Der kanadische Börsenhändler Brad Katsuyama wollte seinen Augen nicht trauen. Er hatte sich gerade für den Kauf einer Aktie entschieden, da sah er auf dem Bildschirm, dass sich der Preis genau in dem Moment erhöhte, als er den Kauf per Mausklick ausführte. Katsuyama kam es so vor, als ob ein anderer Finanzmarktprofi ganz genau wusste, was er nun kaufen würde. Bald fand er heraus, dass intelligent programmierte Handelscomputer ihm die Aktien vor der Nase weggeschnappt hatten, um ihm die Papiere dann etwas teurer zu verkaufen. Hochfrequenzhändler hatten sich dazwischen gemogelt.
Der amerikanische Autor Michael Lewis hat die wahre Geschichte über Katsuyama 2014 in seinem Buch "Flash Boys" aufgeschrieben. Lewis behauptet, dass Hochfrequenzhändler andere Börsianer mit solchen Finten über den Tisch ziehen, und dass diese Computersysteme, die in Millisekunden handeln, im Ernstfall die Panik an den Börsen verstärken. An den wichtigsten Börsen der Welt bestreiten Hochfrequenzhändler mittlerweile über 50 Prozent des Handelsumsatzes - auch im deutschen Aktienindex Dax.
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Keiner bekam den Absturz der chinesischen Börsen so heftig zu spüren wie der Immobilien-Investor Wang Jianlin.
Das Beben an den Weltbörsen Anfang der Woche hat die Debatte um die Entmenschlichung des Börsenhandels neu entfacht. Die Computerprogramme werden zwar von Menschen entwickelt, doch die Maschinen handeln selbsttätig auf Basis von Rechenregeln, die tagein tagaus in Sekundenbruchteilen die neuesten Marktinformationen verarbeiten.
Der Handel ohne Menschen verstärkt den Herdentrieb am Aktienmarkt
Ein neuer Geist beherrscht die Börse. "Die Anlegerstruktur der Aktienmärkte hat sich in den letzten 15 Jahren komplett verändert", sagt Ulrich Reitz, Investmentchef der Vermögensverwaltung Focam. Früher hätten Investoren Aktien gekauft, um sie lange zu halten. Doch wegen der zunehmend starken Kursschwankungen - der Dax notierte seit 2000 mehrfach bei 8000 Punkten, um dann wieder bis auf 2200 und 3600 Punkte zu fallen - sei dieser Ansatz nicht mehr zeitgemäß. "Hochfrequenzhändler und Hedgefondsmanager bestimmen das Geschäft, sie spekulieren auf steigende und fallende Kurse und handeln sehr schnell. Privatanleger können nicht mithalten", sagt Reitz.
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Schwere Kursverluste an der Börse: In Frankfurt bricht der Dax knapp acht Prozent ein, in den USA eröffnet der Dow Jones rund sechs Prozent im Minus.
Natürlich gibt es für die jüngsten Börsenturbulenzen handfeste Gründe. Die Welt fürchtet, dass Chinas Wachstumsraten zurückgehen. Preiskorrekturen dürfen in dieser Situation nicht überraschen, denn Finanzmärkte gelten meist als effizient, die dort gehandelten Preise deshalb als fair.
Das Problem ist daher weniger der Preisverfall an sich als vielmehr die enorme Schwankungsbreite, die selbigen begleitet hat. Die Börsen, so scheint es, haben zeitweise verrückt gespielt. So lag die Aktie des Autokonzerns General Motors am Montag zu Handelsbeginn 21 Prozent im Minus, um sich danach schnell wieder zu erholen. "In den ersten 30 Minuten sind große Aktien stark gefallen, wir hatten viele Mini-Flashcrashs, weil die Hochfrequenzhändler ausgestiegen sind", sagte Jos Schmidt, Chef der kanadischen Börse Aequitas Neo Exchange.
Kettenreaktionen lösen Kursstürze aus
Der Begriff "Flashcrash" hat eine unselige Geschichte. Am 6. Mai 2010 lösten automatisierte Handelsprogramme an der New Yorker Börse einen rapiden Kursverfall aus. Der Index Dow Jones verlor plötzlich 1000 Punkte. Das entsprach einem Verlust von neun Prozent. Wenige Minuten später war der Spuk wieder vorbei. Dieser Flashcrash, so das Ergebnis einer späteren Untersuchung, kam dadurch zustande, dass Computerprogramme eines Händlers enorm viele Verkaufsaufträge ins System gespeist hatten. Das löste Verkäufe anderer Systeme aus. Es gab eine Kettenreaktion. Seit damals behaupten Kritiker, Hochfrequenzhändler würden durch ihr immanentes Herdenverhalten Krisen verschärfen. Dahinter steht der Vorwurf, viele Algorithmen seien ähnlich programmiert, sodass die meisten Handelsprogramme beispielsweise sofort Aktien verkaufen würden, sobald der Dax unter einen runden Punktestand wie 10 000 falle oder eine bestimmte prozentuale Verlustschwelle überschritten werde, wie das bei Stop-Loss-Order üblich ist.
Einige Hochfrequenzhändler sind nach dem Kurseinbruch sofort wieder eingestiegen und haben gut verdient. "Unsere Firma ist für diese Art von Markt wie geschaffen", sagte Douglas Cifu, Chef der US-Hochfrequenzhandelsfirma Virtu Financial nach dem Kurseinbruch am Montag. Auch Brian Donnelly, der Boss von Volant Trading, jubelte öffentlich. "Das sind die Tage, wofür wir hier alle arbeiten. Es ist wohl unser bester Tag seit dem Flashcrash 2010."
Früher schickte man Brieftauben los. Heute zählt der schnelle Rechner
Die US-Börsenaufsicht SEC möchte die Branche nun stärker überwachen. Einzelne Firmen sind schon mal wegen Gesetzesverstößen verurteilt worden. In dieser Woche hat ein US-Gericht eine Klage gegen führende US-Börsen und die Bank Barclays wegen einer angeblichen Bevorzugung des Hochfrequenzhandels abgewiesen. Ihnen war vorgeworfen worden, die Märkte so manipuliert zu haben, dass normale Investoren gegenüber dem Hochgeschwindigkeits-Computerhandel im Nachteil seien. Die Hochfrequenzhändler sagen, dass sie Anlegern die Möglichkeit gäben, ein Wertpapier jederzeit zu einem fairen Preis zu verkaufen. Ob die Preise an diesem Montag zu jeder Zeit fair waren - darüber lässt sich trefflich streiten.
Unstrittig ist, dass es an den Börsen schon immer ums Tempo ging. Wer die Information als Erster erhält und verarbeitet, der ist im Vorteil. Früher schickte man Brieftauben und Kutschen durch die Lande. Später, auf dem Parkett, konnten Sprinterqualitäten des Händlers von Vorteil sein. Jetzt zählen flinke Rechner.