Cornwall:"Auf Wiedersehen, EU. Guten Tag, Armut"

Cornwall: Die Küstenstadt St. Ives in der Grafschaft Cornwall: Die Region profitiert besonders stark von der EU - noch.

Die Küstenstadt St. Ives in der Grafschaft Cornwall: Die Region profitiert besonders stark von der EU - noch.

(Foto: AFP)
  • Die Region Cornwall bezieht viele Millionen aus dem Strukturfonds der EU. Dennoch stimmten dort besonders viele Menschen für den Brexit.
  • Viele fürchten sich nun vor den wirtschaftlichen Folgen des Votums. Denn es könnte Cornwall empfindlich treffen.

Von Karl-Heinz Büschemann, Truro/Cornwall

Die Fernsehbilder täuschen. Was ZDF-Herz-Schmerz-Filme über das Schlösser- und Schafweideland Cornwall aussagen, ist so geschönt wie die Geschichten von den Aristokraten mit Range Rover und Pferdestall auf ihrer Suche nach der blonden Frau fürs ewige Leben auf dem Schloss. Die westlichste englische Grafschaft mag reich sein an schroffen Felsenküsten und malerischen Städtchen, aber sie ist arm. Sie ist so arm, dass sie die einzige Grafschaft Englands ist, die mit EU-Geld aufgepäppelt wird, weil das durchschnittliche Einkommen der Menschen bei weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. So wie im Süden Italiens oder in Teilen des EU-Balkans.

Trotzdem hat sich die Bevölkerung für den Austritt aus der EU entschieden. Bauern, Fischer und einfache Leute haben sich durchgesetzt. Fünf von sechs konservativen Parlamentsabgeordneten haben für "Leave" geworben, den Brexit. "Wir haben die Nase voll von der Panikmache der Regierung", schimpft ein kleiner Gemüsehändler in der County-Hauptstadt Truro.

Doch alle sind nicht mit dem Ausgang des Referendums einverstanden. "Wir sind besorgt", sagt Rob Nolan, der Bürgermeister von Truro über das Ergebnis. Das Referendum sei "auf Falschinformationen" aufgebaut, klagt der Kommunalpolitiker. "Wir brauchen ein neues Referendum, eines, das auf Fakten basiert." Am vergangenen Freitag gab es eine Demonstration von Brexit-Gegnern in Truro. Auf einem Schild hieß es: "Auf Wiedersehen EU, Guten Tag, Armut."

"Cornwall wurde vergessen"

Die Region mit ihren 540 000 Bewohnern hat von 2007 bis 2013 schon 650 Millionen Euro aus dem Strukturfonds der EU bekommen. Bis 2020 sollen 590 Millionen Euro zur Förderung der wirtschaftlich schwachen Region beitragen. Weitere Millionen danach sind in Aussicht gestellt. "Das kann verloren gehen", fürchtet Nolan. Große Projekte wie der Straßenbau könnten dann scheitern.

Kim Conchie zeigt sich erschüttert. "Wir erleben gerade besorgniserregende Zeiten", sagt der Geschäftsführer der Handelskammer von Cornwall. "Das Ergebnis ist unverständlich. Die Folgen werden schwerwiegend sein." Conchie hat ein bescheidenes Büro in einem Gewerbegebiet am Rande der alten Industriestadt Redruth. Von seinem Fenster aus ist am Horizont der Förderturm eines alten Zinnbergwerkes zu sehen, das längst zugemacht hat. Diese Gegend in der Mitte der Halbinsel sei vor 200 Jahren die reichste Region der Welt gewesen. "Das war das Silicon Valley des 19. Jahrhunderts." Zinn- und Kupferbergwerke brachten damals märchenhaften Wohlstand. In der Stadt Truro haben die Bürger vor 100 Jahren eine neugotische Kathedrale in die Stadt geklotzt, die weit und breit alles überragt.

Doch der Reichtum hat mit dem Zinnbergbau in den Achtzigerjahren aufgehört. Seitdem ging es abwärts am westlichen Ende Englands. Doch nicht die EU sei schuld an dem Niedergang, sagt Conchie, sondern die eigene Regierung: "London hat uns vernachlässigt". Cornwall, so klärt er auf, sei die am weitesten von der Hauptstadt London entfernte Grafschaft in England. "Cornwall wurde vergessen."

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