Korruptions-Affäre:Stille Post bei Siemens

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Der zweite Prozess um Korruption legt ein beispielloses Verschleierungssystem im Konzern offen.

Markus Balser

Es dauert eine Weile, bis Ernst K. auf der Anklagebank im schmucklosen Saal 173 des Münchner Landgerichts ins Plaudern kommt. Früher war K. eine Schlüsselfigur im Kommunikationsgeschäft von Siemens. Er lieferte Millionen für schmierige Geschäfte dorthin, wo Vorgesetzte sie brauchten: Nach Nigeria, Russland, Vietnam oder Indonesien.

Siemens: Viele Bereichsvorstände des Kommunikationsgeschäfts sollen das System der schwarzen Kassen gekannt haben (Foto: Foto: AP)

Oft sei das Geld an Minister gegangen, erinnert sich der 58-Jährige. Manchmal seien ganze Delegationen auch nach München gekommen, um sich ihre Belohnung für Aufträge abzuholen - fürstliche Bewirtung und Einkleiden inklusive. Immer lief alles streng geheim ab. Denn der Post habe bei Siemens keiner getraut. "Anweisungen für diskrete Zahlungen habe ich persönlich übergeben", sagt K. "Echte Exzesse waren das. Da gingen viele Schuhsohlen drauf."

Angst vor Rache

Der zweite Prozess um die milliardenschwere Korruptionsaffäre bei Siemens brachte schon am ersten Tag bizarre Details der Korruptionsaffäre ans Licht. Kaufmann Ernst K. und sein mitangeklagter Ex-Kollege Wolfgang R., 69, legten am Dienstag umfangreiche Geständnisse ab.

Die beiden räumten ein, geholfen zu haben, mehrere Millionen Euro aus dem Technologiekonzern auszuschleusen und auf geheimen Auslandskonten zu parken. Mit dem Geld sollten Amtsträger oder Geschäftspartner bestochen werden.

Die Staatsanwaltschaft wirft K. eine lange Liste von Vergehen vor: Beihilfe zur Untreue in 79 Fällen, Beihilfe zur Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr in 17 Fällen und Beihilfe zur Bestechung im geschäftlichen Verkehr in drei Fällen. Dem mitangeklagten Rentner werden drei Fälle von Beihilfe zur Untreue zur Last gelegt.

Der Kaufmann aus dem Allgäu, der vor zwei Jahren bei Siemens ausschied und arbeitslos ist, plauderte freimütig über die Vergangenheit. "Die Geschäfte liefen immer schlechter. Siemens konnte sich zunehmend am Markt nicht mehr so behaupten. Da war es auch einfach bequem, Aufträge zu erkaufen", sagte K.

Siemens habe über die brisanten Aktivitäten in München in einem geheimen Kellerraum exakt Buch führen lassen. Bei Vorsichtsmaßnahmen war die Angst vor Industriespionage aber offenbar größer als die vor Strafverfolgern. "Die Unterlagen sollten nicht bei den Vertriebsleuten im Schreibtisch lagern", sagte K. Führungskräfte hätten Angst gehabt, von Konkurrenten ausspioniert zu werden.

Brisante Aktivitäten

Schwere Vorwürfe erhob einer der Angeklagten gegen Top-Manager des Konzerns. Viele Bereichsvorstände des Kommunikationsgeschäfts hätten das System der schwarzen Kassen gekannt.

Namentlich nannte der Angeklagte Ex-Top-Manager Lothar Pauly, der von Siemens zur Telekom gegangen war. Seinen Posten hatte Pauly, gegen den auch die Staatsanwaltschaft ermittelt, wegen der Siemens-Affäre verloren. Paulys Anwalt Kurt Kiethe wies die Vorwürfe zurück. Seinem Mandanten sei von Schmiergeldzahlungen nichts bekannt gewesen.

Bei den Akteuren des Systems sitzt die Angst inzwischen tief. Ein ehemaliger Siemens-Manager berichtete am Dienstag als Zeuge von zahlreichen Korruptionsfällen in Russland, in die auch die Angeklagten verstrickt waren. Er selbst habe einige Generaldirektoren, Techniker und Buchhalter geschmiert. Allerdings wollte der Zeuge keine Namen nennen. "Ich möchte noch ein bisschen länger leben", sagte der pensionierte Manager.

Nachdem Details seiner Aussage vor dem Landeskriminalamt in die US-Medien gelangt seien, habe er Polizeischutz erhalten. Er lehnte nun auch eine Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab, weil er kein Vertrauen zu den Ermittlungsbehörden in Deutschland mehr habe. Im Gegenzug zu ihren umfangreichen Geständnissen stellte das Gericht den Angeklagten am Dienstag Bewährungsstrafen in Aussicht. Der Technologiekonzern Siemens geht von dubiosen Zahlungen in einer Gesamthöhe von 1,3 Milliarden Euro aus

© SZ vom 19.11.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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