Kommentar:Trumps Wellensittiche

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Mit einer Staatsschuld von mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung werden die USA in diesem Haushaltsjahr in die Griechenland-Liga absteigen. Schuld daran ist Corona - und der Präsident.

Von Claus Hulverscheidt

Seit ein paar Tagen läuft in den USA das Haushaltsjahr 2021, und man kann jetzt schon sagen, dass es ein besonderes, ja, historisches werden wird: Zum ersten Mal seit Kriegsende wird die Bundesschuld die Marke von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung übertreffen - damit hat sich die Quote in gerade einmal zwölf Jahren verdreifacht. Anders gesagt: Selbst wenn man in den kommenden zwölf Monaten jeden Cent, der im Inland durch den Verkauf von Gütern und Dienstleistungen erwirtschaftet wird, zur Rückzahlung der Kredite verwendete, würde das Geld nicht reichen. Damit finden sich die USA in einer Liga mit Staaten wie Griechenland, Italien und Spanien wieder.

Noch vor wenigen Jahren hätte eine solche Zahl in Washington ein gewaltiges Gezeter ausgelöst, vor allem bei jenen republikanischen Politikern, die sich stolz als deficit hawks, als "Defizit-Falken", bezeichneten und jede noch so kleine Mehrausgabe als Steuerverschwendung geißelten. Doch sie alle sind unter die Räder jener Dampfwalze namens Donald Trump geraten, die seit 2016 weite Teile der alten Republikanischen Partei unter sich zermalmt hat. Die wenigen Falken, die politisch überlebt haben, sitzen heute als brave Wellensittiche in Trumps Voliere.

Nun gibt es gute Gründe dafür, dass die Staatsschuld ausgerechnet dieses Jahr die 100-Prozent-Marke knacken wird - der wichtigste lautet: Corona. Wie fast überall auf der Welt hat die Pandemie auch die US-Regierung dazu gezwungen, alle Haushaltspläne über Bord zu werfen und riesige Summen zur Eindämmung der Seuche selbst, vor allem aber der wirtschaftlichen Folgen, in die Hand zu nehmen. Schon jetzt summieren sich die staatlichen Mehrausgaben und Mindereinnahmen auf unvorstellbare drei Billionen Dollar.

Diese drei Billionen sind gut angelegtes Geld, denn hätte das Parlament nicht reagiert, hätten Dutzende Millionen Menschen dauerhaft ihren Job verloren und Hunderttausende Firmen schließen müssen. Die Kosten für die öffentliche Hand wären drei, vier, fünf Mal so hoch gewesen wie jetzt - von den sozialen Folgen ganz zu schweigen. Ja, vermutlich müsste die US-Regierung sogar noch deutlich mehr Geld zur Unterstützung von Bürgern und Firmen in die Hand nehmen, um eine zweite, noch massivere Rezessionswelle zu verhindern. Stattdessen hat der Präsident die laufenden Verhandlungen zwischen Republikanern und Demokraten im Kongress erst einmal gestoppt - aus Gründen, die nur er selbst versteht. Wenn überhaupt.

Vor allem aber: Dass die USA jetzt mit Griechenland in einem Atemzug genannt werden, ist mitnichten allein dem Coronavirus geschuldet. Im Gegenteil, die Regierung Trump hatte die Kreditaufnahme schon vor Ausbruch der Krise und trotz boomender Konjunktur so massiv aufgebläht, dass sich jetzt zwei Schuldenwellen zu einem echten Brecher vereinen. Zu nennen sind hier in erster Linie die drastischen Steuersenkungen für Firmen und Bürger von Anfang 2018 sowie hohe Mehrausgaben insbesondere für das Militär.

Erschwerend hinzu kommt, dass in den USA nicht nur der Staat, sondern auch viele Unternehmen und vor allem die Bürger hoch verschuldet sind. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn die Menschen die Kredite für Investitionen in die Zukunft verwendeten, für Bildung etwa oder zur Dämmung ihrer Häuser. Stattdessen jedoch fließt ein Großteil der Darlehen in den Konsum. Neben der quantitativen Bürde plagt die Vereinigten Staaten damit auch noch ein qualitatives Schuldenproblem.

Nun werden viele sagen, dass ein großer und verlässlicher Schuldner, wie die USA es sind, selbst dann noch Kredit erhalten wird, wenn die Schuldenquote einmal 150 Prozent erreichen sollte - das Doppelte dessen, was Deutschland derzeit ausweist. Das stimmt, denn bis auf Weiteres wird kaum ein Vermögensverwalter darauf verzichten wollen, US-Staatsanleihen ins Depot zu nehmen. Und doch steigt mit jedem Prozentpunkt an Staatsschuld die Abhängigkeit Washingtons vom Ausland - insbesondere von China, das ein Sechstel aller US-Papiere hält und damit jederzeit die Möglichkeit hat, dem politischen Gegner den Geldhahn zuzudrehen.

Wie schnell die Lage außer Kontrolle geraten kann, zeigen Prognosen des Kongresses und der Deutschen Bank. Demnach wird die US-Verschuldung, Stand jetzt, bis 2050 auf höchst bedenkliche 195 Prozent der Wirtschaftsleistung ansteigen. Und schlimmer noch: Fallen die derzeit ja ultra-niedrigen Zinsen auch nur um einen einzigen Prozentpunkt höher aus, als in diesem Szenario unterstellt, erreichte die Quote gar 264 Prozent. Das wäre dann ein Niveau, gegen das sogar Griechenland als echtes Musterländle daherkäme.

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