Josef Ackermann unter Druck:Haltung bewahren in der Krise

Lesezeit: 6 min

Warum sich der mächtige Chef der Deutschen Bank seit jeher unverstanden fühlt.

H. Kerscher, C. Busse, N. Piper und K.-H. Büschemann

Alle reden über Ackermann an diesem trüben Dezembervormittag im Karlsruher Bundesgerichtshof. Aber der Chef der Deutschen Bank ist nicht da.

Wie schon zur mündlichen Verhandlung Ende Oktober ist als einziger der prominenten Angeklagten im Mannesmann-Prozess der frühere Konzernchef Klaus Esser zur Urteilsverkündung erschienen. Auf ihn konzentriert sich das Rudel der Journaille.

Wie bei einer Stampede rasen die Reporter auf Essers silberne Mercedes-Limousine zu, die der Fahrer des früheren Mannesmann-Chefs soeben in den Hof gesteuert hat. Der mittlerweile medienerfahrene Herr des Verfahrens, Richter Klaus Tolksdorf, hat das vorausgesehen und Vorsorge getroffen.

Flugs flankiert der Erste Justizhauptwachtmeister Karl-Heinz Pieper mit einem Kollegen den schmächtigen Mann und führt ihn die paar Meter bis zu dem ebenerdigen Empfangssaal, in dem das Urteil verkündet werden soll. Ein Urteil, von dem so viel abhängen wird.

Esser begrüßt seine Anwälte, wechselt ein paar freundliche Worte mit seinem größten Gegner, dem Bundesanwalt Gerhard Altvater, und wartet angespannt auf den 3. Strafsenat, der gerade den Raum betritt. Dessen Vorsitzender Tolksdorf, kaum weniger angespannt, hält sich nicht lange mit Vorreden auf und verkündet das Urteil: Alle Freisprüche sind aufgehoben, der Prozess muss in Düsseldorf komplett neu aufgerollt werden. Es ist 10.30 Uhr an diesem Mittwoch.

Esser greift sofort zum Handy. Ein ruhiges Gespräch ist nicht möglich, denn Kameraleute und Journalisten ziehen einen engen Ring um ihn, bis BGH-Pressesprecher Hans-Ulrich Joeres ein Einsehen hat und einschreitet. Eines ist schon zu diesem Zeitpunkt klar: Der BGH hält die an Esser und seinen Vorgänger Joachim Funk gezahlten "freiwilligen Anerkennungsprämien" in Millionenhöhe für rechtswidrig.

Ein Schlag für Esser. Aber vor allem ein Schlag für Josef Ackermann, den Chef der Deutschen Bank. Denn der muss sich, wie auch Funk und der frühere IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, erneut wegen Untreue vor Gericht verantworten. Und viele fragen sich sofort: Wird Ackermann, der mächtigste Banker Deutschlands, jetzt noch zu halten sein als Chef?

Vor allem enttäuscht

Josef Ackermann ist am Mittwochvormittag auf dem Weg nach München, als ihn die schlechte Nachricht aus Karlsruhe erreicht. Er wird auf einem Treffen der wichtigsten Bank- und Versicherungsmanager erwartet. Auch Finanzminister Peer Steinbrück ist dabei. Business as usual heißt die Botschaft. Dabei wird die Luft immer dünner für den mächtigen Manager.

Josef Ackermann ist bekannt als ein netter Kerl, er ist höflich, geradeheraus, hat angenehme Umgangsformen. Gesprächspartner sind schnell von ihm eingenommen. Bescheiden sei er, zurückhaltend, präzise, so das Urteil derer, die ihn gut kennen. Mit dem Chef der Deutschen Bank lässt sich gut bei einem Glas Rotwein über das Bankwesen, über die Wissenschaften, über Musik und über Deutschland reden.

Besonders über Deutschland, über das Land, in dem er sich nie ganz zu Hause gefühlt hat. Ackermann, der gebürtige Schweizer, verhält sich wie ein höflicher Gast. Er fordert nicht, er klagt nicht an, nein: Er ist erstaunt über die Kritik und manchmal den Hass, der ihm aus der deutschen Öffentlichkeit entgegenschlägt.

