Man wandert durch eine Ruhmeshalle der großen deutschen Forschungsvergangenheit, wenn man den Senatssaal im Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität ansteuert. Im Treppenaufgang und auf dem Flur reihen sich die Fotos der Nobelpreisträger dieser Hochschule, 29 an der Zahl. Planck, Einstein, Koch, Behring - Männer die allesamt lange tot sind. Der letzte Laureat war 1956 der Mediziner Werner Forßmann.
Wie erbauend ist es da, dass jedenfalls Google-Aufsichtsratschef Eric Schmidt von deutschen Instituten und ihrer Forschungsleistung auch im Jahr 2011 noch so ehrfürchtig spricht, als lebe er in den Zeiten des Geheimrats Althoff. Google wird in Berlin ein neues, interdisziplinäres "Institut für Internet und Gesellschaft" finanzieren.
Das hatte Schmidt im Februar selbst hier angekündigt. Nun, zur Vorstellung vor der Presse, ist er nicht noch einmal selbst nach Berlin gekommen. Aber in einer Videobotschaft preist er die "Qualität und Sorgfalt" der deutschen Universität, für die das Land "seit Generationen" in der Welt bekannt sei. Darum freue er sich, gleich vier bedeutende Einrichtungen für die Zusammenarbeit gewonnen zu haben.
Gemeint sind neben der Humboldt-Universität (HU) die Berliner Universität der Künste (UdK) und das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Weiterer Partner ist das Hamburger Hans-Bredow-Institut. Das gemeinsame Institut wird an der Juristischen Fakultät der HU angesiedelt und damit prominent in der alten Königlichen Bibliothek am Bebelplatz residieren, wenn es im Oktober mit einem internationalen Symposium eröffnet wird.
Grundlagenforschung soll dort betrieben und ein Graduiertenkolleg veranstaltet werden. Wenn vorab von einem "Google-Institut" die Rede war, so unterstreichen die Präsidenten von Hochschulen und WZB jedenfalls, dass es sich keinesfalls um eine ausgelagerte Forschungsabteilung des Internet-Konzerns handeln wird.
Keine Exklusivrechte
Google werde Themen weder vorgeben noch verhindern können, sagt WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger. Etwaige Erkenntnisse des Instituts stehen dem Unternehmen auch nicht exklusiv zur Verfügung, sondern sollen nach dem Prinzip von Open Science frei im Netz verfügbar sein.
Umgekehrt erhalten auch die Forscher keinen privilegierten Zugang zu Google-Daten. Die Rolle des Unternehmens beschränkt sich auf das Monetäre. 4,5 Millionen Euro über drei Jahre wird Google Deutschland über eine gemeinnützige Förder-GmbH als Anschubfinanzierung zur Verfügung stellen. Weitere private Geldgeber sollen aber gewonnen, auch Bundes- und EU-Gelder erschlossen werden.
Wenn die Direktoren die ersten Forschungsvorhaben umreißen, dann ahnt man, wie ein solches Institut einmal zur öffentlichen Debatte beitragen könnte: Der Informatiker und Marketingforscher Thomas Schildhauer von der UdK möchte untersuchen, wie eine Spaltung der Gesellschaft in digitale Insider und Ausgegrenzte vermieden werden kann.
Jeanette Hofmann, Politologin am Wissenschaftszentrum, will zu informationeller Selbstbestimmung in Zeiten des Cloud Computing forschen. Wie in der Welt der Facebook-Freundschaften neue Zwischenstufen zwischen den überkommenen Rechtsbegriffen "privat" und "öffentlich" entstehen, möchte der Medienrechtler Wolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut ergründen.
Und der HU-Verfassungsrechtler Ingolf Pernice will der Frage nachgehen, ob im Netz womöglich der "Schlüssel für eine Globalverfassung", für eine Demokratie auf Weltebene verborgen sei, die wir bis vor kurzem nur als Utopie hätten abtun können.
Das sind allesamt relevante Themen - so dass sich dann doch die Frage stellt, warum es in der deutschen Forschungslandschaft für eine derart konzertierte Auseinandersetzung mit dem Internet erst des Anstoßes von Google bedurfte. Natürlich liegt die Antwort im leidigen Geld, das schlicht keine der Unis und auch nicht das Wissenschaftszentrum hätte aufbringen können.
"Mit Neid", erzählt Jeanette Hofmann, habe sie stets auf das Berkman Center der Universität Harvard geblickt und gedacht, dass es so etwas im deutschsprachigen Raum auch geben müsse. Eine Einrichtung, die dem Berkman-Center oder dem britischen Oxford Internet Institute auf Augenhöhe begegnen könnte, wäre in der Tat ein Gewinn.
Der Datenkrake Datenschutz erklären
Wird Deutschland dem Finanzier Google vielleicht eines Tages so dankbar sein müssen wie den Unternehmern, die einst aus auch nicht ganz uneigennützigen Gründen die Grundlagenarbeit der Kaiser-Wilhelm-Institute finanziert haben? An Verständnis füreinander hat es zwischen dem hierzulande gerne "Datenkrake" genannten Suchmaschinen-Konzern Google und den Deutschen des öfteren gefehlt, wie nicht zuletzt das Geschrei um Street View gezeigt hat.
Wenn es den Forschern des neuen Instituts am Ende gelingt, den deutschen, den mitteleuropäischen Blick auf das Internet - mit all seinen Differenzen zur angelsächsischen Perspektive etwa bei Persönlichkeitsrechten und Datenschutz - besser zu erklären, dann kann das natürlich auch den Damen und Herren im kalifornischen Mountain View nur nützen.