Interview:"Was die Jugend sagt, ist sehr wichtig"

Lesezeit: 4 min

Die Unternehmerin Emma Marcegaglia leitet als erste Frau die globale Unternehmergruppe B 20. (Foto: Vincenzo Nuzzolese /imago)

Emma Marcegaglia aus Italien führt die globale Unternehmergruppe B 20 und fordert deutlich mehr Anstrengungen für das Klima.

Interview von Ulrike Sauer

Netzwerken gehört zu den Stärken von Emma Marcegaglia, 55. Die Stahlunternehmerin hat bereits den italienischen Industrieverband und die Unternehmerlobby Business Europe geführt. Nun leitet die forsche Italienerin als erste Frau die globale Unternehmergruppe B 20, das Pendant der Wirtschaft zum G20 der größten Industrieländer der Welt. Am Freitag wird sie 32 Empfehlungen des B 20 an Mario Draghi übergeben, der Ende Oktober dem G 20 in Rom vorsitzt. Bei der virtuellen Gruppenarbeit war mit 2000 Teilnehmern die Beteiligung nicht nur zahlenmäßig sehr hoch, ungewöhnlich war auch die Unterstützung hochkarätiger Unternehmer wie Jeff Bezos oder Bill Gates gewesen.

SZ: Frau Marcegaglia, 2021 steht weltweit nicht nur im Zeichen der Pandemie, sondern auch extrem zerstörerischer Klimaphänomene. Hat das die Einstellung der globalen Wirtschaft verändert?

Emma Marcegaglia: Die großen Krisen der Gegenwart haben die Einstellung der Unternehmer unwiderruflich verändert. Es besteht kein Zweifel mehr daran, dass der Einsatz im Kampf gegen die Ungleichheit und gegen die Klimakrise ein gemeinsames Anliegen geworden ist. Früher standen beim B 20 Wettbewerbsfähigkeit, Energie und Finanz im Mittelpunkt. Heute heißt unser Motto zur Gestaltung der Zukunft: include, share, act, also: einbinden, teilen, handeln.

Beim B 20 lauert wie auf allen Gipfeltreffen das Risiko fadenscheiniger Kompromisse und vorgeschobener Einigungen. Was tun Sie dagegen?

Wir wollten vermeiden, schöne Erklärungen abzugeben, die aber tote Buchstaben bleiben. Jeder B 20 legt bisher sein Abschlussdokument vor, das die Arbeit aus dem Vorjahr völlig außer Acht lässt. So fängt man jedes Mal wieder von vorne an. Das ist schlimm, denn die globalen Probleme sind ja meist ungelöst. Deshalb überreichen wir dem G-20-Vorsitzenden Mario Draghi am Freitag nicht nur unsere Empfehlungen. Jede Empfehlung ist auch an drei konkrete Aktionen geknüpft, für die es messbare Zielvorgaben bis 2024 gibt. Zudem möchten wir Kontinuität herstellen. Meine indonesische Nachfolgerin Shinta Kamdani hat an allen Arbeiten unseres B 20 teilgenommen. Mitglieder aus dem italienischen Team werden den kommenden B 20 begleiten.

Greta Thunberg hat gerade in Mailand den Politikern und den Unternehmen "Blabla" vorgeworfen. Wird der B 20 die jungen Menschen wieder enttäuschen?

Was die Jugend sagt, ist sehr wichtig. Greta spielt eine unverzichtbare Rolle. Sie hat das Bewusstsein enorm gesteigert. Und es ist wichtig, dass sie weiter ihre Stimme erhebt. Natürlich ist die Sache nicht so einfach. Wie Draghi erklärt hat, muss das "Blabla" am Verhandlungstisch dafür sorgen, dass die Menschheit den komplexen Wandel hinbekommt. Der B 20 macht sehr konkrete Vorschläge. Wir fordern große Investitionen der Staaten und der Unternehmen in die Klimaneutralität und in die Entwicklung nachhaltiger Technologien. Europa kann dabei weiterhin die Führungsrolle spielen, aber wir erwarten Verpflichtungen aller Länder auf dem G 20 und auf der Klimakonferenz im November. Ich bin recht zuversichtlich, dass wir Fortschritte erzielen werden. China bewegt sich und drosselt seine Produktionskapazitäten. Indien investiert in erneuerbare Energien. Die Vereinigten Staaten drängen endlich auf die Erfüllung der Ziele.

