Zuckerindustrie:Gummibärchen statt Gemüse

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Vitamine, Hanföl oder Grünkohl in Kaubonbons und Gummibärchen: Das Geschäft mit solchen Süßigkeiten läuft phänomenal.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Natürlich führen alle Spuren irgendwann zu Kylie Jenner, Gwyneth Paltrow und Kim Kardashian, den drei Sirenen des Marketing für Millennials. Es gibt ein Foto aus dem Jahr 2019, auf dem ist Jenner zu sehen - mit perfekt gestylten und glänzenden Haaren sowie makelloser Haut; doch wie immer ist ihr Aussehen nur der Katalysator dafür, ein Produkt zu bewerben. In diesem Fall sind es Gummibärchen der Marke Sugar Bear Hair, und Jenner verspricht ihren 198,3 Millionen Followern, dass sie deshalb schönere Haare habe und gesünder sei. Ach ja: Halbschwester Kardashian hatte das gleiche Produkt nur ein paar Wochen davor beworben, ebenfalls mit einem Foto an 190 Millionen Abonnenten, die veganen Vitaminbärchen würden gar köstlich schmecken und das allgemeine Wohlbefinden steigern.

Die Branche für Nahrungsergänzungsmittel wird in diesem Jahr in den USA einer Studie von Ibis World zufolge auf 36,17 Milliarden Dollar wachsen, und etwa ein Drittel davon tragen die vor allem bei jungen Erwachsenen so beliebten Vitamin-Booster in Kaubonbon- oder Gummibär-Form bei. Sie enthalten all die Sachen, die bei gesundheitsbewussten Leuten angesagt sind wie etwa blaugrüne Algen, Gerstengras, Chlorella, Spinat und Grünkohl. Freilich könnte man all die Sachen auch direkt zu sich nehmen, die Vermarktung richtet sich allerdings an eine Generation, die Bequemlichkeit zur Lebensmaxime erhoben hat: Es gibt jemanden, der für einen einkauft (Postmates), Sachen zum Kochen perfekt abgepackt liefert (Hellofresh) oder ein Bild aufhängt (Task Rabbit) - da passen Vitamine in Gummibärchen verpackt doch perfekt für Millennials.

Genau darauf zielt das Marketing dieser Branche ab. Vor zehn Jahren gab es diese Bonbons für Kinder, das Vermarktungsprinzip funktionierte ähnlich: Den Eltern wird eingeredet, dass ihre Kinder an Mängeln leiden könnten, doch welcher Grundschüler öffnet schon freiwillig den Mund, wenn ihm eine graugrüne Pille mit einem Glas Wasser vorgesetzt wird? Also: Bärchen, vielleicht sogar mit bekannten Gesichtern wie der Familie Feuerstein oder den Simpsons darauf, die auch noch lecker schmecken. Daraus haben sich die Bonbons für Erwachsene entwickelt, es gibt schlumpfblaue Bärchen für tolle Haare, die sehen toll aus auf den Profilen von Instagram-Influencern, genau so werden die Produkte beworben. Und fast alle versprechen, dass man für immer Kind bleiben dürfe (oder wenigstens langsamer altere), wenn man die Produkte isst.

Paltrows Lifestyle-Gelddruckmaschine Goop bietet Bonbons feil, die Energie, Fokus oder gar die Gene von Teenagern versprechen. Die Produktnamen klingen augenzwinkernd ("Balls in the Air", "Nerd Alert", "Why am I so Effing Tired"), die Beschreibungen sind so vage, dass sie klingen, als hätte sie der Wunderheiler im Wilden Westen verfasst, der den Leuten Wässerchen anbot, die gegen Grippe, offene Wunden und böse Geister gleichzeitig helfen sollten. Und es schadet ja nicht, 3333 Prozent des Tagesbedarfs an Vitamin B12 zu sich zu nehmen, oder?

Die Deutschen werden in diesem Jahr, das hat das Statistische Bundesamt prognostiziert, im Bereich Beauty & Personal Care insgesamt knapp 15 Milliarden Euro umsetzen, bis zum Jahr 2025 soll ein Marktvolumen von knapp 17 Milliarden erreicht werden. Auch hierzulande gibt es Fruchtgummis für schönes Haar, glatte Haut und jugendliches Lebensgefühl, die Produkte des Münchner Start-ups Bears with Benefits etwa enthalten Hanföl, Biotin und Kollagen und sehen aus, als wären sie einzig für Instagram-Fotos kreiert worden.

Nur: Was ist dran an diesen Produkten oder, vielleicht noch interessanter: Was ist drin? Eine Monatspackung von Sugar Bear Hair kostet mehr als 30 Dollar, die von 8 Greens Gummies 55, eine von Goop sogar 90 Dollar. Da wirken die Produkt von Bears with Benefits, die so tolle Sachen wie eine Verringerung von oxidativem Stress und Anzeichen von Lichtalterung sowie Kontrolle von Hyperpigmentierung versprechen, mit 24,50 Euro pro Glas wie ein Schnäppchen. Brauchen die Leute das, und sollten sie wirklich so viel dafür bezahlen?

"Nicht besonders viele Leute sind von schweren Mängeln geplagt oder derart krank, dass sie Nahrungsergänzungsmittel bräuchten", sagt etwa Chuck Bell von der Non-Profit-Organisation Consumer Reports. Er schätzt, dass nur etwa zehn Prozent der Amerikaner an Mängeln leiden, die durch die Bärchen behoben werden sollen: "Das Marketing redet den Leuten ein, dass sie was verpassen, wenn sie diese Produkte nicht nehmen." Es sei ein kindliches Versprechen, das da abgegeben werde: Du musst kein Gemüse essen, als Belohnung gibt's ein Gummibärchen. Medizinisch notwendig sei es nicht, aber das versprechen die meisten Produkte ja auch nicht. Sie versprechen: jugendliches Aussehen, mehr Wohlbefinden, mehr Energie - Dinge, die sich nur schwer beweisen, aber eben auch nur schwer widerlegen lassen.

Das Portal Business Insider hat kürzlich eine Analyse veröffentlicht und dabei mehrere Studien zitiert, denen zufolge gesunde Erwachsene keine Nahrungsergänzungsmittel bräuchten und die meisten der Produkte kaum mehr Wirkung hätten als den Placebo-Effekt. Zudem zeigen sie, dass die Angaben der Inhaltsstoffe oftmals ungenau seien, auch wenn der vegane Gelatine-Ersatz Pektin mehr Raum für Ergänzungen lasse.

Die milliardenschwere Branche verkörpert also weniger einen Siegeszug neuer Erkenntnisse oder eine Verbesserung der Produktion im Nahrungsmittelbereich, sondern einen Triumph des Marketing - wie so häufig, wenn die Spuren zu den Sirenen führen.

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