Japan:Passt schon

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Japans Stahlindustrie wird von einem Betrugsskandal erschüttert: Mitarbeiter des Konzerns Kobe Steel stellten jahrelang Qualitätszertifikate für Aluminium- und Kupfer-Bleche aus, obwohl diese die Voraussetzungen nicht erfüllten.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Höchste Zuverlässigkeit und Präzision sind Qualitäten, die Japan von seiner Industrie erwartet. Das Schlagwort heißt "Monotsukuri". Übersetzt bedeutet das zwar bloß "Dinge machen", aber es ist zum Mantra der Überlegenheit geworden. "Wir Japaner sind ehrliche Handwerker, keine Händler", hört man oft - wobei mit den Händlern die Chinesen gemeint sind. Premier Shinzo Abe wirbt auf Auslandsreisen für japanische Kernkraft und Superschnellzüge. In Reden unterscheidet er zwischen Qualitätsprodukten und solchen, die nicht in Japan hergestellt wurden.

Nippons Wirtschaft ihrerseits erwartet von ihren Mitarbeitern absolute Loyalität. Es gilt als selbstverständlich, dass Arbeitnehmer jahrelang auf ihren rechtmäßigen Urlaub verzichten. Sie sollen auch keine Gehaltsforderungen stellen und schuften, bis sie buchstäblich tot umfallen. Das Japanische hat ein Wort dafür: "Karoshi." Wie jüngst bekannt wurde, musste eine 31-jährige Reporterin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens NHK in einem einzigen Monat 159 Stunden Überstunden leisten. Dann versagte ihr Herz.

Steigt der Konkurrenzdruck oder sollen die Profite aus anderen Gründen rücksichtslos maximiert werden, kann es zur Kollision zwischen Qualitätsanspruch und Loyalität der Mitarbeiter kommen. Das zeigt der Endlos-Skandal um Toshiba. Der einst stolze Weltkonzern ließ in fast allen Abteilungen über Jahre die Profite künstlich erhöhen - unter anderem, um seine Verluste im AKW-Geschäft zu vertuschen. 26 Top-Manager wussten Bescheid, sie machten mit und schwiegen: Aus ihrer Sicht verhielten sie sich damit dem Unternehmen gegenüber loyal. Vielen von ihnen dürften die Bilanzfälschungen gar nicht befohlen worden sein, in solchen Fällen wird gerne auf den in Japan hohen Gruppendruck hingewiesen. Auch von "Groupthink" ist die Rede, "Gruppendenken", bei dem sich der Einzelne wider besseres Wissen der Gruppe fügt. Falls ein Machtzentrum erkennbar ist, spricht man auch von "Sontaku". In vielen Sprachen gibt es dafür keine wörtliche Übersetzung, im Deutschen schon: "vorauseilender Gehorsam."

Seit Sonntag strauchelt mit "Kobe Steel" die nächste japanische Industrie-Ikone. In drei Handelstagen ist ihr Börsenkurs um fast 40 Prozent eingebrochen, der Marktwert des Unternehmens fiel um 1,5 Milliarden Euro. Das 1911 gegründete Stahlwerk, Japans Nummer drei, hat am Sonntag zugegeben, über zehn Jahre Qualitätszertifikate von Metallen systematisch gefälscht zu haben. Die Aluminium- und Kupfer-Bleche, die es an etwa 200 Firmen verkaufte, waren im vergangenen Jahr in vier Prozent aller Lieferungen weniger widerstandsfähig als behauptet. Erfüllte ein Blech die Anforderungen des Kunden nicht, wurde es trotzdem für jene Daten zertifiziert, die der Kunde verlangt hatte, so ein Sprecher von Kobe Steel.

Aluminium- und Kupfer-Bleche wurden zertifiziert, obwohl sie die Voraussetzungen nicht erfüllten

Zu den betroffenen Kunden gehören Toyota, Nissan, Honda, Subaru und Mitsubishi Aircraft, der Hersteller des Regionaljets MRJ, und indirekt auch der US-Flugzeughersteller Boeing. Hitachi verwendete falsch zertifizierte Bleche von Kobe Steel für Züge, die es nach England exportierte. In japanischen Shinkansen-Zügen wurden die Metallteile ebenfalls verbaut. Mitsubishi beeilte sich bekannt zu geben, sein Flugzeugwerk habe die Bleche für den MRJ nachgeprüft. Japan Rail will die zu falsch zertifizierten Teile in den Shinkansen-Zügen bei den nächsten Routine-Kontrollen ersetzen.

Als wäre das nicht dramatisch genug, kam am Mittwoch das nächste Geständnis. Und der nächste Aktiensturz: Womöglich sei auch bei Stahlprodukten betrogen worden, so Kobe Steel. Man untersuche das noch. Kobe Steel bereitet sich nun auf Schadenersatzklagen und Rückrufe vor. Pressemeldungen zufolge plant das Unternehmen, Immobilien und Tochterfirmen zu verkaufen, wie Toshiba es vorgemacht hat. Das Unternehmen dementierte, bisher sei nichts entschieden.

Größer als für Kobe Steel ist der Schaden des Skandals für Japans Wirtschaft insgesamt. Erst vorige Woche meldete Nissan den Rückruf von 1,2 Millionen Autos in Japan, ihre Qualitätskontrollen waren von Leuten durchgeführt worden, die dafür keine Lizenz hatten. Der inzwischen bankrotte Airbag-Herstellers Takata produzierte wissentlich jahrelang fehlerhafte Zünder weiter. Weltweit müssen deshalb 100 Millionen Airbags ausgewechselt werden. Auch Takatas Ingenieure und Manager hatten Bescheid gewusst, aber geschwiegen. Die japanische Loyalität ist stärker als der Sinn für Qualität.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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