Kommentar:Der Glaube an die Zukunft

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Ein ID.3 von Volkswagen. (Foto: JENS SCHLUETER/AFP)

VW überholt SAP als teuerstes deutsches Unternehmen. Die Aktie steigt, die Anleger glauben offenbar den vollmundigen Ankündigungen. Aber ist der Börsenwert überhaupt wichtig?

Von Caspar Busse

Volkswagen ist wieder ganz vorn: Der Autobauer aus Wolfsburg hat den Softwarekonzern SAP als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen in Deutschland abgelöst. Schon seit einigen Wochen greifen die Anleger zu, in den vergangenen Tagen sind die Aktien sprunghaft gestiegen. VW, Europas größter Industriekonzern, bringt es nun auf beinahe 150 Milliarden Euro, mehr als BMW und Daimler zusammen. Offenbar verfangen die vollmundigen Ankündigungen von VW-Chef Herbert Diess, der anstelle von Tesla bald weltweit größter Anbieter von Elektroautos werden will.

Aber ist der Wert eines Unternehmens an der Börse überhaupt wichtig? Natürlich neigen die Aktienmärkte zu Irrationalem und zu Übertreibungen, gerade in diesen unruhigen Zeiten. Einmal werden nur die Risiken gesehen, ein anderes Mal nur die Chancen. Lufthansa etwa, Europas größte Fluggesellschaft, seit Jahrzehnten im Geschäft, ist in der Krise der Corona-Pandemie an der Börse gerade mal gut sieben Milliarden Euro wert. Hellofresh dagegen, ein Anbieter sogenannter Kochboxen, erst wenige Jahre am Markt, kommt auf mehr als elf Milliarden Euro.

Der Börsenkurs ist also immer auch das Ergebnis ziemlich subjektiver Einschätzungen und Erwartungen. Eigentlich werden nicht Anteilsscheine gehandelt, sondern Hoffnungen und Träume. Bei VW hat sich trotz des sprunghaften Anstiegs der Aktie im Grundsatz wenig geändert: Der Konzern kämpft mit dem grundlegenden Wandel der Branche, er ist noch immer viel zu sehr auf den Verkauf von Diesel- und Benzinfahrzeugen konzentriert, wird immer wieder von internen Führungsquerelen erschüttert und ist noch immer mit den Aufräumarbeiten des Dieselskandals beschäftigt.

Und doch ist es wichtig, dass der Börsenkurs steigt. Diess will VW zu einem Softwareunternehmen von Weltgeltung umbauen. So weit dieser Weg aus heutiger Sicht auch sein mag, offenbar glauben inzwischen immer mehr Investoren an diese Vision - und stecken ihr Geld in VW. Das ist auch ein Vertrauensvorschuss und ein Signal, dass die Botschaft ankommt.

Ein hoher Börsenkurs ist nicht nur wichtig für Image und Glaubwürdigkeit. Er steigert die Attraktivität, zum Beispiel für neue Mitarbeiter, VW sucht derzeit händeringend Softwareexperten. Es erleichtert gleichzeitig auch die Finanzierung der teuren Umbaupläne, frisches Kapital kann leichter aufgenommen werden, die Kreditwürdigkeit steigt, der offenbar geplante Teilbörsengang der Konzerntochter Porsche wäre leichter umzusetzen. Zudem bietet ein hoher Aktienkurs auch insgesamt einen gewissen Schutz - zum Beispiel vor Angriffen aggressiv auftretender Investoren oder vor Übernahmen (auch wenn das bei VW kein akutes Thema ist, da die Familien Porsche und Piech sowie das Land Niedersachen die Mehrheit kontrollieren).

In Sicherheit wiegen kann sich VW-Chef Diess aber nicht. Von dem Börsenwert des kalifornischen E-Auto-Pioniers Tesla ist VW noch immer sehr weit entfernt. Die Amerikaner, die nur ein Bruchteil des Umsatzes der Deutschen erwirtschaften, bringen es derzeit auf rund 600 Milliarden Euro - das ist das Vierfache von VW.

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