"Ich wundere mich", hat er zum Beispiel in diesem Frühjahr in Berlin vor einem kleinen Kreis von Ökonomen, Politikern und Journalisten gesagt, "warum die Deutschen nicht stolz sind auf die Deutsche Bank." Schließlich ist das Institut, dem er vorsteht, die letzte Bank des Landes, die noch im globalen Spiel der Kräfte mithält.

Und so eine Bank muss eben ungefähr so viel verdienen, wie die der anderen Mitspieler. Konkret heißt das: Sie muss 25 Prozent auf das eingesetzte Kapital einbringen, was für Fachleute normal ist, in den Ohren von Arbeitnehmern und Kunden aber brutal klingt. Vor allem, wenn das heißt, dass gleichzeitig 6400 Arbeitsplätze gestrichen werden. Trotzdem. Wie stünde Deutschland da, wenn es die Deutsche Bank nicht mehr gäbe?

Ackermann ist enttäuscht. Vor allem von den deutschen Politikern und Wirtschaftsführern. Zum Beispiel auch von Gerhard Schröder, mit dem er sich im Frühjahr 2004 zu einem vertraulichen Gespräch über die Deutsche Bank und die Postbank getroffen hatte.

Der Inhalt des Gesprächs stand am übernächsten Tag in der Zeitung, und zwar ganz anders, als er es selbst in Erinnerung hatte. Wohin man auch schaut: Es gibt keinen Prominenten, der sich vor Ackermann gestellt hätte.

Es gab auch keine Hilfe, als jenes böse Theaterstück namens "McKinsey kommt" uraufgeführt wurde. In ihm spielt der Autor Rolf Hochhuth mehr oder minder offen mit dem Gedanken, ein Mord an Ackermann könne irgendwie legitim sein. Man kann nur ahnen, wie sehr das den Banken-Chef verletzt hat.

Mittwochnachmittag, Königinstraße 107 in München, nur ein paar Meter vom Englischen Garten entfernt. Vor dem Säulenportal des Palasts, über dem die mächtige Steintafel sagt, dass hier die ehrwürdige "Muenchener Rueckversicherungsgesellschaft" ihren Sitz hat, warten in der grauen Feuchtigkeit dieses Wintertages ein paar Kameras und Journalisten.

In dem klassizistischen Gebäude des vielleicht wohlhabendsten deutschen Unternehmens beginnt in wenigen Minuten die Jahrestagung der "Initiative Finanzstandort Deutschland". Die 2003 von den großen deutschen Banken und Versicherungen gegründete Initiative will diese Republik zu einem modernen Platz für Banken und Versicherungen machen. Und sie will ein "Sprachrohr der Branche" sein. Da darf der Schweizer Banker nicht fehlen, der die deutsche Bankenszene schon seit jeher als viel zu rückständig empfindet. Nicht einmal an diesem Tag.

Angst vor dem Imageverlust

Die über dem Portal angebrachte Turmuhr mit dem blauen Ziffernblatt und den goldenen römischen Zahlen zeigt 14.48 Uhr, als die brandneue schwarze Mercedes-Limousine mit dem Kennzeichen M-YY 2611 eilig in die Einfahrt biegt.

Ackermann lässt sich nicht durch einen Lieferanteneingang oder durch die Tiefgarage chauffieren, wie es viele erwartet haben. Er wählt das Hauptportal. Ackermann sitzt regungslos hinten rechts. Mit ernster Miene rollt er an den Journalisten vorbei. Er sagt kein Wort. Mit ein paar schnellen Schritten ist er hinter dem mächtigen Kassetten-Eingangstor verschwunden. Er tut so, als wäre der heutige Mittwoch für ihn ein ganz normaler Arbeitstag.

Im Grunde liegt zwischen Ackermann und Deutschland ein Abgrund des Nicht-Verstehens. Für den ganzen Mannesmann-Prozess hatte er nie auch nur einen Hauch Verständnis.

