Kommentar:Erdoğans Dilemma

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Der türkische Präsident versucht mit allen Mitteln eine Geldpolitik durchzusetzen, die das Land auf Dauer nicht durchhalten kann.

Von Simon Groß

Der türkische Präsident Erdoğan stößt derzeit an die Grenzen seiner Machtpolitik. Es sind die Finanzmärkte, die ihn gerade in die Schranken weisen. Seit Anfang des Jahres hat die türkische Währung massiv an Wert verloren, ein Euro lässt sich mittlerweile gegen mehr als zehn Lira tauschen. Und die Möglichkeiten gegenzusteuern sind beschränkt.

Die türkische Wirtschaft befindet sich in einer Abwärtsspirale. Um die zu stoppen, müsste der türkische Präsident die Unabhängigkeit der Institutionen wieder herstellen und verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Außerdem müsste er sich mit höheren Zinsen versöhnen.

Am Samstag wurde bekannt, dass Erdoğan den bisherigen Chef der Zentralbank, Murat Uysal, entlässt. Es ist das zweite Mal binnen anderthalb Jahren, dass der Posten neu besetzt wird. Sein Vorgänger musste im Juli 2019 gehen - vorausgegangen waren Streitereien um die Zinspolitik. Der türkische Präsident wollte niedrigere Zinsen, die er dann auch mit der Ernennung von Uysal bekam. Doch mit der Arbeit von Uysal war er wohl auch nicht zufrieden. Der ehemalige Finanzminister Naci Ağbal wird nun dessen Nachfolger.

Daraufhin erklärte am Sonntag der amtierende Finanzminister und Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak überraschend seinen Rücktritt auf Instagram. "Aus gesundheitlichen Gründen" könne er nicht mehr im Kabinett dienen. Albayrak war während seiner zweijährigen Amtszeit harscher Kritik ausgesetzt, galt als ungeeignet für den Job. Er wurde trotzdem als möglicher Nachfolger Erdoğans gehandelt.

Billiges Geld soll die Wirtschaft antreiben

Was dann zu seiner Entlassung führte, ist unklar. Erdoğans Abneigung gegenüber hohen Zinsen ist fast schon legendär. Er selbst kokettierte, er habe eine Allergie dagegen. Mit dem billigen Geld will der türkische Präsident die Wirtschaft antreiben. Als im Frühjahr die Konjunktur wegen der Corona-Krise einbrach, senkte die Zentralbank den Leitzins noch einmal, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die türkischen Bürger selber können sich indes immer weniger leisten, weil steigende Preise die Kaufkraft senken. Die Abwertung der Lira verteuert die für die Türkei so wichtigen Importe. Zwar werden Exporte für das Ausland günstiger, aber viele Bestandteile und Rohmaterialien müssen zuvor erst ins Land geholt werden.

Während die Zentralbank in den vergangenen Monaten mit mäßigem Erfolg versuchte, die Lira durch den Verkauf schwindender Devisen zu stützen, machte die Regierung diffuse ausländische Kräfte für den Fall der Lira verantwortlich. Zuletzt sprach der Präsident von einem "Teufelsdreieck aus Zinsen, Wechselkursen und Inflation", gegen das sein Land kämpfe - Ablenkungsmanöver, die dazu dienen, das eigentliche Dilemma zu verdecken: Um ausländisches Kapital anzuziehen und die Lira zu stabilisieren, müssten die Zinsen dauerhaft höher liegen, zumindest sollten sie die Inflationsrate übersteigen. Doch das würde die Wirtschaft ausbremsen, in der aktuellen Lage also ein schwieriges Unterfangen. Und selbst eine Zinserhöhung allein ist kein Erfolgsgarant.

Ende September hob die Zentralbank den Leitzins überraschend an, einen nachhaltigen Effekt hatte es jedoch nicht. Das lag zum einen an dem Konflikt im benachbarten Bergkarabach, der schon bald auf den Kurs drückte. Zum anderen hätte der Zinsschritt größer ausfallen müssen, und eine von Beobachtern erwartete Erhöhung blieb kürzlich aus.

Die staatlichen Institutionen haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt

Doch das entscheidende Problem liegt mittlerweile woanders: Die staatlichen Institutionen haben ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Spätestens nach der jüngsten Entlassung des Zentralbankchefs dürfte klar sein, dass die formal unabhängige Institution nicht in der Lage ist, dauerhaft höhere Zinsen durchsetzen.

Das ist ein gewaltiges Problem, weil es das Misstrauen ausländischer Kapitalgeber nährt. Außerdem tauschen türkische Bürger ihr Erspartes immer öfter in Dollar oder Gold. Beides beschleunigt den Wertverlust der Lira. Und der führt wiederum dazu, dass es für türkische Unternehmen immer schwieriger wird, ihre Schulden im Ausland zurückzuzahlen.

Betroffen sind davon auch die stolzen Fußballklubs vom Bosporus. Schon vor der jetzigen Krise konnte manch ein Starspieler nicht mehr bezahlt werden, im schlimmsten Fall droht der Verkauf von Vereinen. Das würde nicht nur dem Fußballfan Erdoğan wehtun, es wäre auch ein Fanal für viele seiner treuen Anhänger. Mit den üblichen Mitteln der Machtpolitik wäre da nicht viel zu machen.

Ob nun der neue Zentralbankchef Ağbal eine bessere Figur macht als sein Vorgänger, ist fraglich. Denn auf Dauer ist der geldpolitische Kurs, den Erdoğan seinem Land verordnet, nicht durchzuhalten.

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