunderter anderer Kunden der LGT Treuhand, einer Tochter der fürstlichen Bank LGT, gestohlen und an die deutschen Behörden verkauft.

Verunsicherte Anleger räumten ihre Konten bei den 15 Liechtensteiner Banken. 4,7 Milliarden Schweizer Franken flossen binnen eines Jahres allein von den Konten der LGT in Vaduz ab. Die VP Bank muss sogar 50 Mitarbeiter entlassen. "Selbst das legal deklarierte Geld scheut Liechtenstein", sagt Heinz Frommelt, Ex-Justizminister und einer der führenden Wirtschaftsanwälte im Land. "Das ist eine Imagefrage, denn viele Anleger halten seit Zumwinkel Liechtenstein als Finanzplatz für problematisch."

Am meisten spüren dies die 400 Treuhänder, die jene anonymen Privatstiftungen verwalten, die ein probates Instrument für Steuerhinterzieher sind. Dreimal so viele Stiftungen wie sonst wurden 2008 gelöscht. Allein von Januar bis September sank ihre Zahl um knapp 1000 auf 45.900. Dass seit der medienwirksamen Hausdurchsuchung bei Zumwinkel Milliarden Euro aus Liechtenstein abgeflossen sind, wäre alleine nicht das Problem, glaubt Michael Lauber. "Schwankungen gehören zum normalen Marktgeschehen", sagt der Geschäftsführer des Liechtensteiner Bankenverbandes (LBV). Richtig schlimm trifft es die Geldhäuser aber, dass keine Neukunden mehr kommen. "Die Akquise ist aufwendiger geworden", drückt sich Lauber vorsichtig aus. "Das sorgt für Unsicherheit und hat die Diskussion über die Perspektiven des Finanzplatzes neu aufgeworfen."

Auskunft auf Verdacht

Dieser steht schlichtweg vor der Existenzfrage. Auf die gibt Erbprinz Alois im Landtag jedoch keine Antwort. Andächtig lauschen die 25 Abgeordneten seiner Thronrede. Alle müssen stehen, aber das hält man gut aus, denn Alois spricht bloß neun Minuten. Nur oberflächlich streift er das Thema, als er mahnt, "für die Zukunft des Landes wird es entscheidend sein, dass Regierung und Landtag bald die richtigen Reformen zur Neuordnung des Finanzplatzes verabschieden". Vor einer Woche war er präziser. Gemeinsam mit Noch-Regierungschef Otmar Hasler und dessen designiertem Nachfolger Klaus Tschütscher kündigte er an, sich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu beugen. Liechtenstein werde die OECD-Standards zur Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung übernehmen. Das Land sei bereit zum grenzübergreifenden Informationsaustausch.

Was heißt das? Wenn künftig eine ausländische Finanzbehörde den konkreten Verdacht hegt, dass ein Bürger des Landes Geld vor dem Fiskus in Liechtenstein versteckt, kann sie dort Amtshilfe einfordern. Die Behörden in Vaduz fragen dann bei der betreffenden Bank und gegebenenfalls auch beim Treuhänder nach, die - anders als derzeit - Auskünfte nicht mehr unter Hinweis auf das Bankgeheimnis verweigern können. Damit bricht Liechtenstein ein Tabu - aus Angst vor internationaler Ächtung, aber noch viel mehr vor den damit verbundenen Gefahren für den Wohlstand. Denn den 34.000 Einwohnern geht es so gut wie keinem anderen Volk in Europa.

Von geradezu "überlebenswichtiger Bedeutung" sei es, möglichst schnell von der Schwarzen OECD-Liste der Steueroasen gestrichen zu werden, sagt ein hohes Regierungsmitglied. Andernfalls werde man "in Zukunft einen sehr, sehr schweren Stand haben". Fast jeder der jährlich 200 Millionen Schweizer Franken Steuereinnahmen geht auf Geschäfte mit dem Ausland zurück. Banken, Treuhänder und andere Finanzdienstleister erwirtschaften zusammen zwar 29Prozent des Bruttoinlandsproduktes, aber Industrie und produzierendes Gewerbe 38,6 Prozent.

Unternehmen wie der Bohrmaschinenhersteller Hilti oder Europas größter Zahnprothesenfabrikant Ivoclar Vivadent leben vom Export. Ihre Interessenvertreter waren die ersten, die im Vaduzer Regierungspalais vorsprachen und mehr politischen Pragmatismus forderten. Es gibt Firmen, die Büros in Österreich eröffnet haben, weil die deutsche Kundschaft keine Rechnungen mehr mit Liechtensteiner Absender will. Denn die machten das Finanzamt misstrauisch.

"Mit der Zeit wurde klar, dass man den G-20-Ländern für ihren Gipfel etwas bieten muss", sagt LBV-Geschäftsführer Lauber. Die Regierungschefs wollen am 2. April in London über Repressalien gegen Steueroasen beraten. Lauber sagt, anfangs sei der Fall Zumwinkel nur ein "begrenzter Konflikt" mit Deutschland gewesen. Man war empört, dass der große Nachbar dem LGT-Datendieb Heinrich Kieber mehr als vier Millionen Euro für die Kundendaten von Zumwinkel und Co. bezahlt hat. Heute spricht übrigens in Vaduz kaum noch jemand von Kieber, den Ermittler in den USA vermuten. Statt dessen baute Amerika Druck auf. US-Regierung und Senat nahmen Steuerparadiese weltweit ins Visier.

Horrender Schaden

Man zwang die Schweizer Großbank UBS zur Herausgabe von Daten amerikanischer Steuersünder, von denen viele über die UBS ihr Geld in Liechtenstein liegen haben. "Nach der Erschütterung durch den Fall Zumwinkel und dem Druck der Amerikaner kam schließlich noch die Finanz- und die Wirtschaftskrise oben drauf", sagt Ex-Minister Frommelt. Das warf die Frage auf, ob Staaten sich mit Rettungspaketen in Gefahr bringen sollten, wenn gleichzeitig reiche Bürger unbehelligt hunderte Milliarden Euro in Festungen wie Liechtenstein bunkern. Kapital, das die eigenen Volkswirtschaften gerade jetzt gut gebrauchen könnten.

Andrea Matt plagt am Tag der Parlamentseröffnung eine ganz andere Frage. Sie hat überlegt, ob sie sich die Thronrede des Erbprinzen im Radio anhören soll. Dann aber hat sie sich doch lieber mit ihrem Laptop auf die sonnenüberflutete Terrasse ihres Hauses im Dorf Mauren gesetzt und Völkerrecht gelernt. Die Mittvierzigerin ist Grafikerin und studiert nebenher Jura. Das Studium hat sie intensiviert, seit sie Anfang Februar aus dem Parlament gewählt wurde. Vier Jahre lang hat sie dort die dreiköpfige Fraktion der rotgrünen Freien Liste (FL) angeführt und damit die Opposition gegen die 22-köpfige konservative Regierungskoalition.

Als Zumwinkel aufflog, war die FL die einzige Kraft im Fürstentum, die warnte, man könne nicht von den Steuerhinterziehern anderer Länder leben. Dafür wurde Andrea Matt als Vaterlandsverräterin beschimpft, anonym bedroht, und im Wahlkampf mit Schmähinseraten in überzogen. Seit der Wahl sitzt im Landtag noch ein FL-Abgeordneter den 24 Regierungskoalitionären gegenüber.

"Dabei gehen die jetzt von der Regierung angekündigten OECD-Standards sogar über das hinaus, was wir vor einem Jahr verlangt haben", sagt Andrea Matt und blinzelt in die Frühlingssonne. Viel schlimmer aber sei, "dass der Schaden für Liechtenstein horrend ist." Nun müsse man "nehmen, was das Ausland uns gibt, weil wir uns zu lange verweigert haben". Die Amerikaner haben das Fürstentum als erste niedergerungen. Sie zwangen ihnen ein "Tax Information Exchange Agreement" auf: Von 2010 an muss Liechtenstein US-Behörden bei der Jagd nach Steuersündern Rechtshilfe gewähren. Deutschland und andere EU-Staaten werden wohl bald folgen.

"Ein erster Schritt"

Denn kaum war die Landtagswahl vorbei ging alles sehr schnell. Die fürstliche LGT Bank nahm Abschied vom Treuhandgeschäft mit den anrüchigen Privatstiftungen, was als klares Signal der Landesherren verstanden wurde. Tags darauf wurde die Einhaltung der OECD-Standards verkündet. Globalisierungsgegner halten die Offerte für eine Mogelpackung, und auch in Berlin scheint man noch nicht so recht zu wissen, was man davon halten soll.

Andrea Matt nennt das Versprechen "einen ersten Schritt". Langfristig werde es "zu einem automatischen Informationsaustausch bei Steuerdelikten kommen", sagt sie. Ex-Minister Frommelt glaubt nicht daran, "dass das so schnell kommen wird, und wenn, dann müsste das weltweit geschehen und auch die USA müssten mitmachen". Das tun sie bislang nicht, und so rät Frommelt den Deutschen, lieber die ausgestreckte Hand zu ergreifen, "denn sie haben doch viel erreicht".

Ein sauberer Finanzplatz wird Liechtenstein so oder so noch lange nicht werden. Dazu versteckt das Fürstentum noch viel zu viel Schwarzgeld, auch aus Deutschland. Um es zu waschen, hat der Erbprinz Berlin aufgefordert, doch eine neue Amnestie zu verkünden. Man würde Alois von und zu Liechtenstein gerne fragen, ob er es sich damit vielleicht etwas einfach macht. Doch er ist nicht zu sprechen. "Keine Fragen an den Erbprinzen", herrscht ein Lakai die Journalisten an, ehe Alois den Landtag wieder verlässt. Manche Dinge ändern sich vermutlich nie in Liechtenstein.

© SZ vom 21.03.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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