IWF-Chef Strauss-Kahn:"Deutschland muss aggressiver werden"

Lesezeit: 6 min

Deutschland muss bei der Rettung der Banken zulegen: IWF-Chef Strauss-Kahn über die Rolle der Kanzlerin, Schwellenländer in Not und seine Zweifel am Markt.

N. Piper

Im Januar 2008 überraschte Dominique Strauss-Kahn die Welt: Ausgerechnet der Chef des Internationalen Währungsfonds forderte als einer der Ersten, die Krise mit Konjunkturprogrammen zu bekämpfen. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung drängt er die Staaten nun, noch mehr gegen die Rezession zu tun.

Dominique Strauss-Kahn: "Die Finanzkrise trifft jetzt auch massiv die Schwellenländer, das war bis zum letzten Monat noch nicht der Fall." (Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Strauss-Kahn, die globale Finanzkrise breitet sich mit beängstigendem Tempo aus. Wann wird das Schlimmste vorbei sein?

Strauss-Kahn: Die Frage ist schwer zu beantworten. Unsere letzte Prognose war schon sehr negativ. Seither deuten alle Daten weiter nach unten. Die Weltwirtschaft wird vermutlich schrumpfen, zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg. Für Europa bedeutet das minus zwei bis minus 2,5 Prozent. Trotzdem glaube ich, dass der Aufschwung im ersten Halbjahr 2010 kommen kann, falls die politischen Reaktionen stimmen. Und das ist der entscheidende Punkt.

SZ: Die Politiker in den Vereinigten Staaten und Europa haben ja längst reagiert. Was fehlt noch?

Strauss-Kahn: Der erste Punkt sind Konjunkturprogramme. Der IWF fordert solche Programme seit Januar 2008.

SZ: Das galt damals als Häresie.

Strauss-Kahn: Ja, viele haben uns für verrückt erklärt, aber das hat sich geändert. Wir hatten einen Nachfrageschub von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorgeschlagen. Realisiert sind bisher 1,5 Prozent, das ist etwas zu wenig, aber immerhin ein Anfang. Der zweite Punkt betrifft die Stabilisierung der Banken, und die geht eindeutig nicht schnell genug. Die ganzen Konjunkturprogramme wirken nicht, wenn die Bankbilanzen nicht gesäubert werden.

SZ: Die Regierungen haben doch schon Abermilliarden in die Banken gesteckt. Was fehlt denn noch?

Strauss-Kahn: Wir sind in eine neue Phase getreten. Die Finanzkrise trifft jetzt auch massiv die Schwellenländer, das war bis zum letzten Monat noch nicht der Fall.

SZ: Warum diese Verschärfung jetzt?

Strauss-Kahn: Erstens, weil der Welthandel zurückgeht, und zweitens, weil westliche Banken ihr Kapital repatriieren. Deshalb trocknen die Kapitalströme aus, auf die diese Länder sich ein Jahrzehnt lang verlassen haben, besonders in Osteuropa. Wenn wir hierfür keine Lösung finden, wird es schlimme Rückwirkungen auf die Industrieländer geben.

SZ: Was halten Sie von den Bankenplänen der neuen US-Regierung?

Strauss-Kahn: Die Amerikaner haben das Problem umrissen, aber was vorliegt, ist noch lange nicht detailliert genug. Deshalb sind die Börsen so verunsichert.

SZ: Müsste US-Finanzminister Timothy Geithner die komplette Verstaatlichung der Banken erklären?

Strauss-Kahn: Worauf es ankommt, ist die Bilanzen zu reinigen. Es gibt verschiedene Wege, dies zu tun. Und für bestimmte Banken in bestimmten Ländern kann Verstaatlichung eine Lösung sein. Das ist keine grundsätzliche Frage, sondern eine technische.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was der IWF-Chef von den Rettungsbemühungen für die europäischen Banken hält.

SZ: Wie sehen Sie die Rettungsbemühungen für die europäischen Banken?

