Herzogenaurach:Die neue Hauptstadt der Konzerne

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Die fränkische Kleinstadt Herzogenaurach hält einen Rekord: Sie beherbergt mit Adidas, Puma und demnächst vielleicht Schaeffler/Conti gleich drei Weltfirmen.

Uwe Ritzer

Für German Hacker war es eine Art Ur-Erlebnis, wenngleich es nicht ganz überraschend kam. Beim Jahrestreffen des Bayerischen Städtetages in Lindau scharten sich immer wieder Amtskollegen um den neuen Bürgermeister von Herzogenaurach. Sie wollten den Sozialdemokraten kennenlernen, ihm aber vor allem sagen, wie glücklich er doch sein könne. Welche andere 23 000-Einwohner-Kleinstadt beherberge schon zwei weltbekannte und erfolgreiche Sportartikelfirmen wie Adidas und Puma?

Fabrikverkauf von Adidas in Herzogenaurach. (Foto: Foto: ddp)

German Hacker hat sich nicht sonderlich gewehrt gegen all die netten Worte, aber er hat den anderen Bürgermeistern auch vom Dritten im Bunde erzählt, der noch viel größer ist als Adidas und Puma.

Von einem Kugellagerhersteller namens Schaeffler, einem Familienkonzern mit weltweit 66.000 Beschäftigten, der mit mehr als 7000 Mitarbeitern in seiner Herzogenauracher Zentrale der größte Arbeitgeber und mit weitem Abstand der größte Steuerzahler der Stadt ist. "Viele Kollegen reagierten überrascht", sagt der SPD-Politiker. "Sie wussten bis dahin mit dem Namen Schaeffler nicht viel anzufangen."

Einkaufen in der Mall

Inzwischen dürfte sich das geändert haben. Wenige Tage nach dem Jahrestreffen des Städtetags warf sich das Familienunternehmen aus Herzogenaurach in eine der spektakulärsten Übernahmeschlachten der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Schaeffler will die Macht beim Dax-Konzern Continental übernehmen. Das beschauliche Franken, in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine der Wiegen der deutschen Industrie, drängt wieder mit Macht auf die internationale Bühne: Kurz zuvor hatte die GfK im nahen Nürnberg angekündigt, die britische TNS zu übernehmen, um so zum zweitgrößten Marktforscher der Welt aufzusteigen. Wenig später gab der Nürnberger Rüstungs- und Technologiekonzern Diehl bekannt, dass er das Airbus-Werkes in Laupheim übernehmen werde.

Die Franken verfolgen es voller Wohlgefallen, denn die großen Namen der Region hatten in den zwei Jahrzehnten zuvor einen gewaltigen Niedergang erlebt: Grundig? Ist pleite. Quelle? Steckt in der Krise? Und AEG? Hat sein Werk für Haushaltsgeräte aufgelöst.

"Vor allem Schaefflers Angriff auf Conti demonstriert eindrucksvoll, dass der Wirtschaftsraum Nürnberg wieder enorme Macht und Stärke besitzt", meint ein Repräsentant der Industrie- und Handelskammer.

Für Herzogenaurach gilt dies ganz besonders. Wer sich dem Städtchen von der Autobahnabfahrt an der A3 aus nähert, steht in diesen Wochen nicht selten im Stau. Die Umgehungsstraße wurde unlängst erst verbreitert, doch für den Ansturm der Sommerurlauber reicht auch das zu Stoßzeiten nicht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Herzogenauracher Frau Schaeffler vertrauen.

Auf dem Rückweg aus den Ferien zieht es sie nicht in den gemütlichen mittelalterlichen Kern des Städtchens mit der Pfarrkirche St. Magdalena. Sie wollen nicht das barocke Schloss besichtigen oder den alten Wehrtürmen. Ihre Ziele liegen stattdessen auf der anderen Seite der Umgehungsstraße: Sie streben in das Fabrikverkaufszentrum von Adidas, das einer Auster ähnelt. Oder in jenes von Puma, auf dessen Fassade eine weiße Raubkatze vor knallrotem Hintergrund springt.

