Kommentar:Bienen? Unbezahlbar

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Wie viel Schutz gesteht man der Natur zu, wenn wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen? Immerhin trägt die Natur einen großen Teil zur Wertschöpfung bei.

Von Silvia Liebrich

Die wohl bekannteste Biene der Welt findet für jedes Problem eine Lösung. Seit gut vier Jahrzehnten dreht Maja mit ihrem Freund Willi ihre Runden durch das Fernsehprogramm, immer mit Happy-End-Garantie. Ihre Artgenossen im echten Leben haben es da schon schwerer. Pflanzenschutzmittel und eine industriell geprägte Landwirtschaft setzten den Bienen zu. Einige besonders kritische Pestizide hat die EU-Kommission deshalb vor dreieinhalb Jahren untersagt. Doch ist ein solches Verbot haltbar, wenn den Herstellern dadurch ein Milliardengeschäft entgeht? Wie viel Schutz gesteht man der Natur zu, wenn wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen?

Mit genau diesen Fragen muss sich derzeit der Europäische Gerichtshof befassen. Die Produzenten der betroffenen Mittel, die deutschen Firmen Bayer und BASF sowie der Schweizer Konzern Syngenta, haben die EU wegen des Verbots verklagt. Rein faktisch müssen die Richter nun klären, ob genügend wissenschaftliche Belege vorlagen, die das Verbot rechtfertigen - eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen.

Setzten sich die Agrarkonzerne durch, könnten sie später Schadenersatz in Milliardenhöhe von der EU fordern, und dies könnte die Kommission künftig in ähnlichen Fällen davon abhalten, kritische Stoffe zu verbieten. Das ist die eigentliche Gefahr, die von diesem Verfahren ausgeht. Denn damit wäre der Politik wichtiger Handlungsspielraum genommen, um Mensch und Umwelt künftig vor riskanten Produkten und Technologien zu schützen. Dagegen steht der Anspruch der Industrie auf Umsatz und Gewinn. Sie hat im Vertrauen auf die Zulassung ihrer Pestizide viel investiert und will ein Verbot nicht hinnehmen.

Im Gerichtssaal allein wird sich dieser Konflikt nicht lösen lassen. Eine Antwort auf die Grundsatzfrage, was am Ende schwerer wiegt, der Schutz der Natur oder der von Investitionen, muss die Politik geben. Bisher ist das nicht geschehen. So streiten die EU-Länder schon seit Jahren über schärfere Regeln für die Risikobewertung von Pestiziden. Reformen wären dringend nötig, es muss besser geprüft werden. Bislang verlassen sich Behörden, wenn sie neue Stoffe zulassen, in hohem Maß auf Studien, die von den Herstellern selbst stammen, die unabhängige Expertise wird dagegen vernachlässigt. Ohne deren kritischen Blick werden Risiken aber leichter übersehen.

Vor allem aber ist eine Wende in der europäischen Agrarpolitik vonnöten. Die setzt bislang auf einen intensiven Anbau, der auch einen hohen Einsatz von Pestiziden verlangt. Ein System, das auf Dauer nicht funktionieren kann, denn der Einsatz in großen Mengen schadet Umwelt und Menschen. Stattdessen muss die Landwirtschaft lernen, natürliche Ressourcen besser zu schützen und sie intelligent zu nutzen. Denn die Natur trägt einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung im Agrarsektor bei. Ohne Bienen etwa wären 40 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion gefährdet. Nur dass deren Arbeitsleistung von den Landwirten nicht einkalkuliert werden muss, Bienen schicken keine Rechnung.

Wenn es um die Zukunft der Landwirtschaft geht, muss diese ehrliche Rechnung aber aufgemacht werden. Der Wert der Natur lässt sich nur schwer in Euro oder Dollar beziffern, sie ist unersetzlich und damit unbezahlbar. Wohin der Verlust von Bienen im Extremfall führen kann, hat sich in einigen Obstbau-Regionen in China gezeigt. Landarbeiter müssen dort die Blüten von Apfelbäumen von Hand bestäuben, weil es keine Bienen mehr gibt. Gemessen daran relativieren sich die Verluste der Industrie.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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