Strauss-Kahn: Wenn die EU-Finanzminister zusammensitzen, sind sie sich immer einig, dass man schnell und aggressiv handeln muss, um die Banken zu retten. Wenn sie dann aber nach Hause kommen, wird der Prozess plötzlich sehr langsam, viel zu langsam nach meiner Meinung. Die Koordination auf europäischer Ebene ist schon in guten Zeiten nicht besonders gut, in schlechten Zeiten aber richtig schlecht. Alle versuchen noch nationale Lösungen zu finden. Es gibt aber keine nationalen Lösungen für eine globale Krise. Alles geht momentan zu langsam. Die Krise in Osteuropa verschärft sich von Tag zu Tag.

SZ: Ist das nur ein Problem des Tempos? Die Westeuropäer haben gerade ein großes Hilfspaket abgelehnt.

Strauss-Kahn: Ich weiß nicht ob die Westeuropäer schon bereit sind, Osteuropa zu helfen. Ich weiß nur, dass sie es tun müssen. Ein Kollaps im Osten hätte schreckliche Rückwirkungen auf den Westen, auch auf Deutschland.

SZ: Was raten Sie der Kanzlerin?

Strauss-Kahn: Ich habe ihr schon gesagt, dass das Konjunkturprogramm in Deutschland jetzt, nach einem etwas schwierigen Anlauf, in Ordnung ist. Aber bei der Bankenrettung muss Deutschland, wie andere Länder auch, viel aggressiver vorgehen und sich mit anderen koordinieren. Deutschland ist eine Exportnation und es liegt in ihrem Interesse, dass es ihren Kunden gut geht.

SZ: Was wäre denn die richtige Form, Osteuropa zu helfen?

Strauss-Kahn: Ich verstehe, dass die Deutschen nicht bilateral helfen wollen, sondern über den IWF. In diesem Fall ist es wichtig, dass der Fonds die nötigen Mittel dafür bekommt. Und dann muss die Bundesregierung die deutschen Banken drängen, dass sie kein Geld mehr aus Osteuropa abziehen. Das gilt übrigens für alle europäischen Banken, auch für die französischen.

SZ: Passiert jetzt nicht genau das, was die Deutschen bei der Einführung des Euro befürchtet haben? Sie müssen für den Rest Europas zahlen.

Strauss-Kahn: Da widerspreche ich Ihnen. Wenn es den Euro nicht gäbe, wäre die Lage für Deutschland exakt die Gleiche. Sie sind von Ländern umgeben, die in Schwierigkeiten geraten sind, zum Teil weil europäische Banken ihre Mittel abziehen. Das hat mit dem Euro nichts zu tun.

SZ: Und was ist mit Italien und Griechenland?

Strauss-Kahn: Italien hat heute kein fundamentales Problem. Die Lösung der Probleme Griechenlands ist eine Aufgabe für die Euro-Zone, das stimmt. Wenn die europäischen Institutionen wollen, dass sich der IWF engagiert, können wir das tun. Wenn sie das Problem selber lösen wollen, halten wir uns raus.

SZ: Kann der IWF schätzen, wie viel Geld noch notwendig ist, um die Banken zu stützen?

Strauss-Kahn: Das ist schwer, weil einige Verluste im Finanzsektor noch nicht offengelegt sind. Das schafft erhebliche Verunsicherung. Wir werden im April eine neue Prognose vorlegen. Fest steht nur: Es wird eine große Summe werden. Wir wissen, wovon wir reden, denn der IWF hat Erfahrung mit 122 Finanzkrisen in allen möglichen Ländern der Erde. Die Krisen waren alle unterschiedlich, hatten aber eines gemein: Ohne umfassende Lösung für die Banken geht es nicht.

SZ: Der IWF ist heute in einer Position, die sich vor zwei Jahren niemand vorstellen konnte.

Strauss-Kahn: Das haben Sie recht.

SZ: Aber wo wird das enden? Wo ist die künftige Rolle des Fonds?

Strauss-Kahn: Die Krise hat eines gezeigt: Man braucht eine Feuerwehr, auch wenn es gerade nicht brennt. Das hatten viele Leute vergessen. Das ganze Gerede, dass der IWF irrelevant werden könnte, war Unfug. Das bedeutet nicht, dass sich der IWF nicht reformieren müsste.

