Industrieversicherung:Gemeinsam sauer

Lesezeit: 3 min

Schweißer in einem Werk für Maschinenteile: Ausländische Beschäftigte machen häufiger manuelle Jobs als deutsche, etwa in der Industrie. (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)

Viele Industriekonzerne leiden unter den Corona-Folgen. Jetzt wollen auch noch die Versicherer deutlich höhere Preise durchsetzen. Das führt zu Verstimmungen.

Von Herbert Fromme und Patrick Hagen

Die Stimmung ist nicht gut in den Versicherungsabteilungen großer Industriekonzerne. Jahrelang konnten die Einkäufer oder Risk Manager, wie sie intern genannt werden, ihre Finanzchefs mit sinkenden Preisen in der Industrieversicherung erfreuen. "Jetzt müssen sie ihren Vorständen im Konzern mitteilen, dass es kräftige Preiserhöhungen und geringere Kapazitäten gibt", sagt Kai-Frank Büchter, Deutschlandchef für die Industrieversicherung bei Aon, dem Weltmarktführer in der Vermittlung solcher Policen. "Da wird mancher Einkäufer, der bislang geglänzt hat, plötzlich zum Überbringer schlechter Nachrichten."

Sein Kollege Helmuth Kremer-Jensen, Nummer zwei bei Aon, berichtet: "In der Feuerversicherung gibt es bei mittelgroßen Firmen Erhöhungen von rund 20 Prozent, bei großen auch schon mal 60 Prozent, gerade wenn es sich um die Lebensmittelbranche oder die Holzverarbeitung handelt".

Besonders zugespitzt hat sich die Situation in zwei Sparten, die immer wichtiger werden für die Konzerne: Die Managerhaftpflicht für ihre Vorstände - im Fachjargon Directors' and Officers' Liability oder D&O - und die Cyber-Deckung gegen Hackerangriffe. "In einem D&O-Fall wurde die Kapazität halbiert und der Preis für diese reduzierte Kapazität dann verzehnfacht", berichtet Büchter. "Es ging also um den Faktor 20 nach oben." Der Kunde hat das nicht akzeptiert, der Makler fand eine Alternative. Aber auch sie war deutlich teurer.

Die Industriekonzerne hatten es jahrelang sehr gut. Versicherungsschutz war billig, es gab reichlich Angebote. Das ist jetzt anders - und es trifft viele Industrieunternehmen, die gerade wegen der Corona-Pandemie ohnehin wirtschaftlich schlecht dastehen.

"Das Ganze ist unberechenbar und passiert erdrutschartig", kritisiert Büchter. Frank Gartmann, Experte für Haftpflicht- und D&O-Risiken beim Energiekonzern Eon, berichtete auf einer Fachkonferenz über die Verhandlungen Ende 2020. "Ein langjähriger Versicherungspartner des Unternehmens hatte uns ohne Vorwarnung mitgeteilt, dass er an dem Grundvertrag nicht mehr interessiert ist." Die D&O-Versicherung ist besonders sensibel - denn damit sichern die Konzerne ihre Manager für den Fall ab, dass gegen sie Ansprüche nach Fehlern gestellt werden. Wenn die Versicherung nicht funktioniert, geht das ans Privatvermögen.

"Die Reputation der Versicherer hat massiv gelitten, Kunden haben kein Verständnis für dieses Vorgehen"

Auch in der Cyberversicherung läuft es nicht rund. Jahrelang haben Versicherer um Kunden für diese neue Sparte geworben. Jetzt kommen große Schäden, und die Gesellschaften werden vorsichtiger. Früher haben die meisten Anbieter pro Risiko 25 Millionen Euro versichert. "Die Hälfte der Anbieter ist auf 15 Millionen Euro gegangen", weiß Kremer-Jensen. Aon-Mann Büchter sieht insgesamt "viel Verärgerung" auf Seiten der Industrie. "Die Reputation der Versicherer hat massiv gelitten, Kunden haben kein Verständnis für dieses Vorgehen", sagt er. Auch das Verhalten der Gesellschaften in der Betriebsschließungsversicherung trug nicht zur Verbesserung des Rufes bei. In zahlreichen Prozessen versuchen Gastronomen und Hotelbesitzer, Leistungen aus ihren Policen wegen der Corona-Schließung einzuklagen - bislang mit gemischtem Erfolg.

Kremer-Jensen hat eine klare Forderung an die Versicherer: "Schluss mit der Heckenschützenmentalität", sagt er. "Es geht nicht an, dass Preiserhöhungen oder Kapazitätskürzungen erst kurz vor Jahresende mitgeteilt werden, wenn kaum ein Kunde noch wechseln kann."

Mukadder Erdönmez, Vorstand beim Industrieversicherer HDI Global, gesteht Probleme ein. "Wir streben eine stringente frühzeitige Kommunikation an", sagt er. "Das hat 2020 nicht so geklappt, das muss ich zugeben." Ein Problem bei den Versicherern: Die Mitarbeiter haben so kräftige Preissteigerungen noch nicht erlebt, erklärt Ralph Brand, weltweit für Haftpflicht, D&O und Cyber bei der Zurich-Versicherung zuständig. "Wir hatten eine solche Marktphase zehn bis 20 Jahre nicht."

Die Industrieversicherer haben jahrelang rote Zahlen geschrieben

Joachim Müller, Chef des Spezialanbieters Allianz Global Corporate & Specialty, weist darauf hin, dass die Industrieversicherer jahrelang für jeden Euro an Prämien rund 1,05 Euro oder 1,06 Euro für Schäden, Vertriebs- und Verwaltungskosten ausgegeben haben, also rote Zahlen schrieben. "Das zeigt, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist." Aber Müller verspricht, dass es künftig keine bösen Überraschungen mehr gibt.

Büchter mahnt die gesamte Branche zur Besonnenheit - und zur Kostensenkung. Denn der Vertriebs- und Verwaltungsaufwand frisst fast ein Drittel der Prämienzahlungen der Kunden auf. "Aktuell haben wir in der Industrieversicherung Kostensätze von über 30 Prozent", sagt Büchter. "Wenn man die Versicherungssteuer hinzurechnet, sind wir bei etwa 50 Prozent."

Die steigenden Preise haben allerdings auch Nebenwirkungen: Sie locken neue Anbieter an. Zum ersten Mal gehören chinesische Versicherer zu den Gesellschaften, die deutsche Industriekonzerne absichern. Sie haben zwar in der EU noch keine Zulassung, können sich aber indirekt, zum Beispiel als Rückversicherer, an Risiken beteiligen, sagt Kremer-Jensen.

Die neue Konkurrenz könnte dazu beitragen, dass langfristig die Preise wieder sinken. "Wir sind jetzt auf der Spitze angekommen", sagt Aon-Chef Büchter zum aktuellen Preis-Hoch. Seine Prognose: "Wir bleiben 2021 und 2022 auf diesem Niveau, 2023 sehen wir wieder eine andere Tendenz."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: