Likes in sozialen Netzwerken:Instagram will die Gefallsucht seiner Nutzer eindämmen

Lesezeit: 2 Min.

Der Anfang vom Ende des Likes? Instagram experimentiert damit, die Anzahl der Likes für einen Post nicht mehr anzuzeigen. (Foto: AFP)
  • Instagram experimentiert in einigen Ländern damit, Likes nur noch für Nutzern anzuzeigen, die den entsprechenden Beitrag gepostet haben.
  • Die Produktmanager wollen so den Druck reduzieren, nur populäre Bilder zu posten.
  • Auch andere Social-Media-Netzwerke hatten bereits über einen solchen Schritt nachgedacht.

Von Michael Moorstedt

Gleich zum Einstieg mal wieder ein Fakt für die Früher-war-alles-besser-Fraktion. Zum 50-jährigen Jubiläum der Mondlandung in diesem Juli hat ein Meinungsforschungsinstitut Kinder befragt und herausgefunden, dass das Berufsbild Astronaut mittlerweile auf dem letzten Platz einer Liste von fünf Berufen steht. Ganz oben thront der Youtuber. Der moderne Entertainer, der sich durch Likes und vor allem Werbegelder finanziert, hat schon längst mehr Strahlkraft als die Weltenentdecker im Orbit. Doch auch für die Youtuber brechen womöglich bald düstere Zeiten an.

Seit einiger Zeit experimentiert nämlich Instagram in ausgesuchten Ländern damit, den Like-Button abzuschaffen. In Kanada und seit vergangener Woche auch in Ländern wie Irland, Italien, Japan oder Brasilien ist der öffentliche Gefällt-mir-Zähler von der Plattform verschwunden. Seitdem kann per Voreinstellung nur noch derjenige sehen, wie populär ein Foto ist, der es auch selbst gepostet hat. Die Änderung mag trivial klingen, doch dadurch erhoffen sich die Produktmanager von Instagram den "Druck" zu reduzieren, populäre Bilder zu posten. Das ganze ist Teil eines größer angelegten Programms für mehr "digitales Wohlfühlen".

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Egal, ob sich der Test bewährt oder nicht, kommt er zu einem nötigen Zeitpunkt. Man muss vielleicht nicht so weit gehen wie das Magazin Atlantic, das noch im Frühjahr konstatierte, dass "der Like-Button das Internet ruiniert" habe. Aber ein paar Probleme kann man mit dem Gefällt-mir-Dogma schon haben. Zum Beispiel die Gleichförmigkeit der Inhalte. Denn Menschen tendieren eben leider dazu, die gleichen Dinge zu mögen. Zumindest wenn es um die niederen Instinkte geht. Auf dumme, extremistische oder vulgäre Posts können sich mehr Leute einigen als auf solche, die feinsinnige ästhetische Unterscheidungen erfordern. Und weil die Sortier-Algorithmen der sozialen Plattformen dummdreist nach Gefällt-mir-Angaben sortieren und mehr Likes automatisch mehr Werbeeinnahmen generieren, bleiben die dummen, vulgären und extremistischen Posts am sichtbarsten.

Jeder Teenager weiß heute, was sich gut klickt

Affirmation, egal in welche Richtung, hält also die Knochenmühle des Social Web am Laufen. Nun könnte man meinen, dass die Nutzer selbst in der Lage wären, auf Schrott-Inhalte zu verzichten. Doch Wissenschaftler haben längst herausgefunden, dass der Effekt, den ein fremder Like unter einem Post hat, ähnlich auf die Belohnungszentrale im Kopf wirkt wie ein Stück Schokolade. Je dominanter die Quantifizierungs-Werkzeuge werden, desto trivialer werden die Inhalte. Trotzdem wurden bislang immer neue Mittel geschaffen, um den Nutzern noch genauer zu sagen, wie nun das pastellige Bild einer Quiche Lorraine oder das leicht antisemitische Posting vom Vortag performt hat. Jeder Teenager weiß heutzutage, was sich gut klickt. Und richtet seine Meinung und seine Haltung im Zweifelsfall danach aus.

Instagram ist im übrigen nicht die einzige Plattform, die über die Zukunft des kontroversen Buttons nachdenkt. Wenn er seine Plattform noch mal starten müsste, sagte vor kurzem auch Twitter-Gründer Jack Dorsey auf einer Ted-Konferenz, würde er wohl gar keinen Like-Button hinzufügen. Und auch bei Youtube, das unter Fachleuten längst als latentes Radikalisierungsportal in Sachen Klimaleugnung und Rechtsextremismus bekannt ist, macht man sich Gedanken, wie man künftig eher die Qualität als die Popularität fördern könnte.

Nach der Ausweitung des Instagram-Experiments herrscht jetzt jedenfalls Sorge. Und zwar nicht nur unter normalen Nutzern, die sich durch das Posten auf Social-Web-Plattformen einen kleinen Dopamin-Kick abholen möchten. Sondern vor allem eben unter professionellen Influencern, jenen Leuten, die es als Beruf verstehen, diverse Produkte vor die Kamera zu halten und dafür sogar bezahlt werden. Laut dem Branchenblatt Adweek handelt es sich dabei immerhin um einen Zehn-Milliarden-Dollar-Markt. Jene Firmen, die sie dafür bezahlen, ihre Produkte zu bewerben, sind selbstverständlich auf möglichst hohe Like-Zahlen erpicht, ebenso wie die Agenturen, die zwischen beiden Parteien vermitteln. Es könnten also bald schlechte Zeiten anbrechen. Für Astronauten wie auch für Influencer. Früher war eben alles besser.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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