Hermès: Geschäftsführer Thomas:Eine Festung aus Werten

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Wie hatte sich der Milliardär Arnault 17,1 Prozent an Hermès sichern können? Der erste familienfremde Geschäftsführer Patrick Thomas rüstet den Pariser Luxuskonzern gegen feindliche Attacken.

M. Kläsgen

Sein Telefon klingelte an einem Samstag. Hermès-Chef Patrick Thomas fiel aus allen Wolken. Bernard Arnault teilte dem Geschäftsführer des letzten großen familiengeführten Luxuskonzerns in Frankreich mit, dass er, der reichste Mann des Landes und Herrscher über 1001 Luxusmarken, demnächst 17,1 Prozent an Hermès besitze. Eine Stunde später machte Arnault dies per Kommuniqué publik. Eine gute Woche ist das nun her. Für Thomas zeigt allein der Zeitablauf, dass es sich nicht um eine "freundschaftliche" Geste handelt, so wie es Arnault, 61, darstellt.

Patrick Thomas leitet Hermès, den letzten großen familiengeführten Luxuskonzern in Frankreich. Die Bewahrung der Unabhängigkeit steht im Mittelpunkt der Unternehmensstrategie, und es spricht nicht dagegen, dass Thomas seit 2006 der erste familienfremde Geschäftsführer von Hermès ist. "Ich habe zwar keine Tochter der Familie geheiratet, bin aber mit den Werten des Hauses vermählt", sagt er. (Foto: picture-alliance/ dpa)

Dem Milliardär gehört über seine Holding Louis Vuitton Moet Hennessy (LVMH) fast alles, was in Frankreich nach Mode und Luxus klingt. Hermès fehlt in dieser Sammlung. Das Unternehmen ist eine Festung. Die Familie steht fest zusammen, und das in der sechsten Generation. Eine besondere Rechtsform sichert der Familie die Kontrolle, auch dann, wenn sie nicht mehr die Mehrheit am Kapital besäße. Das Unternehmen ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien, und damit eigentlich nicht zu übernehmen. Deren Vorsitzender heißt Bertrand Puech. Er ist, im Gegensatz zu Thomas, ein später Nachfahre des Firmengründers Thierry Hermès, der 1837 - aus der damals von Frankreich annektierten Samt- und Seidenstadt Krefeld kommend - in Paris eine Werkstatt für Sättel und Pferdegeschirr eröffnete.

Das Geschäft gibt es noch heute, Erben mit dem Namen Hermès hingegen nicht mehr. Der 1951 verstorbene Emile Hermès hatte keinen Sohn. Er hinterließ drei Töchter, die jeweils fünf oder sechs Kinder zur Welt brachten, die den Namen ihrer Väter annahmen: Puech, Dumas oder Guerrand. Sie sind es, die heute das Unternehmen zusammenhalten. Thomas bezeichnet sich in aller Bescheidenheit nur als "Lautsprecher" der Familie.

Kurz nach Thomas rief Arnault deshalb Puech an. Der gewiefte Milliardär weiß, dass er die Kommanditgesellschaft knacken muss, um Hermès übernehmen zu können. Der Gesellschaft gehören etwa 60 Nachfahren von Thierry Hermès an. Zusammen halten sie 70 Prozent des Kapitals und 87 Prozent der Stimmrechte. Ihr Kapital verteilt sich auf mehrere Gesellschaften mit Namen wie Flèches, Falaises oder Axam. Abkommen unter den einzelnen Gesellschaften zurren die drei Familien so zusammen, dass im Prinzip keine von ihnen ausscheren kann.

Diese Abkommen überprüft Hermès derzeit. Den Familien ist nicht erklärlich, wie Arnault, ohne dass sie es merkten, die Mehrheit der an der Börse gehandelten Aktien erwerben konnte. Thomas will es nicht nur der Pariser Börsenaufsicht überlassen, der Frage nachzugehen, ob Arnault möglicherweise gegen das Aktiengesetz verstoßen hat. Sein Stellvertreter, der Strategie- und Marketingvorstand von Hermès, Patrick Albaladejo, sagte der Süddeutschen Zeitung, dass Hermès darüber hinaus auch intern nachforsche, wieso im Haus der Alarm nicht losging.

Auf der letzten Seite des jüngsten Geschäftsberichts ist klar und deutlich aufgeführt, dass jeder Investor, egal welches Finanzvehikel er benutzt, es anzeigen muss, wenn er die Schwelle von fünf, zehn oder 15 Prozent des Kapitals überschreitet. Arnault unterließ dies, beteuert aber, das geltende Aktienrecht eingehalten zu haben.

Die andere Frage, die nicht nur Thomas und Puech umtreibt, ist, wer seine Aktien verkaufte. Albaladejo versichert, dass dies niemand aus dem Familienkreis getan habe, jedenfalls nicht in nennenswerter Höhe. Jérôme Guerrand, der Präsident des Verwaltungsrates, verkaufte zwar Anfang Oktober Aktien im Wert von gut vier Millionen Euro. Aber das entspricht gerade einmal 0,02 Prozent des Gesamtkapitals. Hermès ist im Moment etwa 20 Milliarden Euro an der Börse wert, bei einem Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro. Das Familienunternehmen weist damit das mit Abstand beste Kurs-Gewinn-Verhältnis aller französischen Luxuskonzerne aus. Wohl auch deshalb ist Arnault so verrückt danach.

Man könnte aus heutiger Sicht meinen, Thomas habe arg geflunkert, als er der SZ vor anderthalb Jahren in einem Interview sagte, im Haus schere man sich "kein bisschen" um den Aktienkurs. Dieser verdoppelte sich nämlich seither, und das trotz der Weltwirtschaftskrise, in der sich Hermès als besonders resistent erwies und kräftig an Umsatz zulegte. Trotzdem darf man Thomas glauben, dass er es durchaus ernst meinte.

Das besondere Gefühl der Zusammengehörigkeit

Hermès ist als börsennotiertes Familienunternehmen anders ausgerichtet als eine gewöhnliche Aktiengesellschaft. Ziel ist es nicht, einen möglichst hohen Aktienkurs anzustreben. Im Mittelpunkt steht der Erhalt der langfristigen Unabhängigkeit der Familie. Gegen diese Unabhängigkeit spricht nicht, dass Thomas seit 2006 der erste familienfremde Geschäftsführer von Hermès ist. "Ich habe zwar keine Tochter der Familie geheiratet, bin aber mit den Werten des Hauses vermählt", sagt er. Mit diesen Werten hat es etwas Besonderes auf sich. Sie beinhalten nicht nur das Streben nach Perfektion, was die Qualität der Waren anbelangt - das beanspruchen auch andere Luxusanbieter für sich. Hermès zeichnet zudem ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aus, und zwar seit sechs Generationen. Woher dieses Gefühl kommt, ist schwer zu sagen. Thomas meint, es habe etwas damit zu tun, dass die Firmengründer Protestanten waren und damit in Frankreich einer Minderheit angehörten. Auch so etwas schweißt zusammen.

Arnault stellt den Zusammenhalt der Nachfahren nun auf die Probe. Schon öfter hat er die Zwietracht unter Firmenerben nutzen können. Ein großer Test wird es deshalb für Hermès sein, geeignete Nachfolger für Thomas und Puech zu finden, die in den nächsten Jahren aus Altersgründen ausscheiden.

© SZ vom 02.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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