Klimaschutz:Kernaufgabe Sinneswandel

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Wald oder Kohle? Ein Paraglider fliegt mit einem Greenpeace-Transparent „Klima retten, Kohle stoppen“ über den Hambacher Forst, um dessen Rodung durch den Energiekonzern RWE zu verhindern. (Foto: Bernd Lauter/imago/CoverSpot)

Die EU-Kommission hat nur dann die Chance, ein nachhaltiges Finanzsystem aufzubauen, wenn es ihr gelingt, alle Akteure ins Boot zu holen.

Von Marcel Grzanna

Was benötigt Europa, um ein Finanzsystem aufzubauen, das eine nachhaltige Zukunft wertschätzt?", fragt sich Andrew Voysey, Direktor vom Institut für Nachhaltige Finanzwirtschaft an der Universität in Cambridge. Voysey beschäftigt diese Frage seit Jahren. Bislang ist es ihm nicht gelungen, sie in ihrer gesamten Komplexität zu beantworten. Denn Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, an ein paar finanzpolitischen Schrauben zu drehen, um Investitionen zu fördern, deren Maß an C0₂-Emissionen fürs Klima verträglich sind. Nachhaltigkeit bedeutet, ein Wirtschaftssystem zu entwickeln, das auch in allen anderen Bereichen der Umweltpolitik, aber auch in sozialen und gesellschaftlichen Fragen das Bewusstsein der Menschen verändert.

"Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Energie zahlen sich erst nach Jahren aus."

Voysey ist überzeugt: Sollte es der Europäischen Union gelingen, die Herausforderungen zu meistern, die der Wunsch einer wirksamen Nachhaltigkeit des Finanzsektors nach sich zieht, dann wird sich der Kontinent positiv verändern. Der 100-seitige-Bericht einer hochrangigen Expertengruppe lieferte Anfang des Jahres bereits viele Ansatzpunkte. Doch das Papier fokussiert sich auf das Problem des Klimawandels. Wie dagegen die knappen Wasserressourcen besser genutzt oder die Bodenqualität in der Landwirtschaft zur Versorgungssicherheit verbessert werden können, wird weniger detailliert aufgegriffen. Auch der Aspekt, wie künftige Investitionen soziale Ungleichheiten bekämpfen können, um den gesellschaftlichen Frieden wiederherzustellen, ist unterrepräsentiert.

Zumindest aber sieht Andrew Voysey in der Veröffentlichung des Papiers einen "tief greifenden Moment in der Evolution eines nachhaltigen Finanzsystems". Die EU-Kommission stellte im März ihren Aktionsplan vor. Nach der Arbeit der Expertengruppe war dies der zweite Schritt auf einem langem Weg. "Dieser Bericht bietet nur Hilfestellung an. Jetzt geht es darum, der Europäischen Kommission den Rückhalt zu geben, den es braucht, um diese ambitionierte Agenda umsetzen", sagt der Brite. Rückhalt für die EU-Kommission bedeutet , dass alle Akteure aus der Finanzindustrie, aber auch die Investoren geduldig und bereit dafür sind, Rückschläge, Verzögerungen und auch Fehler in Kauf zu nehmen. Die Umsetzung des Aktionsplans kann in kurzer Zeit nicht reibungslos funktionieren. Vor allem auch, weil die Anforderungen an jene zu groß sind, die seit Jahrzehnten vornehmlich die Maximierung des Profits als Messlatte ihrer Arbeit vorgelebt bekommen haben. Hier einen Sinneswandel einzuleiten, gilt als Kernaufgabe.

"Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Energie zahlen sich erst nach Jahren oder Jahrzehnten aus und passen nicht zu vielen schnellen und spekulativen Akteuren der Finanzwirtschaft. Der so genannte 'short-termism' ist ein klares Hindernis für eine nachhaltigere Finanzwirtschaft", sagt die Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RND) der Bundesregierung, Marlehn Thieme. Gelingen kann die Reform nur, wenn nachhaltige Finanzierung von allen Seiten als Handlungsmuster der Zukunft verstanden wird. Dazu gehört, dass Geldinstitute und Finanzdienstleister ihre notorischen Reflexe der Geheimhaltung ablegen müssen. "Bezogen auf Transparenzanforderungen heißt das: die Wertschöpfungskette von Banken und Finanzdienstleistern gerät ins Blickfeld", sagt RND-Vorsitzende Thieme. Die Angst vor zu viel Transparenz dürfte manchem Firmenchef den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Denn die Sorge vor einem Verlust der eigenen Wettbewerbsfähigkeit wegen zu großer Transparenz könnte hie und da für Widerstand sorgen.

Eine entsprechend Aus- und Weiterbildung in den Institutionen und Unternehmen muss dafür die Grundlagen schaffen. Auch in den Schulen und Universitäten müsste sich ein entsprechender Kulturwandel vollziehen. Doch die Zeit drängt, will die EU bis 2030 ihre Zusagen zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens halten. Gerade auch in den Unternehmen ist die Rückendeckung für die Umsetzung besonders wichtig, zumal auch kleine und mittelständische Betriebe ins Boot geholt werden müssen. Jede neue Produktionsstätte, Lagerhalle oder Bürofläche kann heute schon nachhaltig gebaut werden. "Jetzt müssen Entscheidungen getroffen werden für Immobilienprojekte, die gesellschaftlich, ökologisch und ökonomisch überzeugen - kurzfristig und langfristig", sagt RND-Vorsitzende Thieme.

Firmen, die sich benachteiligt fühlen, könnten die Brüsseler Vorgaben anfechten

Das alles kostet Geld und könnte die Umstrukturierung bremsen, zumal wenn es der EU nicht gelingt, in Kürze Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Ein Meilenstein bis 2020 soll die Taxonomie werden, die Klassifizierung von Investitionsprojekten nach ihrem Wert für eine nachhaltige Wirtschaft. Dann soll unter anderem feststehen, ob Banken zur Finanzierung von grünen Projekten eine geringere Eigenkapitalquote nachweisen müssen als zur Finanzierung von braunen, also weniger umweltfreundlichen Investitionen. Die Frage dabei ist, welche Risiken als höher eingestuft werden: die höhere Belastung für die Umwelt oder jene, die die Stabilität des Finanzsystems ins Wanken bringen. Grüne Zertifikate sind nur solange gut, wie sie garantieren können, dass der Wirtschaftskreislauf nicht in sich zusammenbricht.

Unternehmen, die sich durch die Taxonomie benachteiligt fühlen, könnten die Brüsseler Vorgaben anfechten. Das würde wertvolle Zeit kosten. Doch weder kann das Klima warten, noch sollte die EU die Chance vergeben, eine Vorreiterrolle in der Welt zu übernehmen. Auch weil Europa bei den alternativen Energien oder auch bei Elektromobilität den Anschluss beispielsweise an China zu verlieren droht. Wenn sie mit gutem Beispiel erfolgreich vorangeht, kann sie die Eckpfeiler für andere Regionen in der Welt setzen, auch was das sogenannte Governance angeht, also die Werte, nach denen Wirtschaftsunternehmen, aber auch politische Akteure vom jeweiligen Management geführt werden.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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