Nie wäre die Stadt geworden, was sie heute ist, ohne die sportbegeisterten Brüder Adolf und Rudolf Dassler. 1923 gründeten sie in der mütterlichen Waschküche eine Schuhfabrik.

Überall Baukräne

Nach dem Krieg zerstritten sie sich. Tüftler Adolf gründete Adidas, Verkaufsgenie Rudolf Puma. Das Flüsschen Aurach trennte ihre Werke und damit auch Herzogenaurach.

Wer bei Adidas arbeitete, blieb unter sich, bei Pumanern war es genauso. Während die Wirtschafts- und Sportpresse gespannt das Duell der beiden Marken verfolgte, gründeten gleich nebenan still und leise zwei andere Brüder eine Leiterwagenwerkstatt und machten daraus einen Kugellagerkonzern: Wilhelm und Georg Schaeffler. Wilhelm stirbt 1981, 1996 Georg Schaeffler, dessen Ehefrau Maria-Elisabeth daraufhin mit Sohn Georg das Unternehmen übernimmt.

Für die Menschen in der fränkischen Stadt ist Schaeffler immer noch ein Betrieb wie jeder andere."In meinem Bekanntenkreis versteht keiner, dass es bei Conti so große Vorbehalte gegen Schaeffler gibt", sagt Helmut Fischer.

Er ist Herzogenauracher von Geburt und verdient sein Geld als Werbemann bei Puma. Gut, man sei überrascht gewesen, "dass Schaeffler in einer solch hohen Preisklasse einsteigen und bieten kann". Das beunruhige in Herzogenaurach aber niemanden.

"Die Menschen hier vertrauen vor allem Frau Schaeffler", sagt Fischer. Seit 2006 ist die Milliardärin Ehrenbürgerin. "Sie engagiert sich seit vielen Jahren sehr stark für kulturelle, soziale und kirchliche Belange", sagt Bürgermeister Hacker. Wie stark, darüber spricht man nicht. Das läuft genauso, wie die Geschäfte der Firma: Diskret.

Was in Herzogenaurach weithin sichtbar ist, sind allerdings die vielen Baukräne. Kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt Ende April hat Hackers Vorgänger Hans Lang einmal zusammengerechnet: Puma steckt 75 Millionen Euro in seine Konzernzentrale. Adidas baut für 300 Millionen sein Hauptquartier samt Einkaufs-Mall und Firmenmuseum aus. Schaeffler investiert 50 Millionen Euro in ein Verwaltungszentrum.

Das Erbe der Militärbasis

Inklusive kleinerer Investitionen kam Lang auf eine halbe Milliarde Euro, die derzeit in Herzogenaurach verbaut werden. Auf 23.000 Einwohner kommen 16.200 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und nur 245 registrierte Arbeitslose. Die Stadtkasse ist prall gefüllt.

Vor ein paar Jahren noch war der Wohlstand in Gefahr. Adidas und Puma trudelten. In den neunziger Jahren stand Puma kurz vor dem Ruin. Adidas erwog, die Stadt ganz zu verlassen. Auch Schaeffler schwächelte zeitweise.

Eine Situation, an die sich Altbürgermeister Lang mit Schrecken erinnert. Adidas konnte man letztlich zum Bleiben überreden: Die Stadt überließe dem Konzern eine von der US-Armee verlassene, 114 Hektar große Militärbasis, um dort die neue Konzernzentrale zu bauen. Puma wurde saniert. Und Schaeffler gesundete nicht zuletzt deshalb, indem das Unternehmen kräftig expandierte.

Sollte der Familienbetrieb auch noch den großen Rivalen Continental übernehmen, dann gäbe es, umgerechnet auf die Zahl der Einwohner, in keiner Stadt in Deutschland derart viele Weltkonzerne wie in Herzogenaurach - nicht einmal in den Metropole München oder Frankfurt.

Bürgermeister Hacker ist jedenfalls davon überzeugt, "dass ich bei der nächsten Städtetag-Konferenz in einem Jahr niemandem mehr erklären muss, wer Schaeffler ist."

© SZ vom 13.08.2008/jpm/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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