Seine Frau habe gesagt, so erzählte er: "Du parkst ja noch nicht mal falsch, und jetzt verdächtigen sie dich der Verschwörung - wie absurd." Aus diesem Nicht-Verstehen heraus entstand auch Ackermanns böser Satz, in Deutschland werde der bestraft, der Werte schaffe. Ein verquerer Satz mit Blick auf die Millionenabfindungen bei Mannesmann.

Nach dem Karlsruher Urteil, so viel kann man jetzt wohl sagen, ist Ackermann in der größten Krise, seitdem er vor dreieinhalb Jahren die Führung der Deutschen Bank übernommen hat. Denn es wird bereits offen über seine Nachfolge diskutiert.

"Ich habe meine Denkkappe auf", hat Aufsichtsratschef Rolf Breuer am Mittwochmorgen, unmittelbar vor der Gerichtsentscheidung, gesagt. Harte Worte, die Ackermann alarmiert haben dürften, auch wenn die Deutsche Bank anschließend fieberhaft versucht, die Aussage wieder einzufangen.

Die Suche nach einem Nachfolger ist in vollem Gang. Der neue Konzernchef soll aus dem eigenen Haus kommen, so Breuer, der eine interne Lösung bevorzugt.

Rolf Breuer, Ackermanns Vorgänger als Chef der Deutschen Bank, ist nicht gerade ein Freund des Schweizers, weil der seit jeher eine andere Strategie verfolgt hat, besonders mit seiner Vorliebe für die Investmentbanker - eine Strategie, die Ackermann zum shooting star gemacht hat und Breuer zum Auslaufmodell. Kommt jetzt der tiefe Fall? Noch nie ist so offen über Ackermanns Demission gesprochen worden wie jetzt.

Der Druck auf den Bankchef ist immens. "Ich denke, es wäre besser für Ackermann und die Deutsche Bank, wenn er zurücktreten würde", sagt Reinhild Keitel von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger nach dem Urteil.

Und Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, sagt, dass das Prinzip der Unschuldsvermutung für alle staatlichen Behörden gelte. Eine Ehrenerklärung sieht anders aus. Selbst bei den anderen Frankfurter Bankern wird die Unruhe immer größer. Sie fürchten einen massiven Imageverlust für die gesamte Branche.

Ackermann war noch nie darauf aus, sich Freunde zu machen. Das zeigte sich einmal mehr, als er in der vergangenen Woche den offenen Immobilienfonds Grundbesitz Invest einfach schloss. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge.

Mehr als 300.000 Anleger können seitdem nicht mehr an ihr Geld. "Eine Katastrophe", stöhnte ein Topbanker. "Stümperhaft", sagte ein anderer. Schließlich musste Ackermann den Rückzug antreten. Er versprach den Anlegern einer Entschädigung für Verluste, was er zuvor strikt abgelehnt hatte. Dass er einen Fehler gemacht haben könnte, hat der Oberst der Schweizer Armee öffentlich nicht eingeräumt.

Zurück nach Karlsruhe. Noch immer drückt ein niedriger, grauer Himmel auf das Gerichtsgebäude des Bundesgerichtshofs. Ganz am Ende der knapp einstündigen Urteilsbegründung können die Anwälte Ackermanns und drei anderer Angeklagten noch einmal neue Hoffnung schöpfen.

Richter Tolksdorf findet einige Aspekte, die ihre Taten "in einem milderen Licht erscheinen lassen". So sei der letztlich betroffene Vodafone-Konzern mit den Prämienzahlungen einverstanden gewesen. Und die vorher von Tolksdorf wegen ihres mangelnden Rechtsgefühls noch arg gescholtenen Ackermann und Zwickel hätten immerhin ohne Selbstbereicherungsabsicht" gehandelt.

Für den BGH ist damit das "Ackermann-Verfahren", wie der Mannesmann-Prozess gerichtsintern hießt, erst einmal abgeschlossen. Für Ackermann nicht.

© SZ vom 22.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: