Lebensversicherung:Weg damit

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Viele Menschen sorgen mit Lebensversicherungen fürs Alter vor. Beim Abschluss müssen sie belehrt werden. (Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Die Nürnberger Versicherung belehrt Kunden zum Widerspruchsrecht - diese müssen sich beeilen.

Von Anne-Christin Gröger, Köln

Zahlreiche Kunden der Nürnberger Lebensversicherung erhalten derzeit Post. In den Schreiben informiert das Unternehmen Kunden, die zwischen 1994 und 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen haben, nachträglich über das Recht, dem Vertrag zu widersprechen und bereits eingezahlte Prämien zurückzufordern. Betroffene Kunden können dem Vertrag innerhalb von 14 Tagen schriftlich widersprechen. Andere Versicherer könnten nachziehen.

Welche Verträge sind betroffen?

Fondsgebundene Lebens- und Rentenpolicen, die zwischen 1994 und 2007 nach dem so genannten Policenmodell abgeschlossen wurden. Damals war es üblich, dass Kunden beim Abschluss einer Versicherung alle wichtigen Unterlagen inklusive einer Belehrung über ihr Rücktrittsrecht erst mit Zusendung der Police erhielten - also nach Vertragsabschluss. Dann hatten sie zunächst 14 Tage, seit Ende 2004 30 Tage Zeit, um es sich anders zu überlegen und vom Vertrag zurückzutreten. Ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie galt der Vertrag in jedem Fall als abgeschlossen, unabhängig davon, ob der Kunde ordentlich über sein Recht zum Widerspruch aufgeklärt worden war oder nicht. Diese Regelung hat der Europäische Gerichtshof 2013 aufgehoben, weil sie seiner Ansicht nach europäischem Recht widerspricht. Wichtig: Kunden können auch bereits gekündigten Policen widersprechen und die Rückzahlung der Beiträge verlangen.

Was sollen Kunden jetzt tun?

Wer Post bekommen hat, dem bleibt nur noch wenig Zeit, den Vertrag zu widerrufen, wenn er mit der Renditeentwicklung der Police unzufrieden ist oder sie aus einem anderen Grund loswerden will. "Nach der erneuten Widerspruchsbelehrung sollten sich die versicherten Kunden schnell Klarheit über die eigenen Interessen verschaffen", rät Rechtsanwalt Ralf Koch von der Kanzlei Göddecke Rechtsanwälte. "Wer den Vertrag wirklich nicht mehr möchte, sollte sofort handeln und schriftlich widersprechen." Dann muss der Versicherer die bisher eingezahlten Prämien zurückerstatten. Allerdings darf das Unternehmen bei fondsgebundenen Verträgen den Kunden an etwaigen Verlusten des Fonds beteiligen.

Was steckt hinter der Aktion?

Hintergrund ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Mai 2014. Es besagt, dass Kunden von Lebensversicherern auch Jahre später noch den Vertrag widerrufen können, wenn sie beim Abschluss des Vertrags nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden sind (Az: IV ZR 76/11). Das war bei vielen Policen damals der Fall. Die Folge: Versicherte mit entsprechenden Verträgen können noch Jahre später die eingezahlten Prämien zurückfordern. Sobald der Versicherer jedoch ordnungsgemäß belehrt hat, besteht nur noch ein befristetes Widerspruchsrecht. Auch das hat der BGH entschieden (Az: IV ZR 73/13).

Deswegen erwartet Anwalt Koch, dass andere Versicherer nachziehen und ebenfalls nachträgliche Belehrungen versenden könnten.

Was will die Nürnberger erreichen?

Der Versicherer will sich mit dem Schreiben rechtlich auf die sichere Seite bringen. "Unser Unternehmen hat vom BGH bisher nur für einen Teil der zwischen Juli 1994 und Dezember 2007 abgeschlossenen Verträge bestätigt erhalten, dass die Belehrung wirksam war", sagt ein Sprecher. "Da noch Jahre vergehen können, bis der BGH über unsere restlichen Verträge erstmals befindet, haben wir uns im Interesse beider Vertragsparteien dafür entschieden, durch die Nachbelehrungsaktion eine zeitnahe Rechtssicherheit zu erreichen."

Was bedeutet das für Verbraucher?

Verbraucherschützer und Anwälte sehen eine Gelegenheit, unrentable oder teure Policen loszuwerden, ohne sie normal zu kündigen. "Bei einer Kündigung kassiert der Versicherer hohe Stornoabschläge", sagt Anwalt Koch. Kosten entstehen auch bei einer Beitragsfreistellung. Kunden bekämen häufig nur den so genannten Rückkaufswert. "Das ist oft genug nicht einmal die Summe aller eingezahlten Beiträge", sagt Koch. Bei einem Widerspruch kann für Kunden viel mehr herausspringen.

Sollten alle betroffenen Kunden ihrem Vertrag widersprechen?

Nein. Christian Biernoth von der Verbraucherzentrale Hamburg weist darauf hin, dass ein Widerspruch nicht für alle Kunden gleichermaßen sinnvoll ist. "Betroffene sollten individuell prüfen lassen, ob sich ein Widerspruch für sie ökonomisch lohnt", sagt er. Das könne der Fall sein, wenn der Kunde einen Vertrag bereits nach wenigen Jahren wieder gekündigt und nicht annähernd das ausgezahlt bekommen hat, was er eingezahlt hat. "Auch bei Verträgen, bei denen der Rückkaufswert niedriger ist als die Geldsumme, die der Kunde eingezahlt hat, kann ein Widerspruch sinnvoll sein." Entsprechende Prüfungen nehmen die Verbraucherzentralen oder spezialisierte Anwälte vor.

Darf die Nürnberger Lebensversicherung einfach nachbelehren?

Biernoth hält das Vorgehen der Nürnberger für unzulässig. "Im Gesetz steht, dass die Widerspruchsfrist erst beginnt, wenn dem Kunden der Versicherungsschein und die Unterlagen vollständig vorliegen und der Kunde bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist", sagt er. Demnach sei es gar nicht möglich, nachträglich eine neue Frist zu setzen. Dennoch sollten Verbraucher widersprechen, wenn sie den Vertrag loswerden wollen. Anwalt Koch rät Kunden, sich nicht auf die Einschätzung der Verbraucherschützer zu verlassen.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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