Interview mit Adidas-Chef Hainer:"Politik ist nicht unsere Aufgabe"

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Adidas-Chef Herbert Hainer im Gespräch mit Deutschlandfunk und Süddeutscher Zeitung: Der Mann, sein Job, die Firma - und die Olympischen Spiele in China

Marc Beise und Ursula Welter

Der Sportartikelhersteller Adidas ist vom Erfolg verwöhnt. Auch 2008 wird der Umsatz wieder deutlich wachsen, das Nettoergebnis sogar um 15Prozent. Bei den Olympischen Spielen in China ist Adidas allgegenwärtig. Herbert Hainer im Interview über die Lage in China und die amerikanische Konkurrenz.

Im Gespräch: Adidas-Chef Herbert Hainer (Mitte) im Interview mit Ursula Welter (Deutschlandfunk) und Marc Beise (Süddeutsche Zeitung). (Foto: Foto: Heddergott)

Frage: Herr Hainer, die amerikanische Sportfirma Nike ist die Nummer eins in der Welt, Adidas Nummer zwei. Werden Sie Nike in absehbarer Zeit überholen?

Hainer: Das kann definitiv passieren. Wann, kann ich noch nicht sagen. Nike ist uns eine Kleinigkeit voraus, macht etwa eine Milliarde Euro Umsatz mehr als wir.

Frage: Was macht Nike denn besser?

Hainer: Der Unterschied liegt nur im amerikanischen Markt, dem Heimatmarkt von Nike. Dort sind sie größer. In Europa sind wir vorn.

Frage: Sie haben versucht, den amerikanischen Markt zu knacken, indem Sie die Nummer drei, Reebok, gekauft haben. Damit haben Sie sich keinen Gefallen getan. Reebok hatte viele Probleme und ist immer noch Ihr Sorgenkind.

Hainer: Das sehe ich anders. Die Reebok-Akquisition war strategisch absolut richtig. Wir waren im amerikanischen Markt mehr oder weniger blockiert. Auf der einen Seite war Nike, auf der anderen hatte Reebok exklusive Verträge mit allen wichtigen amerikanischen Profiligen. Dank des Reebok-Kaufs konnten wir die Basketballliga NBA zu Adidas nehmen. Wir machen über vier Milliarden US-Dollar Umsatz in Amerika und kommen auch da immer näher an unseren Hauptkonkurrenten ran. Natürlich haben wir noch eine Menge Arbeit mit Reebok. In ein paar Jahren spricht aber kein Mensch mehr davon. Dann sind wir ein Konzern, der 12, 13, 14 Milliarden Euro Umsatz macht und das mit einer relativ guten Gewinnmarge.

Frage: Warum ist der amerikanische Sportartikelmarkt besonders schwierig?

Hainer: Er ist viel schnelllebiger und viel preisgetriebener. Ein Amerikaner kauft sieben bis acht Paar Turnschuhe im Jahr, ein Europäer etwa zwei Paar. Wer so viel konsumiert wie die Amerikaner, ist natürlich beim einzelnen Paar viel preisbewusster.

Frage: Adidas investiert sehr viel in die Olympischen Spiele von Peking. Was versprechen Sie sich davon?

Hainer: Adidas ist die olympische Marke schlechthin. Seit 1928 waren wir an allen Spielen beteiligt. Wir machen auch für Sportarten Produkte, die kommerziell nur schwer zu vermarkten sind. Wir rüsten 27 der 28 olympischen Sportarten aus. Deswegen war es für uns logisch, dass wir in China als Sponsor dabei sind. Über 3000 Athleten werden unsere Produkte tragen.

Frage: Nun hängt nach den Unruhen in Tibet, den Übergriffen beim Fackellauf und der Unterdrückung der Bürgerrechtler ein Schatten über diesen Spielen. Haben Sie das Engagement schon bereut?

Hainer: Nein, definitiv nicht. Auch hier muss man ein bisschen differenzierter hingucken. Seit dem Schlusspfiff der Spiele in Athen arbeiten wir intensiv in Peking und mit dem chinesischen Olympischen Komitee. Wir bauen unsere Marke auf und etablieren sie sehr erfolgreich. Wir wachsen dort sehr, sehr schnell. Ich glaube im Übrigen nicht, dass man mit Boykott etwas besser macht.

Frage: Haben Sie kein Verständnis für die Menschen, die über das Regime in China empört sind?

Hainer: Doch, ich verstehe das schon. Große Ereignisse werden auch immer benutzt, um auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen. Aber weder 1980 in Moskau noch 1984 in Los Angeles hat ein Olympiaboykott etwas gebracht. Nichts kann die Völker besser zusammenbringen als der Sport.

Frage: Könnte sich Adidas Kritik an der politischen Lage in China überhaupt leisten?

Hainer: Das ist nicht unsere Aufgabe. Natürlich sehen wir die Entwicklungen und wir reden auch darüber. Aber für Politik sind die Vereinten Nationen und die Politiker verantwortlich. Das kann nicht auf dem Rücken der Sportler ausgetragen werden.

Frage: Mit der Vergabe der Spiele an Peking war die Hoffnung verbunden, dass im Zuge von Olympia sich viele Dingen, über die wir klagen - Menschenrechtsverletzungen, mangelnde Freiheit im Land -, bessern würden. Das scheint nicht der Fall zu sein. Die Lage dort ist nicht schön. Oder?

