Parolen auf Plakate drucken, das können sie ganz gut. In Großbuchstaben hängt die Botschaft in einem Berliner Fabrikhinterhof auf einem Banner: "Fight for your digital rights!" Es ist ihr Imperativ, ihre Erzählung. Man soll den Spruch ruhig schon von weitem lesen können. Jetzt, wo es was zu feiern gibt. Zehn Jahre alt ist das wichtigste deutschsprachige Weblog Netzpolitik.org in diesem Jahr geworden. Aus diesem Grund haben die Aktivisten am Freitag zu einer Konferenz nach Berlin eingeladen. Grund zum Feiern gibt es aus ihrer Sicht genug. Netzpolitik.org ist innerhalb eines Jahrzehnts zu einer wichtigen Stimme in der deutschen Medienlandschaft geworden.
Was auf der Seite steht, wird von Politikern und Journalisten wahrgenommen. Wer sich detailliert über Netzpolitik in Deutschland und Europa informieren will, kommt um die Lektüre der Seite kaum herum. Der Mann, der die Seite leitet, ist durch den Erfolg selbst zu einer Figur des öffentlichen Lebens geworden. Wenn Journalisten einen Experten für digitale Fragen suchen, dann rufen sie häufig Markus Beckedahl an. Das hat sich inzwischen so weit rumgesprochen, dass sich sogar jene Institutionen bei ihm melden, die gemeinhin nicht als Pioniere des digitalen Wandels gelten. "Der neueste Trend ist, dass Kirchen und Gewerkschaften sich mit dem Thema Digitalisierung auseinandersetzen", erklärt Beckedahl den Jubiläumsgästen.
Wer Markus Beckedahl besuchen will, muss in den hintersten Winkel eines dieser irrsinnig verwinkelten Berliner Bürogebäude. Dort sitzt die Redaktion von Netzpolitik.org. Beckedahl, Enddreißiger, stets mit spitzbübischem Lächeln auf den Lippen, arbeitet dort in einem Büro, in der die Zahl der Computerbildschirme erheblich größer ist als die Zahl der Büroarbeiter. Zweieinhalb feste Mitarbeiter helfen Beckedahl dabei, die Seite zu betreuen. Hinzu kommen je nach Lage zehn bis 15 freie Mitarbeiter, die aus Brüssel, Köln und anderen europäischen Städten berichten.
Missverhältnis zwischen Bedeutung und Unterstützung
Am überraschendsten an dem Projekt ist vielleicht, dass es noch immer existiert. Die chronischen Finanzsorgen, die viele Politaktivisten plagen, machen sich in der Netzpolitik besonders bemerkbar. Es gibt speziell in Deutschland ein seltsames Missverhältnis zwischen der Bedeutung des Internets für die Gesellschaft und der Bereitschaft, diejenigen zu unterstützen, die dafür kämpfen, dass dieses Internet so frei bleiben kann, wie es ist.
Über Onlinewerbung lässt sich ein Fachportal, das sich noch dazu beharrlich weigert, das Surfverhalten seiner Nutzer aufzuzeichnen, nicht finanzieren. Also setzt Beckedahl auf eine Mischkalkulation, die erheblich von den Spenden der Leser abhängt. 8000 bis 9000 Euro kämen so jeden Monat zusammen. Man muss das mal in Relation setzen: So viel Geld nehmen Sportvereine aus der Provinz an einem Abend beim Herbstfest ein.
Dabei kommen die Einschläge näher. Seit Jahren schon folgt eine große Debatte auf die nächste: Internetsperren, Vorratsdatenspeicherung, Urheberrecht, Netzneutralität. Zuletzt bestimmten monatelang die Überwachungstätigkeiten westlicher Geheimdienste die Schlagzeilen. Mit der zunehmenden Bedeutung des Internets gewinnt auch die politische Auseinandersetzung an Intensität.
"Überspitzt gesagt, sind wir zu einer Zeit gestartet, wo wir froh waren, wenn der Bundestag sich einmal im Monat mit einem netzpolitischen Thema beschäftigt hat", sagt Beckedahl. Jetzt, zehn Jahre später, sei die Situation so, dass sich verschiedene Ausschüsse in einer Sitzungswoche 15 bis 20 Mal mit Netzpolitik beschäftigten. Das führt zu Problemen: "Unser eigentliches Ziel, nämlich alles Relevante zu bearbeiten, können wir wegen der knappen Ressourcen nicht mehr erreichen", sagt Beckedahl und lehnt sich auf seinem schwarzen Bürostuhl, Modell Bürofachmarkt, zurück.
Grenzen des Wohlwollens
Das Verhältnis der Netzaktivisten zur Berliner Politszene ist distanziert. Zwar gratuliert der Bundesjustizminister schon mal zum Jubiläum per Twitter. Im Alltag bekommen Beckedahl und Kollegen aber immer wieder die Grenzen des Wohlwollens zu spüren. Einen Presseausweis für den Bundestag stellte ihm das Bundespresseamt erst nach längerem Streit aus. Als der Netzpolitik-Blogger Andre Meister kürzlich aus dem Bundestagsausschuss zum Bundesnachrichtendienst berichten wollte, fand er hinter seinem Rücken einen Beamten der Bundestagspolizei wieder, der offensichtlich damit beschäftigt war, ihn im Auge zu behalten. Die Bundestagsverwaltung entschuldigte sich zwar im Nachhinein für das Verhalten des Beamten, der angeblich "in Eigenregie" gehandelt habe. Der Fall zeigt aber durchaus, wie ernst die Arbeit der Netzaktivisten genommen wird.
Wie aber geht die Geschichte jetzt weiter nach zehn Jahren? Wenn Beckedahl von der Zukunft redet, dann merkt man: Er hat noch einiges vor. "Die gesellschaftlichen Debatten entstehen gerade erst", sagt er bei seiner Begrüßung der Jubiläumsgäste. Und ergänzt: "Man darf das Feld nicht den Industrielobbyisten überlassen." Der Kampf um digitale Rechte, er hat womöglich erst begonnen.