Internetdebatte in Deutschland:Die Angst vor der Allmacht des Netzes

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Wenn begründete Kritik zu diffusem Ressentiment wird: In der Diskussion um Google und Facebook prallen analoges Denken und die digitale Welt aufeinander. Es ist an der Zeit, dieses Missverständnis aufzulösen.

Johannes Boie

Am Donnerstag stand Ilse Aigner in ihrem Ministerium in Berlin und sprach zur Presse. Die Ministerin für Verbraucherschutz trug schwarz und überbrachte die Todesnachricht für ihre Facebook-Mitgliedschaft. "Ich war ein großer Fan von Facebook", sagte Aigner. "Aber der Datenschutz auf der Seite entspricht nicht den deutschen Gesetzen." Folglich werde sie ihr Profil löschen. Sobald sie ihre 4300 digitalen Freunde über das Ende informiert habe.

Im Netz gefangen? Bei der Debatte um die Digitalisierung vergessen wir oft, dass das Internet ein zwar technischer, aber doch vor allem ein Fortschritt ist. (Foto: iStock)

Facebook ist ein soziales Netzwerk, also eine Internetseite, auf der sich Menschen aus der ganzen Welt miteinander austauschen könne. Sie teilen ihre privaten Fotos, Texte und Freundschaften einem Zirkel aus Bekannten mit.

Wer welche Daten sehen darf, welche Informationen in den Besitz von Facebook übergehen und welche Details Facebook dauerhaft speichern oder an weitere Unternehmen weitergeben darf, das sind die wichtigsten von vielen Streitpunkten zwischen dem amerikanischen Konzern und Datenschützern in aller Welt.

Facebook und Google im Zentrum der Kritik

Facebook steht deshalb zusammen mit dem Internetkonzern Google an prominentester Stelle in der Kritik, wenn es um Datenschutz und Privatsphäre von Nutzern geht. An den Konflikten, die die beiden Unternehmen derzeit durchstehen müssen, lässt sich das Aufeinanderprallen von analogem Denken und digitaler Welt exemplarisch beschreiben.

Dem Berliner Pressetermin am Donnerstag waren Gespräche zwischen Aigner und Richard Allan vorausgegangen. Der ehemalige Politiker aus Großbritannien vertritt das amerikanische Unternehmen auf dem europäischen Markt. Die Gespräche mit Allan hätten ihre Skepsis dem Unternehmen gegenüber vergrößert, sagte Aigner.

Und tatsächlich sind das, was in der Presse als Datenschutzskandal bei Facebook und bei Google beschrieben wurde, auf den ersten Blick unangenehme Geschäftspraktiken, die Übles erahnen lassen, was die Wertschätzung der Kunden und ihrer Daten in den beiden Unternehmen betrifft.

Erstaunlich detailliertes Psychogramm

Eine unvollständige Zusammenfassung nur der größten Datenpannen in den letzten Monaten: Facebook-Nutzer konnten in den Unterhaltungen anderer Facebook-Nutzer mitlesen. Daten sollen ohne Zustimmung der Surfer von Facebook an Werbekunden und Kooperationspartner weitergegeben worden sein.

Facebook soll auch von Menschen, die auf der Plattform gar nicht registriert sind, nicht auffindbare, aber dauerhaft gespeicherte Profile anlegen. Facebook soll jede einzelne Aktion eines Nutzers speichern, auch solche, bei denen das schwer vorstellbar ist, zum Beispiel Suchen auf der Webseite, die zu keinem relevanten Ergebnis führen.

Aus all diesen Daten kann man ein erstaunlich detailliertes Psychogramm einzelner Personen basteln. All die kleinen, durch Probleme der Technik verursachten Probleme und die großen Skandale, die durch eine Firmenstrategie ohne jeden Sinn für Datenschutz entstanden sind, haben in den letzten Monaten das Image des einst sympathischen Startup-Konzerns ruiniert. Mittlerweile befasst sich der amerikanische Kongress mit den Problemen, und Facebook-Boss Mark Zuckerberg muss öffentlich Abbitte kundtun, zuletzt in der Washington Post.

Service Datenschutz
:Privat trotz Facebook

Weil einige Optionen in Untermenüs versteckt sind, ist Datenschutz auf Facebook eine mühselige Sache. So sorgen Sie für den Schutz Ihrer Privatsphäre. Schritt für Schritt in Bildern.

Auch Google ist in die Defensive geraten, nachdem der Konzern zugeben musste, dass er bei seinen Fototouren durch deutsche Städte und Dörfer nicht nur Aufnahmen von Privatgebäuden macht, sondern gleich auch noch verfügbare drahtlose Internetzugänge speichert.

Die Kritik an den beiden Unternehmen stört sich indessen nicht immer an ernstzunehmenden Problemen. Immer wieder ist es eine diffuse, aber weit verbreitete Abneigung gegen das Digitale, die unter dem Deckmantel notwendiger Kritik den Weg in die Öffentlichkeit findet. Bisweilen nimmt die Kritik an Netzunternehmen dann technikfeindliche, bizarre Züge an.