Hainer: Nein, definitiv nicht. Aber wir dürfen auch nicht den Fehler machen, zu glauben, dass der Reformprozess innerhalb von ein paar Monaten umgesetzt werden kann. Das ist sicherlich eine längerfristige Entwicklung. Ich reise seit etwa zehn Jahren nach China und spüre dort eine permanente Öffnung. Man muss dem Land Zeit geben, denn es hat auch noch andere Probleme. Der chinesische Sportminister hat mir einmal gesagt: Unser größtes Problem ist, etwa 500Millionen Menschen zu füttern, die nicht jeden Tag genügend zu essen haben. Wir sollten vorsichtig sein mit dem Fingerzeigen. Auch in unserer westlich-zivilisierten Welt ist nicht alles in Ordnung. Auch hier gibt es nach wie vor die Todesstrafe und das amerikanische Gefangenenlager in Guantanamo. Man muss immer versuchen, beide Seiten zu sehen.

Frage: Fürchten Sie nicht, mit Ihrem Engagement in China einen Image-Schaden zu erleiden?

Hainer: Ich glaube das nicht. Dann dürften wir in vielen anderen Ländern auch nicht aktiv sein. Nehmen Sie Spanien und das Problem mit der ETA. Wenn wir jedes Mal hingucken würden, wo es politische Verwerfungen gibt, dürften wir überhaupt nicht mehr auftreten. Das können wir nicht leisten. Da werden wir überschätzt und überfordert.

Frage: Sie wollen also vor allem Geschäfte machen. Wie stark sind Sie schon in China?

Hainer: Wenn sich zehn Prozent der Bevölkerung unsere Produkte leisten können, reden wir von 130 Millionen Konsumenten. Das ist ein großer und für uns interessanter Markt. Wir haben 1993 in China eine Tochtergesellschaft gegründet und investieren seither. Spätestens 2010 werden wir dort allein mit der Marke Adidas eine Milliarde Euro Umsatz machen. Damit ist China für uns der zweitgrößte Markt nach dem amerikanischen.

Frage: Wie viele Zulieferbetriebe hat Adidas in China?

Hainer: Wir haben etwa 285 Fabriken in China, die für uns fertigen.

Frage: Es gibt immer wieder Kritik daran, dass die Arbeitsbedingungen in diesen Betrieben nicht ausreichend sind.

Hainer: Aber nicht in unseren Zulieferbetrieben! Wir machen hier einen wirklich vorbildlichen Job. Wir geben jedes Jahr einen Bericht heraus, wo wir genau beschreiben, was wir machen, und unsere Ziele hinterlegen. Wir werden von sehr vielen Organisationen für die Arbeit gelobt. Wir lassen unabhängige Beobachter zu Kontrollen in die Fabriken. Da sind wir sicherlich einer der Spitzenreiter. Es gibt ja auch immer Falschinformationen. So wird uns immer wieder der Fall Hermosa in El Salvador vorgeworfen. Dabei arbeiten wir seit 2002 mit dieser Firma nicht mehr zusammen.

Frage: Die Kritik bezieht sich meistens auf die Lohnkosten. Gerade mal drei Prozent des Endpreises von Schuhen gehen in den Lohn.

Hainer: Wir müssen uns an den Gegebenheiten des jeweiligen Landes orientieren. Mindestlöhne werden von den Regierungen festgelegt, nicht von uns. Wir bezahlen in der Regel immer darüber.

Frage: Werden Sie von China in noch günstigere Niedriglohnländer abwandern wie andere Unternehmen?

Hainer: Natürlich schauen wir uns permanent nach den besten Voraussetzungen um. Als ich vor 20 Jahren zu Adidas gekommen bin, gab es noch ein paar Fabriken in Deutschland. Dann ist die Schuhindustrie nach Korea abgewandert. Fünf oder sieben Jahre später ist man nach Taiwan, Thailand und China gegangen. Heute gibt es die ersten Fabriken in Kambodscha oder Vietnam. Aber wir sehen gerade im Textilbereich wieder mehr Fabrikanten, die nach Europa zurückgehen, primär nach Osteuropa. Übrigens haben wir viele Zulieferbetriebe in Europa.

Frage: Die Weltwirtschaft schwächelt und das Wirtschaftswachstum ist gerade auch für Deutschland nach unten korrigiert worden. Was erwarten Sie?

Hainer: Ich glaube, dass die Sportartikelindustrie in einem glücklichen Umfeld ist. Die Menschen sind gesundheitsbewusster, körperbewusster, werden älter und machen viel mehr Sport. Deswegen wird unser Markt weiter wachsen.

Frage: Obwohl die Kinder immer dicker werden?

Hainer: Dagegen muss die gesamte Gesellschaft kämpfen, und auch dabei wird der Sport viel helfen.

Frage: Sind Sie mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland zufrieden?

Hainer: Man kann hier sehr gut leben, auch als Unternehmen. Aber natürlich gibt es auch Dinge zu verbessern. Wir müssen deutlich mehr in Bildung und Wissenschaft investieren. Deutschland ist nun mal ein Standort, wo billige Arbeit nicht zu haben ist und günstige Produkte nicht zu produzieren sind. Deswegen müssen wir in unserer Ingenieurtechnik, Forschung und Wissenschaft federführend sein.

Der Deutschlandfunk strahlt das Spitzengespräch an diesem Mittwoch von 19.15 Uhr bis 20 Uhr aus. Die Audio-Fassung ist abrufbar bei www.sz-audio.de/wirtschaft

© SZ vom 23.07.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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