Heimsportgeräte:Kettler ist wieder am Start

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Das war ein Spaß. Ein kleiner Fahrer auf einem Kettcar aus den 60er-Jahren. (Foto: Kettler/dpa)

Kettcar und das Kettler-Alurad haben den Sportgerätehersteller einst bekannt gemacht. Doch dann folgte ein tragischer Niedergang. Die neue Firmenchefin Melanie Lauer will die Marke nun mit alten und neuen Ideen wieder nach vorne bringen.

Von Isabel Pfaff, Zürich

Als Melanie Lauer klein war, kletterte sie manchmal auf den Heimtrainer ihrer Mutter. Und obwohl ihre Füße kaum an die Pedale reichten, fühlte sie sich da oben auf dem Sattel sehr erwachsen. "So ein altes Modell war das, natürlich komplett analog, mit rundem Tachometer", erzählt Lauer. Der Hersteller des mütterlichen Ergometers: Kettler.

Heute prangt der Name Kettler auf Melanie Lauers Laptop und ihrer Visitenkarte. Die 39-Jährige ist seit diesem Frühjahr die neue Chefin von Kettler Sport, jener Sparte des Traditionsunternehmens, die Fitnessgeräte für zu Hause herstellt. Das heißt: Eigentlich ist Lauer Chefin von Trisport, einem eher unbekannten Sportgerätehändler aus der Schweiz, der aber schon immer den Großteil seines Umsatzes mit Kettler-Produkten erzielt hat. Das Unternehmen hat vor einem Jahr die Markenrechte für Kettler Sport in Europa gekauft - und will mit dem großen Namen nun auch selbst in die Produktion einsteigen.

Dafür haben die Eigentümer die Münchnerin Melanie Lauer geholt. Die studierte Philosophie- und Literaturwissenschaftlerin hat vorher beim Elektrofachhändler Conrad gearbeitet und dort den Business-to-Business-Bereich aufgebaut. Sie soll die zuletzt arg mitgenommene Kettler-Marke wieder fit machen.

Fitnessgeräte für zu Hause sind in der Pandemie besonders gefragt

Zum Treffpunkt am Zürcher Flughafen kommt Melanie Lauer - groß, schlank, cognacfarbener Mantel - mit Handtasche und Rollkoffer. Sie pendelt für ihren neuen Job, zwei Tage die Woche verbringt sie am Firmensitz im schweizerischen Hünenberg, in der übrigen Zeit führt sie die Firma vom Münchener Speckgürtel aus, wo sie mit Frau und zwei Kindern lebt. "Frisch getestet!", sagt sie und nimmt am Tisch die Schutzmaske ab. Blöd sei nur, dass sich gerade wieder die Einreisebestimmungen geändert haben, sie wisse gar nicht, ob sie nach ihrer Ankunft in München in Quarantäne müsse. Abgesehen von solchen Unwägbarkeiten hat die Corona-Pandemie auch ihre guten Seiten für die neue Chefin. "Der Heimfitnessmarkt wird gerade enorm befeuert", sagt Lauer, "da partizipieren wir in außergewöhnlichem Maße."

Tatsächlich schaffen es die Händler derzeit kaum, mit der Nachfrage Schritt zu halten. "Vorher war der Heimsportmarkt stabil mit leichter Tendenz zum Wachsen", sagt Christian Grau, Inhaber und CEO von Tiedje, einem der größten Fachhändler für Heimsportgeräte in Europa. Das steigende Durchschnittsalter, Urbanisierung, kleinere Stadtwohnungen, die wachsende Eigenverantwortung, was Gesundheit und Fitness angeht: alles Faktoren, die Grau zufolge dem Heimsportbereich zugute kommen. "Jetzt, mit Corona, explodiert die Nachfrage derart, dass wir so viel Ware nicht mehr rankriegen."

Ungeahnter Rückenwind also für Trisport und Melanie Lauer. Allerdings brauchen sie den auch. Denn Kettler, neben seinen Heimtrainern berühmt für ikonische Produkte wie das Kettler-Alurad oder das Kindertretauto Kettcar, ist zwar eine etablierte Marke, die viele mit Qualität made in Germany in Verbindung bringen. Doch die vergangenen 15 Jahre waren schwer. Im Oktober 2019 musste die Firma in ihrer alten Form endgültig dicht machen - nach Jahren des Niedergangs und insgesamt drei Insolvenzanträgen seit 2015.

