Kommentar:Große Koalition der Selbstverwaltung

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Lange nicht mehr war die Gelegenheit so günstig für eine Steuerreform wie jetzt.

Von Alexander Hagelüken

Am Freitag war in Deutschland Rekordtag. Die Statistiker gaben bekannt, dass die Bundesrepublik noch nie in ihrer Geschichte so viele Waren exportiert hat wie im März 2015. Solche Rekordtage finden derzeit häufiger statt. Gerade sind so wenige Deutsche arbeitslos wie zuletzt in einem April vor 25 Jahren. Anders gesagt: Wie vor einer ganzen Generation. Nach der schwierigen Wiedervereinigung, ökonomischem Abstieg und der Finanzkrise geht es dem Land wirtschaftlich wieder sehr gut. Angesichts internationaler Erschütterungen vom islamischen Terror über den Ukrainekrieg bis zu einer obstruierenden griechischen Regierung lässt sich sagen: Erstaunlich gut.

Die Regierung verausgabt sich mit Symbolpolitik

In so einer Hoch-Zeit kann man fragen, was eine Regierung für ihre Bürger tut. Ja, Deutschlands Erfolg speist sich teils aus Glücksfällen wie billigem Öl, aber er ist doch vor allem harter Arbeit geschuldet. Die Unternehmen konkurrieren internationale Rivalen nieder, die Beschäftigten haben sich mit manch schmerzhafter Reform auf die Globalisierung eingestellt. Diese Anstrengungen finden keine Entsprechung in dem, was die Bundesregierung leistet. Ja, sie stoppt mit der schwarzen Null den ewigen Verschuldungstrend und verschafft mit dem Mindestlohn Menschen ohne Verhandlungsmacht faire Bezahlung. Aber soll es das gewesen sein? Für eine volle Wahlperiode ist das zu wenig, ganz abgesehen davon, dass sich die Regierung mit Symbolpolitik wie der Pkw-Maut und schädlichen Geschenken wie der Rente mit 63 für eine gut versorgte Generation verausgabt. Was die Regierung den Bürgern schuldet, ist ein Markstein. Die Chance dazu hätte sie: durch eine Steuerreform.

Nein, damit ist nicht der Kleinkram gemeint, zu dem sich Finanzminister Schäuble jetzt gezwungen sieht, weil der Staat nach der jüngsten Steuerschätzung für jeden sichtbar im Geld schwimmt. Den Bürgern die Inflation in einer Zeit auszugleichen, in der es kaum Inflation gibt: Das ist die Art von Alibi-Veranstaltung, die Wähler 2017 bestrafen sollten. SPD-Chef Gabriel deutet an, was wirklich geschehen sollte: "Eigentlich müssen wir an den Mittelstandsbauch ran". Nun muss er nur noch das eigentlich tilgen.

Der Mittelstandsbauch lässt Geringund Normalverdiener übermäßig zahlen, weil der Steuersatz am Anfang besonders steil ansteigt. Schon das Wort ist hässlich. Das zu ändern würde sehr vielen Deutschen mehr Geld verschaffen, nachdem von Steuerreformen in den vergangenen eineinhalb Dekaden meist die Reicheren profitiert haben. Das wäre nicht nur gerecht, sondern könnte einen ökonomischen Zweck erfüllen: Mehr Konsum in einer Volkswirtschaft anzuregen, die sehr von ihren Exporten abhängt.

Weil eine solche Reform rund 25 Milliarden Euro erfordert, müsste sich die Regierung auch bei volleren Kassen mehr Geld besorgen. Dafür bietet sich an, den Kurswechsel weg von den marktradikalen Jahren vor der Finanzkrise zu vollenden, als Steuerpolitiker einäugig auf Topverdiener und Firmen schielten, weil sie ihre Abwanderung befürchteten. Denkbar wäre etwa dreierlei: Ein höherer Spitzensteuersatz, was Ehepaare mit Kindern erst ab auskömmlichen 120 000 Euro Jahresverdienst berühren würde. Eine Korrektur der Abgeltungsteuer, die Hochverdiener nur wenig von ihren Kapitaleinkünften abfordert. Und ein stärkerer Beitrag der Minderheit der Deutschen mit hohem Erbe für die Gesellschaft.

Wann soll eine Regierung eine solch große Reform angreifen, wenn nicht in Boomjahren wie jetzt? Wenn sie so ein Projekt angeht, schafft sie etwas. Andernfalls wird sie als GroKoSe in die Geschichtsbücher eingehen - Große Koalition der Selbstverwaltung.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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