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Videosprechstunden sollen die ärztliche Praxis ergänzen. (Foto: Christopher Furlong/ Getty Images)

Private Versicherer testen die Online-Behandlung durch Ärzte, die ihre Patienten vorher noch nie gesehen haben. Bisher war das in Deutschland verboten.

Von Ilse Schlingensiepen, Köln

Blasenentzündung, Bluthochdruck, Erektionsstörungen oder Haarausfall: Das sind Themen, mit denen sich Patienten häufig an die Online-Arztpraxis Dr-Ed wenden. Die Ärzte der in Großbritannien beheimateten Firma bieten Fernberatungen und -behandlungen an. Dr-Ed hat seit 2011 bereits mehr als 200 000 Online-Sprechstunden mit Kunden aus Deutschland in ihrer Muttersprache abgehalten.

Deutsche Patienten, die aus Zeitnot, Scham oder anderen Gründen bei gesundheitlichen Problemen keine Arztpraxis aufsuchen wollen, können sich telemedizinische Unterstützung nur im Ausland holen. Denn hiesigen Ärzten ist die Fernbehandlung bei Patienten, die sie nicht persönlich kennen, verboten.

Doch das Verbot beginnt zu bröckeln. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat ihre Berufsordnung geändert und genehmigt die ausschließliche Fernbehandlung als Teil von Modellprojekten. "In Baden-Württemberg wird das möglich, was außerhalb Deutschlands tägliche Routine und zukünftig nicht mehr aufzuhalten ist", begründet Kammerpräsident Ulrich Clever den Vorstoß. "Arzt und Patient können sich beispielsweise am Telefon oder via Handy-App begegnen, und der Arzt darf eine individuelle Diagnose stellen und die Therapie einleiten."

Den Auftakt mit der Fernbehandlung machen das Münchener Start-up Teleclinic und zwei private Krankenversicherer (PKV). Das Unternehmen kooperiert mit der Barmenia Krankenversicherung und einem weiteren, bisher ungenannten Anbieter, offenbar ist das PKV-Marktführer Debeka. Die Debeka ist bereits digital aktiv und auch am neuen Krankenversicherer Ottonova beteiligt. Ottonova hat gerade für seine Kunden die Fernbehandlung mit Ärzten aus der Schweiz eingeführt.

Von dem Modell könnten vor allem auch ländliche Regionen profitieren

Bei der neuen Fernbehandlung mit Ärzten aus Baden-Württemberg wenden sich Versicherte zunächst an Teleclinic. Dort ordnen medizinische Assistentinnen und Assistenten den Fall ein und veranlassen die nächsten Schritte - in der Regel die Vermittlung zum Arzt. Die Ärzte können Patienten auch an Fachkollegen vor Ort überweisen. "Ab 2018 wird auch die Möglichkeit bestehen, Rezepte auszustellen", kündigt Teleclinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger an. Das Konzept erfülle hohe Datenschutzstandards. Im ersten Schritt ist die Behandlung auf Kunden beschränkt, die in Baden-Württemberg wohnen.

Die Barmenia hat den Einsatz der Teleclinic-Ärzte bereits erprobt. Dabei konnten die Mediziner die Kunden des Versicherers aber nur beraten und keine abschließende Diagnose stellen. "Die Resonanz bei unseren Versicherten war positiv", berichtet Konzernchef Andreas Eurich. Zwar gab es bei einzelnen Patienten Unsicherheiten wegen der ungewohnten Behandlungssituation, die meisten wüssten aber die Vorteile des Angebots zu schätzen. Dazu zählt die Erreichbarkeit der Ärzte außerhalb der Sprechstunden.

Das Interesse an dem neuen Behandlungskonzept ist groß. Nach Angaben der Ärztekammer in Stuttgart gibt es zehn weitere Kandidaten, die in absehbarer Zeit loslegen können. Dazu zählt beispielsweise auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, die ab März 2018 die Fernbehandlung mit Ärzten und Kassenpatienten in Stuttgart und Tuttlingen testen will.

Teleclinic bietet seit Längerem digitale Dienste wie Videosprechstunden oder das Gesundheitstracking über Wearables an. Die Firma arbeitet mit PKV-Anbietern und gesetzlichen Krankenkassen zusammen und greift auf einen Pool von etwa 200 Ärzten zurück. "Zurzeit rekrutieren wir gezielt weitere Ärzte in Baden-Württemberg," sagt Teleclinic-Chefin Jünger.

Die Fernbehandlung könnte gerade in ländlichen Regionen eine wichtige Ergänzung zur Behandlung in der Arztpraxis werden, glaubt Barmenia-Chef Eurich. Das digitale Angebot kann Patienten lange und - wenn der falsche Facharzt aufgesucht wird - auch unnötige Wege ersparen. Seine Hoffnung: "Die Fernbehandlung kann uns als Versicherer dabei helfen, das Thema Kosten besser in den Griff zu bekommen."

Einsparpotenziale sieht er darin, dass die Mitarbeiter von Teleclinic die Anrufer gezielt zum geeigneten Ansprechpartner vermitteln. "Es geht uns nicht darum, beim Arzt zu sparen, sondern durch effizient gestaltete Wege und Prozesse", betont Eurich.

Das Projekt läuft zunächst über zwei Jahre. Eurich hält das für einen guten Zeitraum, um den Einsatz der Fernbehandlung aus Sicht von Patienten, Ärzten und Versicherern zu bewerten. Sind die Ergebnisse der Modellprojekte in Baden-Württemberg positiv, wird die Fernbehandlung auch in anderen Bundesländern eingeführt, hofft er.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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