Die Atomkraft, so schien es, hat in Europa keine Zukunft mehr. Doch Großbritannien sagt nochmals Nein. Nach 20 Jahren trifft das Land wieder die Entscheidung, auf dem eigenen Territorium ein Kernkraftwerk zu bauen. Im eigenen Land fehlt dafür das Know-how. Deswegen lassen die Briten das gewaltige Projekt von dem französischen Staatskonzern Areva bauen. Auch China sitzt mit im Boot beim Bau des 3,2 Gigawatt-Atomkraftwerks in Hinkley Point am Bristolkanal zwischen England und Wales an der britischen Westküste. Der französische Stromversorger EdF, der zu 85 Prozent dem Staat gehört, hat am Donnerstag nach langem internen Streit beschlossen, den umstrittenen und riskanten Bau in Angriff zu nehmen. In Hinkley Point stehen bereits die Atomkraftwerksblöcke A, der schon stillgelegt wurde, und B. Der geplante Block C soll nahezu sechs Millionen britische Haushalte mit Strom versorgen.
Die Entscheidung für das Projekt fiel knapp aus. Zehn Verwaltungsratsmitglieder von EdF stimmten dafür, sieben dagegen. Ein Mitglied war vor der Sitzung aus Protest zurückgetreten. Das Vorhaben entzweit sogar den Atomkonzern, der die französische Stromversorgung beherrscht. Es geht um 22 Milliarden Euro, mindestens. Es war ein jahrelanges Tauziehen.
Hinkley Point ist symbolträchtig
Der Bau des Milliardenprojekts dürfte auch als Signal aufgefasst werden, dass die Atomkraft, aus der Deutschland bis 2022 aussteigen will, in anderen Ländern weiter verfolgt wird. Hinkley Point ist symbolträchtig, weil mit Frankreich, Großbritannien und China drei Länder an Bau und Finanzierung des Projekts beteiligt sind, die weiter auf die Nutzung der Kernenergie setzen. Frankreichs Industrie erhofft sich von dem britischen Projekt die Chance, bei Ausschreibungen in Ländern wie Indien, Südafrika oder Polen den Zuschlag zu bekommen. China, das im eigenen Land eine Reihe von Atomkraftwerken errichtet, erhofft sich von dem britischen Projekt ebenfalls Zugang zu ausländischen Kraftwerksprojekten und einen Prestigegewinn.
Hinkley Point gilt als besonders riskant, seit Großbritannien im Juni in einem Referendum beschlossen hat, die EU verlassen. Dadurch waren die Zweifel an dem Projekt immer größer geworden. Das Ja zum Bau des britischen Kraftwerks mag wie das Bekenntnis zum Glauben an die Kernkraft verstanden werden. Aber so ist es nicht. Der EdF-Konzern und die Atomlobby Frankreichs sind in dieser Frage zerrissen.
Im März hatte EdF-Finanzvorstand Thomas Piquemal hingeworfen, weil er das Projekt für größenwahnsinnig und gefährlich für den Bestand des Konzerns hielt. "Wer wettet 60 bis 70 Prozent seines Vermögens auf eine Technik, von der man immer noch nicht weiß, ob sie funktioniert, obwohl man seit zehn Jahren versucht, sie zu bauen?", echauffierte sich Piquemal. Der abgetretene Atom-Manager befindet sich in ungewohnter Eintracht mit den Atom-Gegnern von Greenpeace. "Diese Entscheidung führt das Unternehmen schnurstracks in den Bankrott und wird zu geringe Investitionen in die nukleare Sicherheit im französischen Kraftwerkspark nach sich ziehen", kritisierte die Umweltschutzorganisation.