Klimagesetz:Thunberg und die Industrie enttäuscht

Lesezeit: 3 min

Ob die Alten es noch kapieren? Klima-Aktivistin Greta Thunberg (rechts) nimmt im März an der wöchentlichen Sitzung der EU-Kommissare teil. Ursula von der Leyen (links) präsentierte an dem Tag ihr Klimagesetz - und stieß damit bei Thunberg auf Kritik. (Foto: Virginia Mayo/AP)

Die EU-Kommission schreibt Ziele für den Ausstoß an Treibhausgasen fest - und macht es niemandem recht.

Von Karoline Meta Beisel und Björn Finke, Brüssel

Die allwöchentliche Sitzung der EU-Kommissare gehört zu Brüssels exklusivsten Veranstaltungen. Die Präsidentin, die Generalsekretärin und die Kommissare dürfen nur ihre engsten Mitarbeiter mit hineinnehmen; seit Ursula von der Leyen im Amt ist, müssen sogar Handys draußen bleiben. An diesem Mittwoch aber machte von der Leyen eine Ausnahme: Aus Anlass der Präsentation des Vorschlags für ihr neues Klimaschutzgesetz hatte sie Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg in die Runde eingeladen. In grauer Kapuzenjacke und Fellstiefeln nahm sie links neben der CDU-Politikerin Platz.

Was genau Thunberg den Kommissaren danach sagte, wurde zunächst nicht bekannt, doch allzu freundlich dürften ihre Worte nicht gewesen sein: "Mit diesem Klimagesetz erklärt die EU indirekt ihre Niederlage", sagte Thunberg am Nachmittag bei einem Auftritt im Europaparlament. Das Gesetz soll das Ziel verbindlich festschreiben, bis 2050 klimaneutral zu werden - also einen Zustand zu erreichen, in dem sich der Anteil von Klimagasen in der Atmosphäre nicht mehr erhöht. "Eure fernen Ziele werden bedeutungslos sein, wenn wir bis dahin weitermachen wie bisher", sagte Thunberg. Ähnlich hatte sie sich bereits am Tag zuvor in einem offenen Brief geäußert, den sie mit anderen Aktivisten verfasst hatte. "Wir brauchen Ziele nicht erst für 2030 oder 2050. Wir brauchen sie vor allem für 2020, für jeden darauffolgenden Monat und für jedes darauffolgende Jahr", heißt es in dem Brief.

Das sei kein "Plan für Tesla-fahrende Tofu-Esser", sagt Vizepräsident Timmermans

Das Klimagesetz ist zentrales Element in von der Leyens "European Green Deal": "Dieses Gesetz wird unser Kompass für die kommenden 30 Jahre sein und uns jeden Schritt auf dem Weg dorthin zeigen", sagte von der Leyen. Auf das Ziel für 2050 hatten sich die EU-Staaten bereits im Dezember grundsätzlich geeinigt. Das Gesetz, dem Europaparlament und Ministerrat zustimmen müssen, umreißt den Weg dorthin.

So zwingt es die Kommission, das Klimaziel bei Vorschlägen für Rechtsakte zu berücksichtigen. Von 2023 an wird die Behörde alle fünf Jahre überprüfen, ob die Zielmarke zu halten ist, und Mitgliedstaaten Verbesserungsvorschläge machen. Ein neues Klimaziel für 2030 - eine wichtige Wegmarke - enthält der Gesetzesvorschlag aber noch nicht. Bisher strebt die EU an, bis dahin 40 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990 auszustoßen, doch Kritiker halten das nicht für ausreichend. Die Kommission verspricht, zu untersuchen, wie das Ziel auf 50 bis 55 Prozent angehoben werden kann, und im September einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Weitere Zwischenziele für die zwei Jahrzehnte von 2030 bis 2050 will die Behörde später selbst setzen.

Die angekündigte Verschärfung für 2030 stößt auf den Widerstand der Wirtschaft: "In jedem Fall werden sich strengere Reduktionsziele in noch höheren Kosten für Unternehmen niederschlagen", klagt etwa der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Auf der anderen Seite sind die Grünen im Europaparlament unzufrieden damit, dass das Gesetz nicht sofort einen ehrgeizigeren Wert für 2030 festschreibt. "Wenn die EU-Kommission erst im September Klimaziele für 2030 vorlegt, kann sie andere nicht mitziehen und ist viel zu spät für Glasgow", sagt Fraktionschefin Ska Keller. In der Stadt findet im November ein internationaler Klimagipfel statt.

Doch der zuständige Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans verteidigt die späte Veröffentlichung: "Wenn ich eine Prozentzahl heute oder morgen präsentierte, ohne sorgfältige Untersuchung der Folgen, würden wir eine endlose Debatte mit Mitgliedstaaten und anderen bekommen, die sagen, dass die Zahlen der Kommission nicht stimmen und angezweifelt werden", sagte er in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung und einer Handvoll ausländischer Medien. Und seine Fachleute hätten ihm gesagt, sie bräuchten noch den Sommer für diese Folgenabschätzung.

Das Klimaschutzgesetz bezeichnete der Sozialdemokrat als "revolutionär". Es stelle sicher, dass die EU ihren Klimazielen weiter folge, selbst wenn ganz andere Themen die politische Debatte bestimmten. "Ich habe keinen Zweifel, dass wir bis 2050 immer wieder abgelenkt sein werden. Wir werden andere Krisen und Herausforderungen haben. Genau deshalb brauchen wir das Klimaschutzgesetz", sagte der Niederländer.

Beim Green Deal, dem Klimaschutz-Programm der EU, sei es sehr wichtig - und "am schwierigsten" -, "zu zeigen, dass dies der ganzen Gesellschaft dient und dass wir niemanden abhängen", sagte der frühere Außenminister. "Ich gebe hier keine Garantien, aber ich denke, wir können das schaffen." Gelinge das nicht, "geben wir extremistischen Parteien Futter, die versuchen werden zu zeigen, dass dies nur ein Plan für Tesla-fahrende Tofu-Esser ist". Dabei würden in Wirklichkeit die Armen am stärksten leiden, wenn der Klimawandel nicht gebremst werde.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: