Krankenversicherung:Kostenfaktor Patient

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Kommt es zur Neuauflage der großen Koalition, ist das Thema Bürgerversicherung vom Tisch. Doch ob privat oder gesetzlich abgesichert: Vor- und Nachteile gibt es bei beiden Formen.

Von Ilse Schlingensiepen

Nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD steht fest, dass es den von den Sozialdemokraten angestrebten Generalumbau der Krankenversicherung mit der Neuauflage der großen Koalition nicht geben wird. Die von der SPD favorisierte Bürgerversicherung ist erst einmal vom Tisch, und damit ein einheitliches Krankenversicherungssystem, das zum Ende der privaten Krankenversicherung (PKV) in ihrer jetzigen Form führen würde.

Dabei handelt es sich bei der Bürgerversicherung um ein Konzept, das in der Bevölkerung sehr beliebt ist. Das hat zuletzt eine repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Januar 2018 gezeigt: Danach würden 61 Prozent der Bevölkerung eine Bürgerversicherung begrüßen. Auch 40 Prozent der Privatversicherten sehen sie eher positiv. Während viele Kassenpatienten die Privatpatienten beneiden, weil sie bei Ärzten schneller einen Termin bekommen und nicht lange im Wartezimmer sitzen müssen, wären manche PKV-Kunden lieber wieder in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Den Vorteilen der Privatversicherung steht eine Reihe von Nachteilen gegenüber.

Die private Krankenversicherung steht nur einem Teil der Bevölkerung offen. Das sind neben Beamten und Selbständigen die gut verdienenden Angestellten. Nur wer als Angestellter mit seinem Verdienst über der sogenannten Versicherungspflichtgrenze liegt - 2018 sind das 59 400 Euro im Jahr - kann in die PKV wechseln.

Ganz klar ist: Für Beamte ist die PKV auf jeden Fall interessant. Sie sind beihilfeberechtigt, das heißt der Staat trägt einen bestimmten Teil ihrer Behandlungskosten, nur den Rest müssen sie selbst in der PKV absichern. Zwar können Beamte auch in die GKV gehen. Aber dann verlieren sie den staatlichen Zuschuss, deshalb macht das kaum jemand.

Ärzte erhalten für die private Klientel bei vielen Leistungen eine bessere Vergütung

Die Beamten machen mit knapp 50 Prozent nicht zufällig die größte Gruppe innerhalb der knapp neun Millionen Privatversicherten aus. Sie profitieren von dem, was vor allem mit dem PKV-Status verbunden wird: einem besseren Service beim Arzt und im Krankenhaus. Während Kassenpatienten zum Teil mehrere Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten müssen, geht es bei Privatversicherten meistens deutlich zügiger. Beim Arzt kommen sie schneller dran, im Krankenhaus liegen sie im Ein- oder Zweibettzimmer und werden vom Chefarzt behandelt. Grund für die Vorzugsbehandlung sind wirtschaftliche Erwägungen der Ärzte. Für die private Klientel erhalten sie beim Großteil der Leistungen eine bessere Vergütung. "Das Wirtschaftsgut Privatpatient ist für viele Praxen sehr interessant, wenn nicht sogar überlebenswichtig", sagt Philipp Opfermann, Referent für Versicherungen bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die höhere Vergütung kann aber auch Nachteile haben: das Risiko der Überdiagnostik und Übertherapie. Weil es sich lohnt, erhalten Privatpatienten Untersuchungen, die nicht unbedingt notwendig, aber finanziell lukrativ für den Arzt sind.

Im Wesentlichen ist die medizinische Behandlung für gesetzlich und privat Versicherte gleich. Allerdings erhalten Privatversicherte zum Teil schneller Zugang zu neuen Medikamenten oder Therapien. Aber: In der PKV fehlen die Evidenz- und Qualitätsprüfungen, die für die GKV charakteristisch sind. Nicht alles, was sich innovativ nennt, ist auch gut. "Man wird als Privatpatient nicht unbedingt besser behandelt, aber oft anders", so Opfermann.

Die einmal gewählten Leistungen sind in der PKV unantastbar. "Ich kann mich darauf verlassen, dass die Leistungen, die ich mit meinem Versicherer vereinbart habe, auf jeden Fall erhalten bleiben", betont der Verbraucherschützer. Allerdings können die Unternehmen die Prämien erhöhen, wenn die Leistungen teurer werden. In der GKV kann die Politik den Leistungskatalog kürzen und hat das auch schon mehr als einmal getan.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben ein einheitliches Leistungsangebot. "In der PKV kann ich mir den Versicherungsschutz dagegen so zusammenstellen, wie ich es will", sagt Opfermann. Der Kunde kann wählen, ob er eine hohe Erstattung beim Zahnersatz will oder die Chefarztbehandlung im Krankenhaus. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass Versicherte aus Kostengründen auf Leistungsbereiche wie die Psychotherapie verzichten und das dann später bitter bereuen.

