Klimaschutz:Zehn Jahre, die entscheiden

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Mit diesem Jahr beginnt auch die dritte Dekade des Jahrhunderts - jener Abschnitt, in dem die Weichen für eine bessere Welt gestellt werden müssen. Kann das gelingen?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Dekade begann so still, so von der Pandemie überlagert, dass es kaum einer gemerkt hat. Ausgerechnet diese Dekade, in der doch endlich die Wende gelingen soll. Nach Jahrzehnten des Raubbaus sollen diese zehn Jahre den Kurswechsel hin zur Klimaneutralität einleiten. Der Artenschwund soll enden, und aus Ökonomien der Verschwendung sollen Kreislaufwirtschaften werden. Kann das gelingen?

Das sei längst nicht mehr die Frage, sagt Jennifer Tollmann, die sich beim Umwelt-Thinktank E3G mit Klimapolitik befasst. "Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, in dieser Dekade nicht die Wende zu schaffen." Es gehe nicht ums Ob. "Der Umbau muss einfach gelingen." Die Kosten des Klimawandels stiegen sonst ins Unermessliche.

Einer, der sich mit solchen Fragen auskennt, ist Dirk Messner. Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), war vor genau zehn Jahren einer der Köpfe des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen. Und genau vor zehn Jahren, zu Beginn der zweiten Dekade, erarbeitete der Beirat ein Papier zur "großen Transformation", hin zu einer postfossilen Wirtschaft. Es war eine Anleitung zu einer industriellen Revolution, flankiert von einem Gesellschaftsvertrag, der auch zwischen den Generationen gelten sollte. "Vielen Beobachtern schien es damals kaum vorstellbar, dass man diesen Wandel schaffen könnte", erinnert sich Messner. "Wir hatten in vielen Bereichen noch gar keine direkt umsetzbaren Antworten." Erst im Laufe der letzten Dekade habe sich das geändert. "Heute sehen wir überall, wie es geht", sagt Messner. Technologisch, ökonomisch und gesellschaftlich gebe es jetzt die Bedingungen für den Umbruch, die damals fehlten.

Tatsächlich hat die letzte Dekade viel verändert. Zwar stiegen die Emissionen weiter, gebremst zuletzt nur durch die Pandemie. Dies aber vor allem in Schwellenländern wie China - in vielen großen Industriestaaten sank der Ausstoß an Treibhausgasen. Erstmals gibt es einen Klimavertrag, mit dem die ganze Welt Abschied nehmen will von fossiler Energie. Erneuerbare Energien sind wettbewerbsfähig; in Verkehr und Industrie gibt es Alternativen zu Öl, Gas und Kohle. Und als die Staaten zuletzt Corona-Konjunkturpakete schnürten, nutzten viele das, um den grünen Umbau zu forcieren. "Viele haben gedacht, der Klimaschutz tritt in der Pandemie in den Hintergrund", sagt Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). "Aber das Gegenteil ist der Fall."

Der Umbau wird gewaltig. Kürzlich untersuchte die Stiftung Klimaneutralität, was allein in dieser Dekade in Deutschland geschehen muss, um Kurs zu halten auf netto null Emissionen. 14 Millionen Elektroautos müssten bis 2030 auf deutschen Straßen rollen, sechs Millionen Wärmepumpen in deutschen Häusern installiert sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien müsse auf 70 Prozent steigen, das letzte Kohlekraftwerk bis zum Ende der Dekade abgeschaltet sein - statt, wie bisher geplant, erst 2038. Nötig sei "eine komplett andere Gangart in der Klimapolitik", befanden die Urheber.

So gesehen beginnt die Dekade mit lauter guten Nachrichten. In den USA verspricht der künftige Präsident Joe Biden eine Kehrtwende zurück zur Klimapolitik, und das nun ausgestattet mit einer Mehrheit in beiden Kammern. Die EU hat gerade erst ihr Klimaziel aufgestockt, als Teil ihres groß angelegten Green-Deal-Plans. Und China bekennt sich erstmals dazu, bis 2060 klimaneutral werden zu wollen. Was sich da abzeichne, sei eine "geoökonomische Verschiebung zu mehr Nachhaltigkeit", sagt Umweltbundesamt-Chef Messner. "Damit machen sich die drei großen Märkte der Welt auf, Klimaschutz ernst zu nehmen." Das verändere vieles.

Die Wirtschaft rückt damit in den Fokus. "Eine der größten Chancen ist, dass wir die ökonomische und geopolitische Konkurrenz der drei nutzen können, um ein Wettrennen um die besten Lösungen zu organisieren", sagt E3G-Expertin Tollmann. Das aber verlange viel Kooperation, gemeinsame Standards - und offene Märkte. Geldströme müssten konsequent in grüne Technologien fließen, Subventionen in die fossilen Alternativen dagegen enden. "Und wenn das in dieser Dekade gelingen soll, müssen die wesentlichen Entscheidungen in den nächsten fünf Jahren fallen", sagt Tollmann. National wie international.

Abfall oder Rohstoff? Aus Ökonomien der Verschwendung müssen Kreislaufwirtschaften werden. (Foto: Gottfried Czepluch/Imago Images)

So viel Veränderung wirft auch in Deutschland eine Reihe neuer Fragen auf, denn unsichtbar bleibt dieser Umbau nicht. Es wird Infrastrukturen brauchen, mehr Windparks, andere Industrien. Es wird Verlierer geben und Menschen, denen der Wandel missfällt. "2030 wird dieses Land anders aussehen als heute", sagt Kai Niebert. "Und es wird Zeit, darüber zu reden." Niebert ist der Chef des Deutschen Naturschutzrings, des Dachverbands der Umweltverbände. Auch auf sie kämen unbequeme Diskussionen zu, etwa über die Rolle des Naturschutzes. "Wir müssen uns künftig gut überlegen, welche Natur wir schützen wollen", sagt Niebert. Wenn ein Vogel dafür herhalten müsse, ein Windrad zu verhindern, nur weil es die Aussicht stört, dann werde Naturschutz zu Heimatschutz umgedeutet. Das sei falsch.

Die Frage ist: Wie viel konsequenten Klimaschutz trägt eine Gesellschaft mit? "Man kann Widerstände nicht einfach übergehen. Sonst zerreißt uns die Gesellschaft." Am Ende gelinge der Umbau in dieser Dekade nur, wenn Bürger mitreden können. "Beteiligung wird zur zentralen Frage dieser Dekade", sagt Niebert. "Und zwar an der Planung wie auch an den Gewinnen des Umbaus." Nur so ließen sich die Dinge beschleunigen.

Eine Dekade beginnt mit Jahr eins und endet mit Jahr null. Was aber, wenn sich im nächsten Jahr null, 2030, der Umbau immer noch dahinschleppt? Wenn die globale Wende misslingt? Dann, sagt UBA-Chef Messner, "ist es eine andere Welt", die auf drei Grad Erderwärmung zusteuere. "Dann reden wir über Großunfälle im Erdsystem."

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