Kaputtes iPhone-Display:Lässige Splitter

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Zerbrochenes iPhone-Display: Was man oft in der Hand hat, fällt irgendwann mal runter. (Foto: N/A)

Das Smartphone-Display ist gesplittert? Einfach offensiv damit umgehen. Immerhin sind die Risse im iPhone der beste Gesprächseinstieg und Flirtstart, seit die Zigarette verbannt wurde.

Von Max Scharnigg

Das ewige Gesetz der Schwerkraft lautet: Was man oft in der Hand hat, fällt irgendwann mal runter. Es gilt besonders für Smartphones, die ja ständig herumgetragen werden wollen, die von Hosentaschen in Autotürfächer, über Schreibtische, Konferenztische und Kantinentabletts wandern und zwischendurch eben mal entgleiten - pardauz, kaputt! Dass etwas so Digitales wie ein Smartphone so analog zersplittern kann wie eine Kristallvase, gehört unbedingt zu den Seltsamkeiten der jüngeren Moderne.

Irgendwann jedenfalls hat das Fenster zur Netzwelt einen Sprung, und man schneidet sich beim Touchen. Leider ist die gesplitterte Scheibe beim Telefon, anders als beim Auto, meist kein Versicherungsfall. Nein, man muss damit kostenpflichtig zum Phone-Doctor, Handy-Chirurgie ist ja mittlerweile ein eigener Geschäftszweig. Überall an den nicht ganz so feinen Ecken der Stadt sind Notambulanzen entstanden, in denen junge Herren das wichtige Altglas ins Hinterzimmer mitnehmen, um es zehn Minuten später neu verglast und mit einer Rechnung über 80 Euro zurückzubringen. Trotz dieser halbwegs funktionierenden Infrastruktur scheint die Heilung des Gerätes in letzter Zeit aber gar nicht mehr so dringend zu sein. Wenn heute an einem Kneipentisch sechs Smartphones herumliegen, haben mindestens zwei davon dauerhafte Schäden und Löcher, die ihre Besitzer nicht weiter genieren - solange freilich die Funktionalität noch irgendwie gewährleistet ist. Exakt acht Jahre nach der Vorstellung des iPhones kann man aus diesem nonchalanten Umgang mit kaputten Smartphones einiges herauslesen. Erstens ist aus dem Vorzeige-Maschinchen offenbar wirklich ein schnödes Alltagsding geworden, das nicht unbedingt in Schuss gehalten werden muss. Einfach, weil sich damit keinerlei Distinktionsgewinn mehr erzielen lässt, jeder hat eines.

Aus dem Riss eine Tugend machen

Im Gegenteil: Ein kaputtes Smartphone ist viel individueller kaputt, als ein heiles Smartphone individuell heil ist. Sauber ist es langweilig, halbzerstört verleiht es seinem Besitzer immerhin einen belebten Anstrich und deutet etwas an in der Art: Der war hart feiern, wild klettern, verrückt verreist. Und ist außerdem, zweiter Pluspunkt, lässig genug, sich an dem zerkratzen Display oder dem demolierten Kotflügel nicht weiter zu stören. Man weiß seit Hank Moody, dem Lässigkeit-Extremisten der US-Serie "Californication", dass auch ein wunderbarer 911er-Porsche noch mal neuen Charme bekommt, wenn man ihn betont staubig und vermüllt mit sich führt. Sobald man dem Handy-Besitzer also zutraut, dass er sein kaputtes Smartphone zwar reparieren lassen könnte, aber schlicht keinen Wert darauf legt, weil es eben nur ein verdammtes Netz-Nutzteil ist, hat es doch wieder Distinktionspotenzial.

Außerdem: In der Keramik gelten Risse in der Glasur, sogenannte Craquelés, durchaus als ästhetischer Zugewinn. Sie verleihen jedem Stück schließlich authentischen und einzigartigen Charakter. Das darf beim Handy heute genauso gelten, zumal es nun mal das Lieblingswerkzeug der Superindividualisten ist. Findige Kreative haben die Schäden ihres iPhones dann auch gleich geheiligt, indem sie Lebensmittelfarbe oder Nagellack in die Craquelés tröpfelten. Diese "Sharpie" genannte Technik adelt die Risse zu spannenden Farb-Topografien, und das Phone ist damit, was sonst nur seine Inhalte sind: personalisiert. Denn kein Schaden, kein Farbverlauf ist gleich. In Galerien auf Pinterest werden die derart künstlerisch aufgewertetem Glasschäden stolz präsentiert.

Auch wer nicht so weit gehen möchte, aus dem Riss eine Tugend zu machen, wird feststellen, dass das zersplitterte Handy der beste Gesprächseinstieg und Flirtstart ist, seit die Zigarette verbannt wurde. Schließlich verbirgt sich immer eine gute Geschichte dahinter. Welche spiegelglatte Oberfläche kann das schon von sich behaupten?

© SZ vom 10.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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