Kroatien:Nah am Volk

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Kolinda Grabar-Kitarović ist seit 2015 Präsidentin von Kroatien, sie hält die Abschlussrede beim SZ-Wirtschaftsgipfel. (Foto: Yuri Cortez/AFP)

Die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović wurde durch ihren emotionalen Auftritt bei der Weltmeisterschaft bekannt. Die Stimmung im Land hat sich seit der Fußball-WM verbessert, die Wirtschaft zieht an.

Von Peter Münch

Neulich ist sie wieder in New York gewesen, hat eine Rede gehalten vor der UN-Generalversammlung, hat sich ausgetauscht mit anderen Mächtigen und auch den amerikanischen Amtskollegen Donald Trump getroffen. Eine wichtige Reise, zweifellos, aber große Wellen hat das dann doch nicht geschlagen. Als Kolinda Grabar-Kitarović allerdings ein paar Wochen zuvor im strömenden Regen auf dem Rasen eines Fußballstadions in Moskau stand, da ist sie weltweit bekannt und auch gefeiert worden. Es war nach dem Endspiel der WM 2018, und für Kroatiens Präsidentin hat sich die alte Fußballer-Weisheit von Adi Preißler bestätigt: "Entscheidend is auf'm Platz."

Im Moskauer Endspiel, das ihre Mannschaft gegen die Franzosen verlor, ist sie als Siegerin der Herzen vom Platz gegangen. Denn im kroatischen Sommermärchen hat die 50-jährige Politikerin im rot-weiß karierten Fußballtrikot die beste Hauptrolle gespielt, und viele Bilder werden davon in Erinnerung bleiben: Wie sie auf der Ehrentribüne beim Sieg gegen Russland ein kleines Freudentänzchen vor Premier Dmitrij Medwedjew aufführte. Wie sie nach dem Erfolg gegen Dänemark mit den Spielern in der Kabine feierte. Und vor allem, wie sie im russischen Regen nach dem Endspiel zuerst die eigenen Spieler tröste, dann die siegreichen Franzosen herzte und zwischendurch noch Emmanuel Macron übers Haar strich.

Kaum irgendwo können Politiker so viele Popularitätspunkte sammeln wie im Sport, und Grabar-Kitarović, die ihre Spontanität und Emotionalität gern pflegt, hat das bei der WM perfekt genutzt. Als Mutter des Erfolgs hat sie sich präsentieren können und ihren Ruf als volksnahe Präsidentin gefestigt. Zugleich hat sie damit ein paar deutliche Werbesignale ins rechte Lager gesendet, denn der Fußball ist in Kroatien seit jeher auch eine Fortsetzung der nationalistischen Politik mit sportlichen Mitteln. Beim Empfang der Nationalmannschaft in der Heimat ließen sich die Spieler auf der Bühne zusammen mit dem Sänger Marko Perković feiern, Künstlername: Thompson. In seinen Liedern verherrlicht er das faschistische Ustascha-Regime. Das hätte sich die Mannschaft so gewünscht, sagte die Präsidentin, das sei nicht Ausdruck von "Nationalismus, sondern Nationalstolz".

"Kolinda", wie sie von ihren Anhängern genannt wird, hat stets das Ohr am Volk. Die Mutter zweier Kinder, deren Ehemann ihrer Karriere zuliebe eine Professur für Seefahrt ruhen lässt, fährt dafür viel durchs Land. Gern spricht sie über ihre Jugendjahre in der Nähe von Rijeka, der Vater war Metzger. Mit 17 Jahren ging sie als Austauschschülerin in die USA, weitere Amerika-Aufenthalte, unter anderem in Harvard, folgten. Das sollte prägend werden, mentalitätsmäßig und beruflich. Zunächst studierte sie Sprachen, Englisch und Spanisch. Dann kam sie zur Diplomatie und später zur Politik, als überzeugte Transatlantikerin.

2003 wurde sie für die nationalkonservative Partei HDZ zum ersten Mal ins Parlament gewählt und gleich ins Ministeramt für Europäische Integration befördert. 2005 übernahm sie das Außenministerium. Gradlinig ging der Aufstieg allerdings nicht weiter, denn nach einem Zerwürfnis mit dem damaligen Regierungschef Ivo Sanader wich Grabar-Kitarović in die Diplomatie aus, zog 2008 als Botschafterin in die USA und wurde 2011 als erste Frau zur stellvertretenden Generalsekretärin der Nato ernannt.

Von Brüssel aus kehrte sie in ihre Heimat zurück, und das mit einem ziemlichen Paukenschlag: Überraschend und knapp mit 50,7 Prozent gewann sie im Januar 2015 die Stichwahl um das kroatische Präsidentenamt gegen den sozialdemokratischen Amtsinhaber Ivo Josipović. Nach jahrelanger Wirtschaftskrise kam ihr dabei die Wut der Wähler über die linke Regierung zugute. Beim Amtsantritt versprach sie den Wählern, "dass Kroatien ein wohlhabendes und reiches Land sein wird". Wirklichen Einfluss hat sie darauf in ihrem weitgehend zeremoniellen Amt zwar nicht, aber die Wirtschaft zog tatsächlich an in den vergangenen Jahren.

Probleme bleiben dennoch allgegenwärtig, vor allem durch die Abwanderung von Fachkräften in Länder mit höheren Löhnen. Rund 600 000 Kroaten, also 15 Prozent der Bevölkerung, sollen in den vergangenen 20 Jahren ihre Heimat verlassen haben. Ob der WM-Erfolg als Vizeweltmeister am Ende auch noch zu einem nachhaltigen Aufschwung führt, muss sich erst noch erweisen.

Ein enormer Stimmungsaufschwung war in jedem Fall zu verzeichnen, im ganzen Land ist lang gehegter Frust zumindest für ein paar Wochen in Euphorie umgeschlagen. Die Feierlaune mag nicht unbedingt die Arbeitsleistung befördert haben, aber ein kleines Konjunkturprogramm war die WM dennoch. Laut Statistiken der Regierung haben die Kroaten während des Fußballfestes mehr Geld ausgegeben als sonst zur Weihnachtszeit, zum Beispiel für neue Fernseher und nicht zuletzt für Grillfleisch. Gut fürs Image im Ausland waren die Siege von Luka Modrić und Co. gewiss auch, und das könnte sich auszahlen im Tourismus, der eine tragende Säule der kroatischen Wirtschaft ist und rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts generiert.

Doch die Siege von gestern sichern nirgends neuen Lorbeer. Die kroatische Nationalmannschaft hat nach der WM gleich ihr erstes Spiel gegen Spanien mit 0:6 verloren. Und auch Kolinda Grabar-Kitarović steht bald vor einen neuen Herausforderung. Im nächsten Jahr geht es um ihre Wiederwahl. Es gilt auch hier die alte Fußball-Weisheit: Das nächste Spiel ist immer das schwerste.

© SZ vom 12.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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