Im klassischen Spielesektor finden sich immer weniger kreative neue Ideen, dafür mehr innovative Zusatzgeräte. Gitarre spielend, joggend oder singend stehen die Spieler damit vor den Bildschirmen. Ob diese neue Generation nun das Ende der alten Spiele-Ära bedeutet, erklärt Dr. Stephan Günzel. Er lehrt Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und ist Mitarbeiter im DFG-Forschungsprojekt "Die Medialität des Computerspiels" am Zentrum für Computerspielforschung.
sueddeutsche.de: Herr Günzel, wenn heute die Games Convention ihre Tore für das Publikum öffnet, bekommen die Besucher vor allem Fortsetzungen erfolgreicher Spiele wie Far Cry 2 oder Tomb Raider Underworld zu sehen. Gibt es überhaupt noch Neues bei Computerspielen?
Stephan Günzel: Es gibt verschiedene Trends in der Branche. Die Hersteller versuchen, neue Zielgruppe anzusprechen, indem sie den Computer zurückdrängen und natürliche Bewegungsabläufe in den Mittelpunkt stellen - wie beispielsweise bei der Wii. Ein anderer Trend ist, dass Grafik und Physik immer aufwändiger simuliert werden. Dann rauschen die Blätter der Bäume oder der Held badet im Wasser.
sueddeutsche.de: Die Atmosphäre des Spieles wird also - wie bei Filmen - immer wichtiger?
Günzel: Ja. Das ist eine Möglichkeit, das Spieldesign zu verfeinern. Auch das Storytelling einiger Spiele nähert sich dem des Films an. Es gibt aber auch den umgekehrten Weg, dass Filme so gedreht werden, dass sich daraus auch leicht ein Computerspiel entwickeln lässt. Spiderman ist so ein Beispiel.
sueddeutsche.de: Richtig kreativ ist das aber nicht.
Günzel: Im Moment gibt es tatsächlich nicht viel Neues. Es werden aber Grenzen überschritten - eben zum Film oder wie bei Online-Rollenspielen die Grenze zu virtuellen Welten. Die Entwicklung, die wir bei diesem Medium jetzt haben, entspricht in etwa dem des Heavy Metal. Heute gibt es zwar mehr Bands, die diese Musik machen, und mehr Menschen, die sie hören, als in den 1980ern - aber neu ist der Stil nicht mehr.
sueddeutsche.de: Sie läuten das Ende des Computerspiels ein?
Günzel: Auch in 30 Jahren wird es noch Computerspiele geben, aber das kreative Potenzial scheint derzeit erschöpft. Die letzte große spieltechnische Innovation waren Echtzeit-Strategiespiele. Aber das soll jetzt nicht kulturpessimistisch klingen. Auch in der Kunstgeschichte gab es Phasen, in denen es über ein halbes Jahrhundert keine Innovationen gab.
sueddeutsche.de: Folgt daraus nicht, dass die Hersteller Pleite gehen, wenn sie keine neuen Ideen haben?
Günzel: Nein. Aus ökonomischer Sicht sind mangelnde Neuerungen kein Hindernis. Erfolgsprodukte verkaufen sich auch in der zweiten oder dritten Auflage meist ganz gut. Die Filmindustrie mit ihren vielen Fortsetzungen macht das vor. Die Branche ist längst der Subkultur entwachsen und im kaufkräftigen Mainstream angelangt. Heute sind es beispielsweise vor allem gutverdienende Mitdreißiger, die Geld für Computerspiele ausgeben.
sueddeutsche.de: Computerspiele sind also längst Teil unserer Alltagskultur?
Günzel: Wie Fotografien oder Filme sind Computerspiele in unsere Alltagwelt eingezogen. Die Perspektive des Fadenkreuzes, das viele noch aus dem Spiel Moorhuhn kennen, taucht mittlerweile in der Waschmittelwerbung auf. Hier richtet es sich anstelle des Huhns auf einen Fleck. Oder nehmen Sie neuere Versionen von Präsentationssoftware, in der dreidimensional geblättert wird. Elemente aus Computerspielen werden für uns immer selbstverständlicher. Wir lernen, mit dieser Kulturtechnik umzugehen.
sueddeutsche.de: Man kann Computerspiele aber nicht nur als Bereicherung betrachten. Die Diskussion um Killerspiele spricht eine ganz andere Sprache.
Günzel: Dazu muss man die Frage stellen: Ist virtuelles Töten dasselbe wie reales Töten? Darauf gibt es drei Antworten. Entweder ja, nein oder man erklärt es wie die Filme von Quentin Tarantino zu Kunst. Ich meine, der Spieler kann durch einen Ego-Shooter vor allem Konzentration und Kaltblütigkeit trainieren, in dem er das Fadenkreuz unter Zeitdruck auf Bildobjekte ausrichtet. Aber zwischen einem realen Amoklauf und dem Spielen eines Shooters liegen immer noch der Zugang zu Waffen und die Fähigkeit, damit umgehen zu können. Der Amokläufer muss also mindestens Mitglied im Schützenverein sein.
sueddeutsche.de: Ein anderes Problem ist die Suchtgefahr.
Günzel: Gerade Online-Rollenspiele, die kein zeitliches Ende haben, bergen ein Suchtpotenzial. Ökonomisch ist dieses Modell genial: Anstatt einmal 50 Euro für ein Spiel auszugeben, zahlt der Spieler jeden Monat 13 Euro, zumal häufig der ganze Freundeskreis miteinbezogen wird. Moralisch sieht das schon anders aus. Bei suchtanfälligen Personen kann das zu Missbrauch führen und Schäden anrichten.
sueddeutsche.de: Welche sind das?
Günzel: Es gibt die Fälle, in denen Familien zerstört werden, wenn ein Mitglied computerspielsüchtig ist. Gefährlich ist aber auch, dass die Spiele ein falsches Bild von Sozialität vermitteln. Der Spieler ordnet sich in ein Kollektiv ein, in dem er keine eigenen Entscheidungen treffen muss. Sein Spielcharakter wird allein dadurch stärker, dass er permanent online ist. Diese vorhersehbare Ordnung und das einfache System der Belohnung fasziniert viele Menschen, aber es lässt sich eben nicht in alle Bereiche des Lebens übertragen.