SZ: Und zwar wie?

Strauss-Kahn: Dies ist die erste wirklich globale Krise, die wir erleben. Daher brauchen wir mehr internationale Zusammenarbeit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum dem IWF schon bald das Geld ausgehen könnte.

SZ: Hat der IWF dafür genug Geld?

Strauss-Kahn: Momentan ja, aber bald nicht mehr. Wenn die Krise weitere sechs Monate dauert, wovon wir ausgehen, brauchen wir zusätzliche Mittel.

SZ: Und zwar wie viel?

Strauss-Kahn: Der Konsens ist, dass wir unsere Fonds von 250 Milliarden auf mindestens 500 Milliarden Dollar verdoppeln. 100 Milliarden hat Japan schon zugesagt, es fehlen also noch mindestens 150 Milliarden.

SZ: Stimmt dann noch das Machtverhältnis zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern beim IWF?

Strauss-Kahn: Nein. An sich sollten zehn Prozent der Stimmen von Ländern mit einem Übermaß an Stimmen an solche Länder verteilt werden, die unterrepräsentiert sind. Aber man sollte fair sein. Wir haben bei der letzten Reform schon ein Drittel davon auf Schwellenländern übertragen. Das reicht sicher nicht, aber es ist ja eine dynamische Reform: Die Stimmverhältnisse sollen alle fünf Jahre überprüft werden, aber es wäre vielleicht sinnvoller, dies alle drei Jahre zu tun.

SZ: Was haben Sie persönlich aus der Krise gelernt?

Strauss-Kahn: Zunächst einmal, dass die Vorstellung falsch ist, der Markt könne sich selbst regulieren. Diese Idee wurde in den letzten 30 Jahren gepflegt, und sie ist gescheitert. Ich bin ein überzeugter Marktwirtschaftler, aber die Marktwirtschaft braucht Regeln, besonders im Finanzsektor. Eine zweite Lektion ist, dass wir kein funktionierendes Frühwarnsystem haben, und zwar aus einem einfachen Grund: Wenn der Himmel blau ist und Sie sagen, dass ein Unwetter droht, dann hört Ihnen keiner zu. So ein System brauchen wir aber, eine starke, unabhängige Institution, die die Alarmglocke schrillen lassen kann. Die dritte Lektion ist, dass wir das riesige Ungleichgewicht im Handel zwischen China und den USA abbauen müssen.

SZ: Wollen Sie die Chinesen dazu zwingen, mehr Geld auszugeben?

Strauss-Kahn: Der IWF plädiert seit langem dafür, dass China vom exportorientierten zu einem mehr binnenmarktorientierten Wachstum wechselt. Dazu muss die Aufwertung der chinesischen Währung gehören. Entscheidende Schritte hat die Regierung in Peking schon unternommen, aber es bleibt noch einiges zu tun, auch in anderen Ländern.

SZ: Anfang der neunziger Jahren haben sich Weltbank und IWF auf den Washington-Konsens festgelegt. Sie forderten überall Liberalisierung, Privatisierung und den Ausgleich der Staatshaushalte. Gibt es diesen Konsens noch?

Strauss-Kahn: Der Washington-Konsens liegt weit hinter uns, denn wir haben viel aus Erfahrung gelernt. Der IWF fordert Konjunkturprogramme, wir bieten Hilfe mit geringeren Konditionen an und mit Konditionen, die mit den wirklichen Problemen eines Landes zu tun haben, nicht mit Dingen aus der Vergangenheit. Bei den Hilfen für Ungarn und Pakistan zum Beispiel haben wir ausdrücklich höhere Defizite akzeptiert, um ein besseres soziales Netz zu finanzieren.

SZ: Viele Ihrer Landsleute rechnen damit, dass Sie für das Amt des französischen Staatspräsidenten kandidieren. Werden Sie es tun?

Strauss-Kahn: Ich bin Geschäftsführender Direktor des IWF und gehe in meiner Aufgabe auf. Ich habe gar keine Zeit, um über andere Dinge nachzudenken.

© SZ vom 10.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: