Hartz IV: Bundessozialgericht:Teure Zentimeter

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Das Verfassungsgericht hat die Hartz-IV-Sätze für Kinder im Februar gekippt. Doch steht den Familien jetzt auch Kleidergeld für die Kleinen zu? Das Bundessozialgericht muss nun entscheiden.

Daniela Kuhr

Eltern kennen das Problem: Auf einmal passen den Kindern die Sachen nicht mehr. Keine Hose, keine Jacke, kein T-Shirt, kein Pullover. "Wachstumsschub" nennt sich dieses Phänomen, wenn Jungen und Mädchen binnen weniger Monate zehn und mehr Zentimeter an Körpergröße zulegen.

In so einer Situation ist eine Neueinkleidung unumgänglich. Für die meisten Eltern ist das finanziell verkraftbar. Nicht so jedoch für die Familie, deren Klage an diesem Dienstag das Bundessozialgericht beschäftigt.

Das Ehepaar und seine drei Kinder, der kleinste Sohn ist erst wenige Wochen alt, leben seit Februar 2005 von Arbeitslosengeld II, also von sogenannten Hartz-IV-Leistungen. Insgesamt bekommt die Familie monatlich 1423 Euro. Davon müssen sie Miete, Nebenkosten, Heizung und den gesamten Lebensunterhalt bestreiten.

Im Sommer 2006 stellten die Eltern fest: Das dreijährige Mädchen trägt plötzlich Kleidergröße 110, wo eben noch 98 passte. Der vierjährige Junge benötigt Kleidergröße 116, doch im Schrank fand sich nur 104. Um die Kinder einzukleiden, beantragten die Eltern einmalig zusätzliches Geld.

Dazu listeten sie genau auf, was benötigt wurde: je zwei Paar Hosen für insgesamt 80 Euro, je drei Pullis für insgesamt 90 Euro, je zwei Paar Schuhe, drei T-Shirts, Unterwäsche und vieles mehr. Auf 448 Euro summierten sich die Kosten. Doch die Behörde lehnte ab. Die Familie sei dank der Hartz-IV-Leistungen in der Lage, die Kosten in vollem Umfang aus eigenen Mitteln zu decken, lautete die Begründung.

In den ersten beiden Instanzen bestätigten Sozial- und Landessozialgericht den ablehnenden Bescheid. Jetzt muss das Bundessozialgericht urteilen. Es ist einer der ersten Hartz-IV-Fälle, mit dem sich die höchsten deutschen Sozialrichter nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts befassen müssen.

Die Karlsruher Verfassungshüter hatten die Berechnung der Hartz-IV-Sätze im Februar für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Sie begründeten dies unter anderem damit, dass bei der Festlegung des Regelsatzes der spezifische Bedarf von Kindern zu pauschal ermittelt worden sei.

Anrecht auf Ausflugsgeld?

Derzeit bekommen unter Sechsjährige 60 Prozent des Regelsatzes eines Erwachsenen, Sechs- bis Dreizehnjährige 70 Prozent und 14- bis 18-Jährige 80 Prozent. Kinder seien keine kleinen Erwachsenen, die man einfach mit ein bisschen weniger Geld abspeisen könne, kritisierten die Verfassungsrichter. Sie verpflichteten den Gesetzgeber, den konkreten Bedarf von Kindern noch in diesem Jahr "realitätsgerecht" zu ermitteln. Bis dahin bleiben die aktuellen Regelsätze gültig, nur in besonderen Härtefällen sollen Betroffene schon jetzt mehr Geld bekommen.

"Normalerweise sind die Kosten für Kinderbekleidung ganz klar im Regelsatz enthalten", sagt Peter Udsching, Vorsitzender Richter des 14. Senats am Bundessozialgericht. "Die entscheidende Frage in diesem Verfahren wird jedoch sein, ob das auch bei Wachstumsschüben gilt oder ob in diesen Fällen ausnahmsweise ein Sonderbedarf vorliegt, für den es zusätzlich Geld geben muss."

Das Gericht wird auch klären, ob Kindern von Hartz-IV-Beziehern ausnahmsweise Geld für Schulausflüge zusteht. Ein Neuntklässler hatte für zwei eintägige Klassenfahrten um einen Zuschuss von jeweils 30 Euro gebeten. Bisher bekam er nicht recht.

© SZ vom 23.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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