"In der privaten Krankenversicherung können eklatante Lücken entstehen", warnt der Verbraucherschützer. Der Leistungsumfang in der PKV ist nicht per se besser. Es gibt Schmalspurtarife, die deutlich unter dem GKV-Niveau liegen. Zum Teil müssen sich die Kunden mit den Unternehmen über die Erstattung von Rechnungen streiten, weil bestimmte Leistungen nicht von dem Versicherungsschutz gedeckt sind oder weil die Versicherer die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung bezweifeln. "Man sollte sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Privatversicherer alles bezahlen", betont Bianca Boss vom Bund der Versicherten.

Zwar kann der Kunde seinen Versicherungsschutz anpassen. Kommen aber neue Leistungen hinzu, wird eine erneute Gesundheitsprüfung notwendig. Beim Abschluss des Vertrags ist der Gesundheitszustand des Versicherten entscheidend, nach ihm und dem Alter richten sich die Prämien. Die Privatversicherer können bei Vorerkrankungen Risikozuschläge verlangen oder Kunden ganz ablehnen. Das gibt es bei den gesetzlichen Kassen nicht.

Ein weiterer wichtiger Unterschied: Während in der GKV Kinder und nicht arbeitende Partner über die Familienversicherung beitragsfrei mitversichert sind, muss in der PKV für jedes Familienmitglied ein eigener Beitrag gezahlt werden. Die Familienplanung sollte deshalb unbedingt in die Entscheidung für oder gegen die PKV einbezogen werden.

Wenn sich junge und gesunde Leute privat versichern, zahlen sie häufig weniger Beiträge als in der GKV. Im Laufe der Zeit kann sich das aber ändern. Die Versicherten werden zum Teil mit heftigen Prämiensprüngen konfrontiert. Immer wieder fühlen sich gerade ältere Versicherte und Rentner durch ihre PKV-Beiträge überfordert. Verbraucherschützer raten dazu, das Geld, das man in jungen Jahren durch die niedrigeren Beiträge spart, fürs Alter zurückzulegen. Bianca Boss vom Bund der Versicherten verweist auf eine Alternative: In der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben und den Versicherungsschutz durch eine private Zusatzversicherung aufstocken.

Wenn die Beiträge zu hoch werden, ermöglicht es das Tarifwechselrecht, beim eigenen Anbieter in einen anderen Tarif zu gehen. Die Versicherer gehen mit dem Thema unterschiedlich um, nicht alle handhaben es kundenfreundlich. Inzwischen hat sich mit der Unterstützung von Privatversicherten beim Tarifwechsel ein neuer Geschäftszweig herausgebildet, darunter sind aber viele unseriöse Anbieter.

Politiker haben den unterschiedlichen Wartezeiten den Kampf angesagt

Der Wechsel des Anbieters ist in der PKV für viele keine Option. Denn dann verlieren die Versicherten die über Jahre angesparten Alterungsrückstellungen ganz oder teilweise. "Ich bin im Zweifelsfall ein ganzes Leben an einen Versicherer gebunden", sagt Opfermann. In der GKV ist das anders: Hier kann der Versicherte alle 18 Monate die Krankenkasse wechseln, bei einer Beitragserhöhung auch mit einer kürzeren Frist. "Man sollte den Schritt in die Privatversicherung gut überlegen, weil der Weg zurück in die GKV oft nicht möglich ist", empfiehlt Boss.

Der Status als Privatpatient ist mit bürokratischem Aufwand verbunden. In der GKV ist bei Behandlungen in der Regel mit dem Einlesen der Gesundheitskarte das meiste erledigt. In der PKV müssen die Versicherten dagegen beim Arzt erst einmal in Vorleistung gehen und die Rechnung dann bei ihrem Versicherer einreichen, der sie vor der Erstattung prüft. Dabei müssen die Kunden bestimmte Dinge im Blick behalten, wie die vereinbarten Selbstbehalte. Zudem kann es sich lohnen, Rechnungen erst einmal zu sammeln. Denn bei kleineren Beträgen ist es günstiger, sie selbst zu übernehmen und dann von einer Beitragsrückerstattung zu profitieren.

Es ist das erklärte Ziel einer breiten politischen Mehrheit, die Nachteile von gesetzlich Versicherten gegenüber PKV-Kunden abzubauen. Den unterschiedlichen Wartezeiten haben Union und SPD bereits den Kampf angesagt. Kommt es zur großen Koalition, soll eine Kommission die Möglichkeit einer Angleichung der ärztlichen Honorare in GKV und PKV prüfen. Manche Vorteile, die heute noch für die PKV sprechen, könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig sehen fast alle Parteien Handlungsbedarf bei der PKV und fordern etwa Erleichterungen beim Anbieterwechsel. Auch die Nachteile sind also nicht in Stein gemeißelt.

© SZ vom 12.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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