Kommentar:Ohrfeige für die Anleger

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Die Firmenschmiede Rocket Internet will sich von der Börse zurückziehen. Das ist ein großer Angriff auf kleine Investoren.

Von Victor Gojdka

Als die Firmenschmiede Rocket Internet vor sechs Jahren an die Börse ging, da war kein Superlativ groß genug: Der Börsengang sei ein "bedeutender Meilenstein", eine "einmalige Chance" und der wohl größte Börsengang einer deutschen Internetfirma seit der Jahrtausendwende. Weil sie auf ein aussichtsreiches Digitalunternehmen aus Deutschland hofften, gaben viele Privatanleger dem Berliner Unternehmen nur zu gerne ihr Geld - und ihr Vertrauen. Ein Zutrauen, das Firmengründer Oliver Samwer bloß sechs Jahre später nun schamlos missbraucht. Denn Samwer will die Rocket-Aktien von der Börse nehmen lassen - und die Investoren fühlen sich übers Ohr gehauen.

Das ganze Drama lässt sich in nur zwei Zahlen zeigen: 42,50 Euro mussten Anleger beim Börsengang für eine der vermeintlichen Raketen-Aktien hinlegen. Mit dem geplanten Börsenrückzug nun will Samwer ihnen die Papiere für gerade mal 18,57 Euro wieder abkaufen. Es ist eine Ohrfeige für die Privatanleger, denn Samwer bietet ihnen keinen einzigen Cent mehr, als er gesetzlich muss. Im Gegenteil: Am Abend bevor der Unternehmer das Börsen-Aus ankündigte, waren die Titel sogar zu 18,95 Euro aus dem Handel gegangen - 38 Cent mehr als Samwer bietet.

Die schäbige Aktion passt ins Bild eines Unternehmens, das zwar Internethoffnungen wie den Online-Modehändler Zalando hervorgebracht hat, sich um seine Aktionäre jedoch nie scherte: Schon zum Börsengang hat Rocket im Konzert mit den Börsenbanken den Preis seiner Aktien so unrealistisch aufgeblasen, dass der Kurs gar nicht anders konnte, als schon am ersten Tag um zehn Prozent abzurauschen. Eine Dividende hat Samwer in all den Jahren auch nie gezahlt, obwohl das Unternehmen aktuell einen Milliardenberg an Cash hortet. Und umfangreich informiert fühlten sich Aktionäre von der verschwiegenen Internetschmiede sowieso nie. Dass es eben jene Anleger waren, die Samwers Unternehmen vor sechs Jahren mit der gigantischen Summe von rund anderthalb Milliarden Euro ausstatteten? Dieser Fakt scheint den Techunternehmer nicht zu stören.

Die Aktionäre sollten dem Unternehmen einheizen

Im Gegenteil, Samwers Verhalten offenbart die kalte Mentalität der Berliner Unternehmensschmiede: Als man die Anleger und vor allem ihr Geld brauchte, nahm man es gern. Nachdem die Investoren und ihre kritischen Fragen jedoch lästig wurden, will man sie nun in die Wüste schicken.

Wenn manche Zungen argumentieren, die Anleger müssten ihre Aktien ja nicht zu Samwers Spottpreis hergeben und könnten auch nach einem Börsen-Aus Anteilseigner des Unternehmens bleiben, ist das zwar richtig - aber wohlfeil. In der Tat können Anleger ihre Anteilsscheine theoretisch behalten, nur lassen sie sich dann eben meist nicht mehr an einer Börse reguliert handeln. Wenn Anleger Glück haben, nehmen manche Broker die Aktie in eine Art Resterampen-Handel auf, bei dem manchmal jedoch tagelang keine einzige Aktie den Anleger wechselt. Allein schon deswegen müssen viele Fondsgesellschaften solche Titel vor einem Börsen-Aus aus ihren Depots schmeißen, was die Kurse meist weiter einbrechen lässt.

Firmenchef Samwer setzt wohl darauf, dass die Anleger angesichts genau dieser Drohkulisse entnervt aufgeben. Es wäre Rocket Internet daher zu wünschen, dass selbst verdrossene Privatanleger zumindest eine ihrer Aktien behalten und das Unternehmen auf jeder künftigen Hauptversammlung mit unangenehmen Fragen überhäufen. Um zu zeigen, dass sich Firmenlenker eben nicht alles erlauben dürfen, was juristisch möglich ist.

Aber auch Politikerinnen und Politiker müssen aktiv werden: Statt Unternehmen beim Börsen-Aus meist bloß zu verpflichten, den durchschnittlichen Kurs des vergangenen halben Jahres zu zahlen, sollten sie nachbessern. Weil der Börsenwert eben nichts mit dem eigentlichen Wert des Unternehmens zu tun haben muss, sollte Anlegern das Recht auf ein unabhängiges Gutachten zustehen: Was sind Anlagen, Immobilien und Beteiligungen des Unternehmens tatsächlich wert?

Bereits dieses vermeintlich technische Detail könnte vielen Firmen einen Börsenexodus madig machen und einen weiteren Reputationsschaden für den Finanzplatz Frankfurt verhindern. Denn wenn an der Börse immer nur das große Geld zu gewinnen scheint, braucht sich niemand über die Aktienabstinenz vieler Sparer wahrlich wundern.

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