Da kann Google noch so oft darauf hinweisen, dass man für den Dienst Google Maps nur fotografiere, was ohnehin jeder sehen könne, nämlich Straßenzüge. Das Unwohlsein bleibt. Dazu gehört auch eine geschichtlich bedingte, spezifisch deutsche Abneigung gegen Datensammlung, die nach dem Kontrollwahn der beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts verständlich ist.

Begründete Kritik und diffuses Ressentiment

Doch zwischen begründeter Kritik und diffusem Ressentiment gibt es einen großen Unterschied. Längst ist aus dem Blick geraten, dass das Internet ein zwar technischer, aber doch vor allem ein Fortschritt ist.

Da ist zum einen die alltägliche Erleichterung der Kommunikation durch E-Mail, Twitter und Facebook. Und dann sind da konkrete Werkzeuge, wie - um nur ein Beispiel von vielen herauszugreifen - jenes Google-Programm, das weltweit Grippetrends erkennen und so helfen kann, Pandemien einzudämmen, oder jene Serviceseiten im Kartographieprogramm für Google, mit denen Einsatzgruppen die Nothilfe nach Erdbeben wie dem in Haiti organisieren.

Dass Kritiker und Unternehmen nicht zueinander finden, ist in erster Linie einem Missverständnis geschuldet: Für die Netzunternehmen sind Daten Geschäftsgrundlage. Daten sind die Währung, in der der Kunde den im monetären Sinn kostenlosen Dienst bezahlt. Sie sind wesentlich flexibler als Geld.

Wir bezahlen mit unseren Daten

Datensätze gibt es in qualitativ unterschiedlicher Ausprägung, es gibt im Netz also besseres und schlechteres Geld. Die Methoden, an Daten zu gelangen, sind deshalb strikt auf Qualität und Quantität ausgelegt. Ethische Fragestellungen spielen da eine nachrangige Rolle.

Datenschützer wissen um diesen Aspekt, neigen aber dazu, die Tatsache zu negieren, dass jede Dienstleistung auch bezahlt werden muss. Das Gros der Nutzer dagegen begreift überhaupt nichts: Weder, dass die persönlichen Daten Zahlungsmittel sind, noch, dass es in der eigenen Verantwortung liegt, mit denselben vorsichtig umzugehen.

Stattdessen überwiegt die Wahrnehmung: Die Netzkonzerne sind sinistre Mächte, Kritiker und Nutzer die Guten. Doch so wichtig Kritik und Kontrolle auch sind, hier wird übertrieben. Denn tatsächlich sind die Nutzer mindestens so gefordert wie die Anbieter: Obwohl bekannt ist, dass das Netz ein Medium der Partizipation ist, bewegt sich die Masse der Menschen in ihm nicht aufmerksamer, nicht kompetenter als beim Fernsehen.

An zwei Punkten wird sich also die Lösung des Missverständnisses festmachen: Einerseits muss die Medienkompetenz der Menschen verbessert werden. Dies ist weniger eine Aufgabe für Schulen und Eltern als eine Frage der Zeit.

Auf der anderen Seite, und dies ist eine Forderung, die in ein Gesetz gegossen werden könnte, müssen die Netzkonzerne hundertprozentige Transparenz im Umgang mit Nutzerdaten beweisen. Was spricht eigentlich gegen eine kleine Schaltfläche im Facebook- oder Googleprofil mit der Bezeichnung "Gespeicherte Daten"?

Die Transparenz der Datensammlung

Ein Klick, und das Unternehmen müsste alles offenbaren, jede gespeicherte Mausbewegung, jede Suchanfrage, jedes hochgeladene Foto. Nichts könnte das Vertrauen der Nutzer und Kritik so schnell zurückerobern wie diese Maßnahme, und kein Lernprogramm der Welt könnte Kunden von Netzunternehmen so nachhaltig sensibilisieren wie diese schlichte Auflistung gespeicherter Information.

Erst wenn beide Seiten, Kunden und Kritiker ebenso wie Anbieter und Werbekunden, sich an die Bedingungen des Netzes anpassen, wird die Digitalisierung weiter voranschreiten.

Dazu gehört nicht nur deshalb ein respektvoller Umgang miteinander, weil sich Kunden im Netz schnell zum organisierten Protest verabreden können. Wichtig ist Fairness auch, weil die Erfahrungen beider Seiten notwendig ist, um gemeinsam eine Ethik für die digitale Welt zu erarbeiten, die Nutzern Freiheit und Anbietern Gewinne ermöglicht.

Lesen Sie den Themenschwerpunkt "Das Ich als Ware" in der SZ-Wochenendausgabe vom 5./6. Juni 2010 und weitere Artikel zum Thema in der Süddeutschen Zeitung.

© SZ vom 05.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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