Kolumne: Das deutsche Valley:Digital, ganz egal

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(Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)

Im Bundestagswahlkampf wird endlich auch über Sachthemen gestritten, heißt es vielerorts fast erleichtert. Nur leider immer noch nicht über Digitalisierung. Dabei wäre das so wichtig.

Von Marc Beise

"Unser Staat muss einfacher, schneller, digitaler und krisenfester werden", heißt es im Wahlprogramm einer maßgeblichen Partei für die Bundestagswahl. Welche Partei das genau ist, kann offen bleiben, denn von diesem Satz kann sich sowieso niemand etwas kaufen. Alle wissen: Die Welt dreht sich dank der neuen Technologien immer rascher, und Deutschland muss natürlich mitmachen. Weiß jeder, sagt jeder, schreibt jeder - und am Ende passiert doch wieder nix. Oder sagen wir freundlich: passiert wenig. Viel zu wenig.

In nahezu jeder einschlägigen Studie landet die frühere Wirtschaftsgroßmacht in den Digitalrankings im letzten Drittel der wichtigen Industrie- und Schwellenländer. Hinter den Vereinigten Staaten und China, aber auch hinter Ländern wie Brasilien und der Türkei. Sprüche wie: "Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir verloren, aber in der zweiten holen wir auf" sind von Wunschdenken getrieben.

"Unser Land muss einfacher, schneller und digitaler werden", das gilt bekanntlich namentlich für die Bildung. Und ein bisschen was ist in Folge der Pandemie ja auch geschehen, aber immer noch fehlen an zahlreichen Schulen Wlan und Computer und versuchen sich Lehrkräfte mühsam, in der digitalen Welt zurechtzufinden, wenn überhaupt. Besonders schlimm: Das Ganze ist weniger eine Frage des Geldes als vielmehr der Abläufe. Sagenhafte 6,5 Milliarden Euro hat die Bundespolitik für die digitale Ertüchtigung in der Bildung zur Verfügung gestellt, davon haben die - in der Sache zuständigen - Länder bisher nicht mal 1,5 Milliarden Euro beantragt, abgerufen sogar noch viel weniger.

So geht das nicht weiter, sagt Unionskanzlerkandidat Armin Laschet, der immerhin ein Digital-Kompetenzteam berufen hat, und in seinem Wahlprogramm wird versprochen, hier müsse man "dringend anpacken", heißt: mit den Ländern reden. Nur leider bekennt sich die Union im gleichen Atemzug zum "bewährten Bildungsföderalismus". Grüne und FDP immerhin wollen als Konsequenz des Länderversagens an den Stellschrauben des Föderalismus drehen, und die SPD will ein Grundrecht auf digitale Bildung einführen. Ansonsten hält sich die Olaf-Scholz-Partei bei dem Thema aber zurück, und ihr Kanzlerkandidat ist bisher auch nicht gerade als der oberste Digitalisierer der Republik aufgefallen.

Liest man nur die Wahlprogramme, könnte man allerdings glatt meinen, die Digitalisierung sei als eines der zentralen Zukunftsfelder des Landes erkannt, gefühlt alle zehn Sätze kommt das D-Wort buchstäblich oder umschrieben vor. Aber was das konkret heißt, bleibt vielfach offen. Am besten schlagen sich die kleineren Parteien: Bei der FDP wird das Thema auf häufigsten genannt - sowohl in einem eigenständigen Kapitel als auch bei vielen anderen Themen. Bei den Grünen findet sich kein eigenständiges Kapitel zur Digitalisierung, aber auch dort wird sie klugerweise in beinahe jedem Themenbereich aufgegriffen.

In den großen öffentlichen Debatten findet die Digitalisierung jedoch kaum statt. Wenn die Grüne Annalena Baerbock wie am Sonntag im jüngsten Fernsehspitzengespräch dazu einen Anlauf macht, kommt sie nicht weit: Das Interesse der Runde - und mutmaßlich auch der Zuschauer - wandte sich schnell anderen Themen zu.

All das erklärt, warum die Digitalwirtschaft und die Gründerszene zurecht so unzufrieden damit sind, wie die Digitalisierung im Wahlkampf behandelt wird. Die Branche spürt, dass hinter den Lippenbekenntnissen keine Leidenschaft steckt, und das ist das Problem. Da hilft dann auch kein Digitalministerium, wie es einige Parteien nun fordern. Am Ende kommt es nicht auf die Titel an, sondern auf das Bewusstsein. Nur wer wirklich vom Reformwillen durchdrungen ist, wird für technogische Offenheit sorgen und für vielfältige Unterstützung für Gründer, wird Voraussetzungen schaffen wie Hochleistungsanschlüsse wirklich in allen Haushalten und eine konsequent durchdigitalisierte Verwaltung - und wird konkret Strategien benennen für Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und Blockchain.

Nicht einmal das simple Schlagwort "Raumfahrt" findet sich in allen Programmen. Deutschland hat wirklich dringendere Sorgen als die Raumfahrt? Mag sein, aber dort wird die Technik entwickelt, die auch auf der Erde helfen kann.

Einer der erfolgreichsten Minister ist übrigens Jens Spahn. Der mittlerweile glücklose Gesundheitsminister hat "vor Corona" in seinem Fach, wo die Digitalisierung besonders wichtig wäre, einiges vorangebracht. Im Wahlkampf spielt das so wenig eine Rolle wie der einstige Shootingstar Spahn selbst. Pech fürs Thema.

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