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi empfängt Ende September die schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg (rechts). (Foto: AFP)

Auch das Thema "Woman Empowerment" stand im Mittelpunkt des B 20. Welche Forderungen stellen Sie an die Regierungen?

Wir brauchen eine kulturelle Revolution, die in den Familien, in den Firmen, in den Schulen und in den Institutionen das traditionelle Rollenbild der Frau beseitigt. Zweitens benötigen wir Geld zur gezielten Förderung der Mädchen vom Grundschulalter an in den Mint-Fächern. Die wichtigen Jobs von morgen basieren auf technischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen. Drittens muss die Politik Frauen den Zugang zu Arbeit und Unternehmertum erleichtern. Die Genderparität in der Arbeitswelt ist nicht nur ein ethisches Anliegen, sondern auch der größte Antreiber für globales Wachstum.

Italien ist die Überraschung des Jahres. Noch im Februar war das Land besonders stark von der Pandemie gebeutelt und politisch abgeschrieben, die Wirtschaft lag am Boden. Auf einmal schaut man bewundernd auf Ihr Land. Was ist los?

Italien hatte auch vorher seine Stärken. Wir sind in Europa die zweitstärksten Hersteller von Industriegütern. Wir haben in der Pandemie ein außerordentliches Reaktionsvermögen an den Tag gelegt. Das Land verfügt zudem über eine hohe Sparquote und solide Institutionen.

Trotzdem stand Italien mal wieder am Rand des Abgrunds. Was ist passiert?

Es kam Draghi. Er ist heute zweifellos eine der stärksten Figuren auf der internationalen Bühne. Draghi hat bei den Italienern, den Unternehmen und den Investoren ein großes Vertrauen geweckt. Er agierte außerordentlich erfolgreich. Die Regierung hat die Pandemie in den Griff bekommen. Bei uns ist die Impfquote auf mehr als 80 Prozent gestiegen. Ohne langes Fackeln hat Draghi eine Ausweispflicht in allen Bereichen des öffentlichen Lebens und auch am Arbeitsplatz durchgesetzt. Ebenso zielstrebig treibt die Regierung den Einsatz der europäischen Investitionshilfen voran. Hinzu kommt, dass die EU ihren Aufbauplan Next Generation EU sehr gut konzipiert hat. Wir haben die Chance, Italien strukturell zu verändern. Natürlich müssen wir jetzt so weitermachen.

Sehen Sie denn Anzeichen für einen echten Wandel?

Die Justizreform ist ein wichtiges Signal. Sie packt jahrzehntealte Probleme an. Gleiches gilt für die Bürokratiereform. Das ist nur der Anfang. Aber Draghi und seine Regierung sind sich darüber im Klaren, dass ohne Reformen in Italien das erste Projekt der europäischen Solidarität in sich zusammenfallen wird.

Haben das auch die italienischen Parteien verstanden?

Ja. Sie müssen alle in den Spiegel blicken. Welche Partei will schon verantwortlich dafür sein, dass das Land 180 Milliarden Euro Investitionen verliert? Auf dem Spiel steht das Siebenfache des Marshallplans.

Schon in vier Monaten könnte Draghi zum Staatspräsidenten gewählt werden. Der Industrieverband setzt sich lautstark dafür ein, dass er weiterregiert. Haben die Unternehmer Angst, Italiens Retter zu verlieren?

Uns liegt daran, dass Italien weiter reformiert wird. Natürlich kommt es auch auf die Personen an. Aber ist der Weg einmal eingeschlagen, wird es schwer, wieder umzukehren.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: