Interview:"Mittel ohne Nebenwirkung sind eine Utopie"

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Agraringenieur Tischner über die Alternative zu Pestiziden.

Interview von Elisabeth Dostert

Setzen Bauern kein Pflanzenschutzmittel ein, kann die Ernte auch mal schlechter ausfallen, Gemüse würde teurer, sagt Helmut Tischner, 59, promovierter Agraringenieur und Leiter des Instituts für Pflanzenschutz in Bayern. Ein Gespräch über Konsumenten, die ungespritzte, aber billige Produkte wollen, über die Alternative zum umstrittenen Glyphosat und die Frage, warum sein Institut nur einen Bruchteil der Landwirte darauf kontrolliert, wie sie Gift einsetzen.

SZ: Herr Tischner, ist ein kompletter Verzicht auf Pflanzenschutzmittel realistisch?

Manche Öko-Betriebe machen das schon. Aber selbst im ökologischen Landbau sind bestimmte Pflanzenschutzmittel zugelassen, etwa kupferhaltige Mittel im Wein- und im Kartoffelanbau. Ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln würden Qualität und Ertrag heftiger schwanken.

Könnte eine ausgewogene und häufigere Fruchtfolge, wie sie früher praktiziert wurde, das Unkrautproblem auf den Feldern entschärfen?

Helmut Tischner leitet das Institut für Pflanzenschutz an der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. (Foto: OH)

Eher nicht, weil sich die Betriebe in den vergangenen Jahren immer stärker auf weniger Kulturen spezialisiert haben. Der Lebensmittelhandel verlangt heute von einem Lieferanten größere Mengen in gleichbleibender Qualität. Denen kann man nicht sagen, heuer sind die Gurken kleiner, dann nehmt doch eben Tomaten.

Das heißt: Die moderne Landwirtschaft und Monokulturen fördern den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln?

Die Spezialisierung trägt zumindest dazu bei, dass bestimmte Krankheiten und Unkräuter häufiger auftreten. Das ist nicht abzustreiten. Ohne Pflanzenschutzmitteleinsatz werden die Erträge unsicherer, da müssten die Landwirte höhere Preise bekommen. Das ist eine gesellschaftliche Frage. Die meisten wollen zwar Produkte aus ökologischem Landbau, aber mehr Geld ausgeben wollen sie nicht.

Was muss geschehen, um Menschen, Tiere und Pflanzen besser zu schützen?

Es wäre schön, wenn Mittel gefunden würden, die keine Nebenwirkungen haben und sich nach der Anwendung in Luft auflösen. Mittel, die gut wirken und schnell abgebaut werden. Aber das ist eine Utopie.

Sind die Mittel, die heute auf den Markt kommen, riskanter für die Menschen als vor zehn oder 20 Jahren?

Es ist umgekehrt. Die Zulassungskriterien sind in den vergangenen Jahren strenger geworden. Einige Wirkstoffe sind wegen ihren negativen Eigenschaften gar nicht mehr zugelassen. Atrazin zum Beispiel, ein Unkrautvernichtungsmittel, das sich im Boden anreichert und in das Grundwasser ausgewaschen werden kann. Oder Parathion, der Wirkstoff in E 605, ein Insektizid, das für den Menschen sehr giftig ist.

SZ-Grafik; Quelle: Industrieverband Agrar (Foto: SZ-Grafik)

Wird auch Glyphosat bald verboten?

Das weiß ich nicht. Wir sind keine Bewertungsbehörde, wir an der Landesanstalt sind für die Anwender zuständig, wir beraten die Landwirte.

Was raten Sie einem Bauern, der nach einer Alternative zu Glyphosat sucht?

Es kommt auf seine Kultur an, die Böden und die Lage. Glyphosat wird zum Beispiel beim Mulchsaatverfahren eingesetzt, das ist ein Verfahren ohne Pflug. Dabei bleiben die Pflanzenreste einer Zwischen- oder der Vorfrucht auf dem Feld. Das schützt den Boden vor Erosion. Allerdings keimt auch Unkraut leichter wieder auf. Deshalb das Glyphosat. Wird der Pflug eingesetzt, braucht es vielleicht kein Glyphosat, weil die Unkräuter tief untergegraben werden.

Bei häufigem Einsatz können sich Resistenzen entwickeln, das Mittel wirkt dann nicht mehr. Hat das zugenommen?

Tendenziell schon. Resistenzen gegen Wirkstoffe sind ein normaler Mechanismus. Das ist immer ein Wettlauf. Wenn ein Mittel nicht mehr funktioniert, kann der Bauer ein anderes nehmen. Allerdings kommen immer weniger Wirkstoffe auf den Markt. Die Zulassungskriterien werden strenger. Die Firmen müssen mehr Studien vorlegen, damit steigen die Kosten. Die Entwicklung eines Pflanzenschutzmittelns kostet etwa 200 Millionen Euro. Diese Zahlen werden von den Herstellern genannt. Es gibt Unternehmen, die behaupten, dass sich schon die Entwicklung eines Pflanzenschutzmittels für Kartoffeln oder Zuckerrüben nicht mehr rechnet.

SZ-Grafik; Quelle: Industrieverband Agrar (Foto: SZ-Grafik)

Wer kontrolliert die Landwirte und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln?

Wir. In den Jahren 2014/15 haben wir 2063 Betriebs- und Anwendungskontrollen durchgeführt.

Das ist wenig. In Bayern gibt es rund 93 000 Betriebe.

Wir können nur Stichproben machen. Zuletzt lag die Beanstandungsquote bei 2,7 Prozent.

Was sind die häufigsten Gründe?

Pflanzenschutzgeräte werden nicht im vorgeschriebenen Turnus überprüft oder es wird ein Mittel ausgebracht, das zwar zugelassen ist, aber nicht für die kontrollierte Kultur. Ein Beispiel: Das Mittel ist für die Bekämpfung von Blattläusen an Hopfen vorgesehen, der Landwirt hat damit aber Ackerbohnen gespritzt.

Wie sieht die Strafe aus?

Es wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und es kann ein Bußgeld verhängt werden. Je nach Art des Vergehens werden auch die Fördergelder gekürzt. Bei einem stärkeren Vergehen kann das schon in die Tausende Euro gehen.

Wie reden sich die Landwirte heraus?

Es sei ein Versehen gewesen, sagen viele. Oder manche können sich gar nicht erklären, wie der Fehler passieren konnte. Wir kontrollieren auch die Unterlagen. Die Landwirte unterliegen der Dokumentationspflicht. Sie müssen für jedes Feld aufschreiben, was sie wann angewandt haben.

Papier ist geduldig.

Natürlich kann einer was Falsches aufschreiben.

Werden Aufzeichnungen etwa mit den Rechnungen für den Kauf von Pflanzenschutzmitteln abgeglichen?

Nein. Da muss schon ein Anlass bestehen, dass der Landwirt etwas Verbotenes getan hat. Es kann nicht hinter jedem Landwirt ein Kontrolleur stehen. Es kann auch nicht an jeder Ampel ein Polizist stehen und kontrollieren, ob jemand bei Rot fährt.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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