Indien:Stopp für den Nano

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Der indische Autohersteller Tata macht ernst und will nach anhaltenden Protesten das Werk für das Billigauto Nano verlegen. Das betrifft auch deutsche Unternehmen.

Tobias Matern und Hans von der Hagen

Für Nirupam Sen war es ein schwarzer Tag. "Traurig" sei die Entscheidung für seine Region. Der Wirtschaftsminister des indischen Bundesstaates Westbengalen zeigte sich regelrecht schockiert über die Ankündigung des Autobauers Tata Motors, die Arbeiten an seinem Werk in Singur einzustellen.

Hier sollte eigentlich das Prestigeprojekt Nano gebaut werden - das billigste Auto der Welt. Von Oktober an, so der Plan, sollte es für 100.000 indische Rupien (etwa1600 Euro) verkauft werden; Tata wollte damit den Massenmarkt dominieren.

Das Unternehmen erwägt nun, sich einen neuen Produktionsstandort zu suchen. Wirtschaftsanalysten in Indien gehen davon aus, dass sich dadurch der Verkauf des Nano um einige Monate verzögern würde. Ein Tagelöhner beging nach dem Baustopp am Mittwoch aus Verzweiflung Selbstmord.

Tausende Demonstranten hatten sich seit Tagen an massiven Protesten gegen Tata Motors beteiligt. Sie blockierten eine Zufahrtsstraße und legten das Werk in Singur lahm. Die Lage sei inzwischen so "feindselig und beängstigend", dass kein rentables Arbeiten mehr möglich sei, teilte die Firma mit.

Analysten überrascht

Die Demonstranten seien gewaltsam gegen Angestellte vorgegangen, die zur Arbeit in das Werk gehen wollten. Zu den Protesten aufgerufen hatte unter anderem die Oppositionspartei Trinamool Congress (TC). Sie griff die Regierung von Westbengalen massiv an, da diese zahlreiche Kleinbauern enteignet habe, um das 400 Hektar große Areal an Tata zu verkaufen.

Die Landwirte seien für ihr Land nicht angemessen entschädigt worden, kritisierte die TC. Zudem werde gar nicht die ganze Fläche benötigt. Das Unternehmen solle den Bauern das Land, das es nicht brauche, zurückgeben. Ein Sprecher der Partei sagte, Tatas Entscheidung, den Bau des Werks zu unterbrechen, sei nur eine Drohung, der keine Taten folgen werden. Tata werde "niemals gehen, sie tricksen nur", sagte er.

Nach einer in der Times of India veröffentlichten Meinungsumfrage spricht sich die überwältigende Mehrheit der Menschen in Westbengalen für den Verbleib Tatas in der Region aus. 85 Prozent forderten demnach, dass das Unternehmen in Singur bleiben solle.

Analysten zeigten sich überrascht, dass Tata jetzt derart offen einen Rückzieher erwäge. Entsprechenden Drohungen sei angesichts der schon weitgehend fertiggestellten Produktionsstätte wenig Glauben geschenkt worden, sagte Albrecht Denninghoff, der für die BHF-Bank den Automobilsektor beobachtet. "Wir hatten auch angenommen, dass es in der indischen Bevölkerung mittlerweile einen Konsens darüber gibt, dass das Land industrialisiert wird." Andere Unternehmen wie BMW und VW hätten ihre Fabriken bislang ohne Probleme errichten können. Jetzt aber müsse die Sicherheit des Produktionsstandortes Indien neu beurteilt werden.

Andererseits lasse sich im Falle Tatas eine Automobilfabrik vergleichsweise einfach verlegen: Die Bauten seien anspruchslos. "Es muss ein Fundament errichtet werden, auf dem dann die Fertigmodule platziert werden - das geht schnell", sagt Denninghoff. `

Hoher Stahlpreis bedroht Geschäftsmodell

Aufwändig sei nur der Bau der Lackierstraße und die Einrichtung des Maschinenparks. Sofern Tata angesichts der vielen Vorarbeiten die Verlegung innerhalb von sechs Monaten schaffe, habe das Unternehmen kaum Nachteile zu befürchten.

Sollte die Verlegung allerdings längere Zeit in Anspruch nehmen, würde Tata seinen Vorsprung gegenüber anderen Automobilherstellern verlieren. In dem Fall könnten Unternehmen wie Volkswagen und Renault/Dacia von der aktuellen Situation profitieren. Beide Konzerne drängen ebenfalls mit Billigautos auf den Markt, werden aber erst in rund zwei Jahren mit der Auslieferung starten.

Nachteile durch eine Standortverlagerung hätte eher die Zulieferindustrie zu befürchten, denn in dem Nano steckt ein großer Anteil deutscher Technologie. Vor allem Bosch liefert viele Teile für das Billigauto. Da das Unternehmen allerdings in Singur kein eigenes Werk habe, stelle sich Bosch nur auf die mögliche Verzögerung des Produktionsstarts ein, sagt eine Unternehmenssprecherin.

Weitere Zulieferer für den Nano sind etwa Continental, die Schaeffler-Gruppe und Freudenberg. Die größte Bedrohung für den Nano komme aber aus einer ganz anderen Ecke, warnt Automobilexperte Daniel Schwarz von der Commerzbank.

Der hohe Stahlpreis gefährde das gesamte Geschäftsmodell für die Billigautos: Es werde schwierig, den Verkaufspreis von 100.000 Rupien nicht zu überschreiten.

© SZ vom 04.09.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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