Ladeinfrastruktur:Stecker sucht Anschluss

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Dank staatlicher Förderung nimmt die Zahl von Elektroautos und Plug-in-Hybriden stark zu, auch das Angebot der Hersteller wächst. Der Ausbau der Ladesäulen allerdings verläuft schleppend.

Von Joachim Becker

Verkehrswende? Masterplan! Ein wenig Koordination wäre tatsächlich angebracht bei einer derart teuren Transformation. Dass alles ein bisschen anders kommt, gehört wohl zum Wesen der Planwirtschaft. Und zum Wesen einer Bundesregierung, die erst lernen musste, die Steckerautos zu lieben.

Angefangen hat alles mit dem Masterplan Energiewende 2010: Zehn Jahre später sollten eine Million Elektroautos unterwegs sein - was wohl erst 2022 erreicht wird. Dann soll es richtig losgehen: "Bis zu 14,8 Millionen batterieelektrische E-Fahrzeuge und Plug-in-Hybride könnten 2030 in Deutschland zugelassen sein", so das Reiner Lemoine Institut (RLI). Die EU-Kommission will bis dahin mindestens die doppelte Anzahl von Stromern auf Europas Straßen sehen. Auch das Ziel, den CO₂-Ausstoß von Neuwagen zu halbieren, wird ohne eine breite Elektrifizierung nicht zu schaffen sein. Steckerautos werden also Standard. Fragt sich nur, ob die Ladeinfrastruktur mithalten kann. Bis Ende des nächsten Jahres sollen 50 000 Ladepunkte zusätzlich errichtet werden (Masterplan Ladeinfrastruktur). Das würde rund 72 000 öffentlich zugängliche Zapfstellen bedeuten. Momentan sind es ungefähr die Hälfte (ohne Tesla-Supercharger).

Die Formel Laden = Tanken soll auch Langstreckenfahrer mit Benzin im Blut überzeugen

Wie man es auch zählt: Die Wachstumskurve bei den Stromern ist steiler als bei den Ladepunkten. Fast die Hälfte der E-Autobesitzer fürchtet daher einen baldigen Engpass. VDA-Präsidentin Hildegard Müller ruft bereits den Lade-Notstand aus: Um eine Million öffentlichen Ladepunkte bis 2030 zu erreichen, würden ab sofort etwa 2000 neue Zapfstellen benötigt - pro Woche. "Das ist das Zehnfache dessen, was derzeit errichtet wird", so die Verbandsoberste. Die RLI-Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums geht zwar nur noch von 440 000 bis 843 000 benötigten öffentlichen Ladepunkten aus - abhängig von der installierten Ladeinfrastruktur im privaten Bereich. Tatsächlich haben aber fast alle Beteiligten relativ spät realisiert, dass Öko-Autos nicht nur an Eigenheimen und vor dem Rathaus bestromt werden. Der Diesel-vernarrte Automobilverband, der jetzt um Hilfe ruft, hielt langstreckentaugliche Stromer mit großen Batterien lange Zeit für einen Irrweg. Vorreiter wie der Elektro-Smart und der BMW i 3 waren Stadtwägelchen mit zunächst bescheidener Reichweite und Ladeleistung. Jetzt erntet die lange auf die alte Verbrennerwelt fixierte Autolobby, was sie gesät hat.

Ganz anders Elon Musk. Schon 2006 veröffentlichte der Tesla-Gründer seinen "Geheimen Tesla Motors Masterplan". Dort kündigte er mit einem Augenzwinkern ("Sag es nicht weiter") seine Langstrecken-Stromer an - was nicht weniger größenwahnsinnig wirkte als der Plan einer exklusiven Ladeinfrastruktur: Seit 2012 entstanden zuerst an der West- und Ostküste der USA Tesla-Ladestationen mit der damals üppigen Leistung von zunächst 90 und dann 120 Kilowatt (kW). Mittlerweile gibt es weltweit 2181 Supercharger-Stationen mit bis zu 250 kW Ladeleistung - und mit bis zu 56 Ladepunkten wie im kalifornischen Firebaugh zwischen der Bay Area und Los Angeles. Kein Wunder, dass Elon Musk als Mastermind (nicht nur) der Elektromobilität gilt.

Mit rund 5000 Ladepunkten sind die Kalifornier selbst in Europa Marktführer beim Superschnellladen. Erst 2017 merkten die traditionellen Autohersteller, dass sie mit ihrer Strategie auf dem Holzweg waren. Das Ionity-Konsortium von BMW, Daimler, Ford, dem Volkswagen-Konzern und neuerdings auch Hyundai/Kia hat gerade den 300sten Ladepark mit durchschnittlich sechs Ladesäulen in Europa eröffnet, 53 weitere sind im Aufbau. Betreiber wie die niederländische Fastned haben ebenfalls ein Netzwerk von derzeit 129 Ultraschnellladern errichtet, die Stromschläge von bis zu 350 kW durch den Stecker jagen. Diese Leistung kann die Tankzeiten nahezu auf ein Niveau wie bei Flüssigkraftstoffen (plus eine kurzen Kaffeepause) reduzieren. Die Formel Laden = Tanken soll auch Langstreckenfahrer mit Benzin im Blut überzeugen.

Nicht weniger kritisch ist die Lage in vielen Ballungszentren. Berlin wurde gerade zum traurigen Beispiel für eine Verkehrswende rückwärts: Share Now hat die strombetriebenen BMW i 3 in der Hauptstadt wieder ausgemustert. Es fehlten "die nötigen Voraussetzungen, um eine elektrische Fahrzeugflotte erfolgreich betreiben zu können", so der Carsharing-Anbieter. Was vor allem fehlt, sind Ladesäulen. Berlin liegt mit 1355 öffentlichen Ladepunkten zwar auf dem ersten Platz vor München und Hamburg, doch die Stadt ist doppelt so groß wie die Isarmetropole. Im Verhältnis zu den E-Autos sind die Steckplätze in Berlin also knapp. Rechnet man die elektrischen VW-Modelle von WeShare ein (die in Weimar gemeldet sind), kommen in Berlin mehr als acht E-Autos auf einen Ladepunkt. Für das verwöhnte Carsharing-Klientel der Hauptstadt sind das schon zu viele. Dabei hat der Nachfrageschub bei E-Autos gerade erst begonnen.

Brauchen wir also einen Masterplan für Städte, wie ihn Thomas Ulbrich fordert? "Vor allem die Kommunen müssen aktiv werden und entsprechende Flächen vor Ort ausweisen", so der VW-Markenvorstand für E-Mobilität: "Leider fühlt sich in vielen Rathäusern niemand so recht zuständig. Im Prinzip brauchen wir in jeder Stadt einen E-Mobilitäts-Manager." Die Zeit dränge, denn im Jahr 2025 könnten drei bis vier Millionen E-Autos und Plug-in-Hybride auf deutschen Straßen unterwegs sein. "Dafür sind in Deutschland rund 300 000 öffentliche Ladepunkte notwendig. Wir brauchen in den nächsten fünf Jahren also eine Verzehnfachung der Ladeinfrastruktur." Im Bundesdurchschnitt kommen laut VDA schon jetzt 13 Stromer auf eine öffentliche Ladesäule, bis Ostern 2021 müssten sich nach den Prognosen des Automobilverbandes bereits 20 Autos eine Ladesäule teilen. Die EU gibt aber ein Verhältnis von 1:10 vor. Die RLI-Studie hält ein Verhältnis von 1:20 hingegen für ausreichend. Viel hängt davon ab, ob die Mehrheit gemächlich mit Wechselstrom oder kurz und knackig mit Gleichstrom laden wird.

Schnelllade-Hubs wie bei Tesla könnten das Platzproblem in den Städten lösen

Was das in den Urlaubszeiten bedeutet, wenn lange Schlangen von Stromern vor den Autobahn-Ladestationen stehen, mag sich jeder selbst vorstellen. Am größten ist das Problem aber in Metropolen, die sowieso zu wenig Platz haben. In Berlin sollten im Rahmen des "Sofortprogramms Saubere Luft" bis zu 1600 neue Ladepunkte entstehen. Von günstigen Laternenlösungen, die nur wenige Tausend Euro kosten, ist aufgrund bürokratische Hindernisse noch nicht viel zu sehen. Anders als in dem Londoner Stadtteil Westminster City, wo die Projektpartner Siemens und (der in Berlin ansässige Ladespezialist) Ubitricity Anfang des Jahres eine "Electric Avenue" eröffnet haben. Die Idee dahinter ist clever: Weil die Lampen auf LED umgestellt werden, ist genügend Strom übrig, um Autos mit 5,5 kW zu laden. Ausreichend, um auch Kilometerfresser über Nacht aufzupäppeln. Innerhalb des nächsten Jahres soll es 1000 Ladepunkte in Westminster geben, um dem 40-prozentigen Anstieg von Elektroautozulassungen in den letzten zwölf Monaten Rechnung zu tragen. Von einem solchen Tempo kann man in deutschen Städten nur träumen.

Selbst wenn alle Laternenparkplätze zu Stromzapfstellen umfunktioniert werden, lässt sich der Ladebedarf in urbanen Trendvierteln mit hohem Mietwohnungsanteil jedoch kaum decken. Die Nationale Plattform Elektromobilität (NPE) nimmt an, dass weiterhin 80 Prozent der Ladevor-gänge zu Hause oder an der Arbeitsstelle stattfinden werden. Doch was bedeutet das, wenn die Elektroleitungen in über 70 Prozent der deutschen Gebäude älter als 35 Jahre sind? Solche Leitungen geben nicht viel her, wenn mehrere E-Autos daran nuckeln. Und eine Neuverkabelung der Tiefgarage (bis zum nächsten Trafo) geht richtig ins Geld. Auch für die Städte könnten Schnelllade-Hubs wie bei Tesla daher ein Vorbild sein. Dank Pufferbatterien und eines ausgefeilten Lademanagements können sie mehrere Stromfresser gleichzeitig füttern. Wie es nicht funktioniert, zeigt der neue Hauptstadtflughafen BER: Von den rund 18 000 Autostellplätzen haben aktuell nur 20 einen Ladeanschluss.

© SZ vom 19.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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