Dabei war Kettler einst ein Vorzeigeunternehmen der westdeutschen Nachkriegszeit. Gründer Heinz Kettler begann Ende der Vierzigerjahre im Sauerland mit der Herstellung von Aluminium-Tortenplatten, baute aber dann mit viel unternehmerischem Gespür eine Freizeitgeräte-Firma auf, die zu Spitzenzeiten 3500 Mitarbeiter beschäftigte und in mehr als 60 Länder exportierte. Doch mit dem Alter des Firmengründers nahmen auch die Probleme zu.

Nach dem Unfalltod des Sohnes 1981 stand Heinz Kettler ohne Nachfolger da. Erst 2005, kurz vor seinem Tod, übergab er die Geschäfte an seine Tochter Karin. Doch die promovierte Biologin brachte nicht den Mut, nicht das Gespür des Vaters mit; außerdem erbte sie eine Firma mit teuren deutschen Produktionsstätten und einer zu breiten Produktpalette. Kettler gelang es nicht mehr, mit den Neuerungen des Marktes mitzuhalten, geschweige denn selbst Innovationen herauszubringen. Und die Fertigung, die auch am Ende noch mehrheitlich in Deutschland und nur zu einem kleinen Teil in Asien erfolgte, ging immer mehr ins Geld. 2017 starb auch Karin Kettler bei einem Autounfall, zwei Jahre später war die Firma endgültig am Ende.

Der langsame Niedergang hatte sich auch im Heimsportsegment bemerkbar gemacht, wie Tiedje-Chef Christian Grau erzählt: In den Neunzigern stammten mehr als die Hälfte der Fitnessgeräte, die er verkaufte, aus dem Hause Kettler. Am Ende waren es nur noch zehn bis fünfzehn Prozent. Die Firmenpleite hatte außerdem einen Produktionsstopp zur Folge, sodass sich Kettlers Marktposition noch mehr verschlechterte.

Melanie Lauer gibt sich unbeeindruckt von den Herausforderungen. Gut gelaunt erzählt sie davon, wie Trisport Anfang des Jahres die alten Kettler-Werkzeuge, also spezielle Biegevorrichtungen und Spritzgussformen, aufkaufte, aus den sauerländischen Werken ausbaute und in China wieder einbauen ließ. "Wir mussten die Produktion ja so schnell wie möglich wieder aufnehmen, da hätte es zu viel Zeit gekostet, das alles nachzubauen."

Alte Maschinen aus Deutschland leisten nun in China ihren Dienst

In nur vier Wochen stemmten Lauer und ihr Team den Umzug nach China, wegen der Corona-Pandemie konnte sie vieles nur per Livechat mitverfolgen. Um die Fertigung schnell auf das alte Kettler-Niveau zu trimmen, engagierte Lauer chinesische und deutsche Ingenieure, überwachte Probespritzungen, begutachtete die Fotos, ließ nachjustieren. Im Juni 2020, ein Jahr nach dem Produktionsstopp, laufen wieder Kettler-Fitnessgeräte vom Band - nur eben in China und Taiwan statt wie vorher in Nordrhein-Westfalen.

Bislang produziert Trisport immer noch die alten Ergometer, Crosstrainer, Laufbänder und Rudergeräte. Doch Melanie Lauer will die Palette erweitern und modernisieren. Eine erste, komplett neue Produktlinie ist in Arbeit, im nächsten Frühjahr soll sie vorgestellt werden. Um welche Gerätekategorie es sich handelt, will Lauer nicht verraten, stattdessen beschreibt sie ihren ästhetischen Anspruch: Zeitlos soll das Design der neuen Kettler-Geräte sein, statt schwarz oder weiß schweben ihr Pastelltöne vor, anstelle von klobigen Formen will sie schlanke Eleganz. "Im Moment wirkt mir das alles noch zu männlich." Lauers Freude am Entwickeln und Ausprobieren ist echt; sie verspricht, sofort ein Bild der neuen Geräte zu schicken, wenn sie damit an die Öffentlichkeit darf. "Und ich schwör's Ihnen", sagt sie triumphierend, "Sie wollen dann auch so eins!"

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