Kolumne: Silicon Future:Brille statt Flugzeug

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: N/A)

Nichts schlägt das persönliche Treffen, das wird auch immer so bleiben. Aber man muss auch nicht wegen jedes Pipifax-Meetings irgendwo hinfliegen. Die Technik wird schon bald Kommunikationsmöglichkeiten alltagstauglich machen, die weit über heutige Videokonferenzen hinausgehen.

Von Helmut Martin-Jung

Frühmorgens nach Frankfurt, am Nachmittag Berlin und dann schnell zurück nach München. Denn am nächsten Tag ist ja der Termin in Shenzhen, da will man doch ausgeruht sein. Was für ein Stress, doch der Job ist's halt wert. Muss ja, geht nicht anders.

Den Verdacht konnte man ja schon immer haben, aber es musste erst eine Pandemie über die Welt hereinbrechen, bis sich zeigte: Doch, es geht anders. Es bleibt zwar richtig, dass nichts das persönliche Treffen schlägt. Aber es ist eben auch richtig, dass man nicht immer um die Welt jetten muss. Nicht in einer Welt, die immer bessere Techniken der Kommunikation erfindet und die eine mittlerweile recht passabel ausgebaute Infrastruktur dafür hat: das Internet.

Allenthalben wird deshalb nun darüber sinniert, was bleiben werde, wenn erst einmal die Pandemie vorbei oder wenigstens eingehegt ist. Das weiß natürlich niemand, aber je länger der Corona-Ausnahmezustand anhält, umso klarer schält sich heraus: Auf einen Status wie vor dem Virus wird man nicht mehr zurückfallen.

Was wir momentan erleben, ist erst der Anfang

Dafür sprechen viele Gründe, vor allem: Digital zu kommunizieren spart viel Geld und Zeit. Die meisten haben inzwischen gelernt, mit den gar nicht so neuen Möglichkeiten der digitalen Kommunikation umzugehen, und es schätzen gelernt, dass man nicht mehr für jedes Pipifax-Meeting irgendwo hinfliegen muss.

Was wir momentan erleben, ist erst der Anfang. Nicht nur, dass die Netze irgendwann so ausgebaut sein werden, dass Videokonferenzen auch mit vielen Teilnehmern ruckelfrei funktionieren. Längst arbeiten Konzerne, aber auch innovative Start-ups an Ideen, die weit hinausgehen über das, was Zoom, Webex, Teams und all die anderen Plattformen heute bieten.

Virtuelle Realität zum Beispiel. Das kennt man heute vor allem aus Spielen. Doch in der Technik steckt ein viel größeres Potenzial. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis die Gerätschaften, die man dazu braucht, wirklich alltagstauglich sind. Die Virtual-Reality-Brillen von heute sind noch ziemlich klobig und schwer. Damit sie richtig sitzen, sollte man sie am Kopf gut festschnallen - mit der Folge, dass das mit Zeit unangenehm drücken kann. Wem beim Tragen dieser Brillen schwindlig oder sogar übel wird, der leidet womöglich an der digitalen Form der Reisekrankheit, im Fach-Denglisch motion sickness genannt. Doch das sind Kinderkrankheiten der Technik.

Vorstellen kann man sich ja jetzt schon mal, wie es sein könnte, wenn man nicht frühmorgens eingezwängt in eine Metallröhre verreisen müsste, sondern bequem von zu Hause oder auch vom Büro aus einem Treffen beiträte, bei dem man nicht bloß Gesicht und Oberkörper seiner Gesprächspartner sieht, sondern mit ihren virtuellen Repräsentanten auch herumlaufen und so auch in einer Kaffeepause ins Gespräch kommen kann.

Um es gleich zu sagen: Auch wenn die Technik bald auf diesen Stand kommen könnte, mit besseren Brillen, ruckelfreier Übertragung und so weiter - niemand wird bestreiten wollen, dass sie immer nur ein Ersatz ist. Und der ist eben nicht so gut wie das Original. Nur ist das Original halt anstrengend und in der Regel umweltschädlich. Ja, auch virtuelle Treffen verbrauchen Energie, aber um ein Vielfaches weniger.

Die goldene Vielfliegerkarte wird womöglich als Statussymbol abgelöst von der teuren VR-Brille

Die Frage "Musst du da wirklich hinfliegen?" werden Handlungsreisende also künftig öfter hören - übrigens nicht bloß von ihren Vorgesetzten, sondern auch von ihren Partnern zu Hause. Die müssen sich schließlich um die Familie kümmern, wenn Mama oder Papa auf Geschäftsreise sind. Womöglich wird auch nicht mehr die goldene Vielflieger-Karte das Statussymbol sein, sondern die besonders schicke VR-Brille.

Weil bis dahin noch ein bisschen Zeit ist, schadet es sicher nicht, sich mit ein paar Benimmregeln der heutigen digitalen Welt auseinanderzusetzen. Zunächst einmal sollten sich all jene locker machen, die glauben, der Schlendrian halte Einzug, wenn Hinz und Kunz von daheim aus arbeitet. Ob Herr Hinz eine Krawatte trägt, wenn er die Buchführung erledigt, ist ohnehin von eher untergeordneter Bedeutung.

Auch dass Frau Kunz es im Home-Office ruhiger angehen lässt, hat sich als falsch erwiesen. Die Gefahr ist im Gegenteil, dass manche es nicht schaffen, eine klare Grenze zwischen Arbeit und Privatleben zu ziehen. Arbeitgeber sollten hier nicht kurzfristig denken und ihre Leute auspressen, sondern diese klaren Grenzen wo immer möglich von sich aus ziehen. Bei Jobs, die nicht an eine Bürozeit gebunden sind, wäre auch zeitliche Flexibilität für viele eine große Hilfe. Und ist es eigentlich eine Frage, ob der Arbeitgeber sich auch um die Ausstattung des Heimarbeitsplatzes wenigstens Gedanken machen muss?

Qualität schadet selten, bei Videokonferenz-Geräten ist es genauso. Eine gute Webcam, die oben am großen Bildschirm befestigt ist, zeigt ein viel besseres Bild als die billigen Linsen in vielen Notebooks. Meist wird man dabei auch unvorteilhaft von unten aufgenommen. Wer die Kamera anhat, sollte auch mal gucken, wie man da rüberkommt. Gibt ja Zeitgenossen, die fast in ihren Laptop kriechen und dabei etwa ihre Nasenlöcher genauer zeigen, als man sie vielleicht sehen möchte.

Ganz wichtig: Mikro aus, wer nicht dran ist. Und wer dran ist, bestimmt am besten, wer das Meeting leitet. Übrigens hat sich gezeigt, dass die Gesprächskultur in vielen Meetings besser geworden ist, weil es das System einfach nicht verträgt, wenn alle durcheinanderreden. Das darf ruhig so bleiben.

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