Kommunen:Verkehrswende mit Hindernissen

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Eine Radfahrerin ist in der Innenstadt auf einer mehrspurigen Straße unterwegs, die mit Richtungspfeilen und einer Fahrradspur markiert ist. (Foto: Arne Dedert/dpa/Archivbild)

Weniger Autos, mehr Grün - beim Umstieg auf umweltverträgliche Mobilität gibt es viele Hürden. Ein Blick in drei hessische Städte.

Von Isabell Scheuplein und Christine Schultze, dpa

Gießen/Marburg/Frankfurt (dpa/lhe) - Mehr Radwege, mehr Platz für den Fußverkehr - dafür weniger Autos in der Stadt: In vielen hessischen Kommunen vollzieht sich ein allmählicher Umbau von Straßen, Wegen und Plätzen. Dies stößt auf Zustimmung, ruft aber auch Widerstand hervor. Die Konflikte in den Städten seien bundesweit mehr oder weniger ähnlich, sagt Mobilitäts-Expertin Anne Klein-Hitpaß vom Deutschen Institut für Urbanistik. Ein Überblick über die Situation in Gießen, Marburg und Frankfurt:

Rückbau in Gießen läuft

Das Schicksal des umfassenden Verkehrsversuchs in Gießen sticht heraus. Das Konzept hatte hohe Wellen geschlagen - und wurde im Sommer gerichtlich gekippt. Geplant war ursprünglich, dass Autos künftig nur noch die äußeren Fahrspuren des Anlagenrings um die Innenstadt in Einbahnrichtung nutzen können und die bisherigen Innenspuren dem Fahrrad- und Busverkehr vorbehalten bleiben. Das sahen vor allem Vertreter der örtlichen Wirtschaft kritisch. Zwei Einwohner wandten sich gegen das Projekt, deren Eilantrag das Verwaltungsgericht stattgab.

Eine Beschwerde der Stadt verwarf schließlich der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) und stufte den Verkehrsversuch als rechtswidrig ein. Ende November soll nun die ursprüngliche Verkehrsführung wiederhergestellt sein.

Derzeit läuft der Rückbau, die Kosten waren auf ursprünglich 1,2 Millionen Euro veranschlagt worden. Gegen Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) wird nun wegen des Anfangsverdacht der Untreue ermittelt. Die Staatsanwaltschaft hatte dazu auch Unterlagen im Rathaus sichergestellt, die Auswertung laufe, sagte ein Sprecher der Behörde der Deutschen Presse-Agentur.

Marburg prüft Bürgerbegehren gegen Verkehrskonzept

Gegenwind gibt es auch für das Verkehrskonzept „MoVe 35“ in Marburg, mit dem eine zukunftsorientierte und klimafreundliche Mobilität gefördert werden soll - durch bessere Bedingungen für den Rad- und Fußverkehr, eine bessere Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und eine Reduzierung der Zahl der mit dem Auto zurückgelegen Wege um die Hälfte. Das aus zahlreichen Maßnahmen bestehende Konzept war jahrelang und unter Beteiligung von Stadtgesellschaft und Region erarbeitet worden. Ein Bürgerbegehren könnte jetzt möglicherweise dafür sorgen, dass die Planungen neu angegangen werden müssen.

Kritiker des Konzepts hatten dafür mehr als 8000 Unterschriften gesammelt. Derzeit prüft das Wahlamt die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens, voraussichtlich Mitte November entscheidet die Stadtverordnetenversammlung darüber. Im Falle der Zulässigkeit würde innerhalb von drei bis sechs Monaten ein Bürgerentscheid folgen. Sollte es dazu kommen, ließen sich die konkreten Folgen für die Marburger Klimaziele noch nicht abschätzen, heißt es von der Stadt. „Die Kosten für die Durchführung des Bürgerbegehrens zu MoVe35 sowie eine eventuelle Umsetzung bei Erfolg des Begehrens schätzt der Magistrat vorsichtig auf einen hohen sechsstelligen oder niedrigen siebenstelligen Betrag.“

Tempo 20 für eine autoarme Innenstadt in Frankfurt

Auffallend rot leuchtende Radwege hat die Stadt Frankfurt an den großen Straßen angelegt, dafür sind auch Fahrspuren für Autos weggefallen. Nun soll der motorisierte Verkehr in der Innenstadt weiter eingeschränkt werden. Geplant ist Tempo 20 in den Nebenstraßen, wie Verkehrsdezernent Wolfgang Siefert (Grüne) sagt. Der Durchgangsverkehr soll auf die Hauptstraßen beschränkt werden. Wenn weniger Autos unterwegs seien, steige die Aufenthaltsqualität. Ziel sei eine autoarme Innenstadt.

Auch Parkplätze an den Straßen sollen wegfallen. „Wer nach Frankfurt mit dem Auto in die Innenstadt kommen möchte, kann dies weiter tun und dann eben in ein Parkhaus fahren“, sagt der Dezernent. Behindertenparkplätze und Taxistellplätze werde es weiter geben, dazu mehr Liefer- und Ladezonen. Kostenloses Parken in den Stadtteilen soll langfristig nicht mehr möglich sein.

Die Maßnahmen dienten dem Klimaschutz, machten den öffentlichen Raum attraktiver und sorgten dafür, dass „alle Verkehrsarten endlich gleichberechtigt werden“. Überzeugungsarbeit müsse dabei immer wieder geleistet werden. Ob Kritiker in der Mehrheit seien, halte er für fraglich, sagte Siefert mit Blick auf den in der Stadt umstrittenen fahrradfreundlichen Umbau von Nebenstraßen wie dem Oeder Weg. „Wir bekommen auch viele Mitteilungen, in denen es sehr begrüßt wird“, sagt Siefert. Nachbesserungen seien zudem nicht ausgeschlossen.

Expertin kritisiert mangelnde Möglichkeiten

Die Städte stünden auf ihrem Weg einem durchaus schwierigen Rechtsrahmen gegenüber, sagt Anne Klein-Hitpaß, Leiterin des Forschungsbereichs Mobilität am Deutschen Institut für Urbanistik: „Die Novelle der Straßen-Verkehrsordnung erhöht vielleicht den Spielraum etwas, doch wie sehr, das muss man erst einmal abwarten.“ Rad- und Fußverkehr müssten sich bisher immer unterordnen. „Der Rechtsrahmen passt nicht zur Aufgabe“, kritisiert die Expertin.

Damit die Menschen den Weg leichter mitgehen könnten, sei eine Vision nötig, die vermittelt und in logischen, konsequenten Schritten umgesetzt werden müsse. Als Beispiel führt die Expertin Stockholms Vision einer emissionsfreien Innenstadt an. Der Plan soll ab 2025 umgesetzt werden.

Alle Menschen mitzunehmen, sei dabei gar nicht möglich: „Es gibt immer einen Kern, der dagegen ist. Es ist wichtig, die breite Masse mitzunehmen und zu überzeugen. Die, die dagegen sind, sind ja meist nicht die Mehrheit, sondern nur besonders laut“, sagt Klein-Hitpaß. Letztendlich gebe es überall ähnliche Konflikte bei der Umverteilung des öffentlichen Raums. Schließlich werde an eine jahrzehntealte Ordnung Hand angelegt. Widerstand lege sich in aller Regel auch wieder, sagt die Expertin. „Man kann nicht für alle Lösungen finden, für Härten sollte es aber einen Ausgleich geben“, rät sie.

© dpa-infocom, dpa:231105-99-828500/3

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