Gründer:Aufbruch an der Küste

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(Foto: dpa)

In der Hamburger Start-up-Szene tut sich viel, es bekommt nur kaum einer mit. Dabei sitzen dort Unternehmen wie Kreditech, ein großes Fintech, und Familonet - deren App findet selbst Google toll.

Von Sophie Burfeind, Hamburg

Michael, der Enkel, studiert in Hamburg, seine Oma wohnt in Köln. Beim Abschied ist es jedes Mal dasselbe. Seine Oma sagt: Melde dich, wenn du gut angekommen bist. Er sagt: Mach ich, und denkt dann doch nie dran, seine Oma ist jedes Mal in Sorge. Michael Asshauer will aber nicht länger der unzuverlässige Enkel sein, denkt, dass es doch möglich sein muss, an diesen Anruf zu denken, auch ohne anzurufen. Er spricht mit Hauke Windmüller, seinem Kommilitonen, über dieses Problem, auch der kennt das - sie beschließen, eine App zu entwickeln, die diesen Anruf durch eine Push-Nachricht ersetzt.

In einem Seminar in der Uni war das, erzählt Windmüller während eines Rundgangs durch das Schanzenviertel, wo es schön aussieht, wenn nicht gerade G-20-Gipfel ist. Vor fünf Jahren haben sie das Start-up Familonet gegründet und die Familonet-App entwickelt, David Nellessen ist als dritter Gründer dazugekommen. Ihr Büro haben sie hier, mitten im Szene-Viertel, das mittlerweile auch Start-up-Viertel ist. Weil im Besprechungsraum gerade eine Besprechung ist, erklärt Windmüller, 30 Jahre alt, außerhalb des Büros, wie die App funktioniert: Familienmitglieder werden benachrichtigt, wenn andere Familienmitglieder bestimmte Orte erreicht haben. "Wenn das Kind in der Schule angekommen ist zum Beispiel, oder der Vater im Büro." Oder der Enkel in Hamburg.

Das funktioniere mit einer Ortungstechnologie, die man "Geofencing" nenne, sagt er. "Betritt oder verlässt man bestimmte Bereiche, werden die anderen darüber informiert." Für Notfälle gibt es einen Notfallknopf, und wenn man mal nicht will, dass die anderen wissen, wo man sich aufhält, kann man sich unsichtbar machen. Familonet hat inzwischen 1,9 Millionen Nutzer, nicht nur Familien, auch Freunde und ganze Büroabteilungen, und wurde von Google als eine der "Besten Apps 2016" im Google-Play-Store ausgezeichnet.

Die Stadt fördert Gründer mit Geld, Beratung und vielen Kontakten

Familonet ist eines von 586 Start-ups aus Hamburg, einer Stadt, in der sich seit einigen Jahren viel tut in der Gründerszene, die darum aber nicht viel Wind macht. Ganz im Gegensatz zu Berlin. Alle reden über Berlin, besonders Berlin redet gern über Berlin - dabei passiert zwei ICE-Stunden nördlich der Hauptstadt gerade eine Menge. Ist Hamburg dabei, Berlin den Rang abzulaufen?

Es gibt Hinweise darauf: In keiner deutschen Stadt wurden in den vergangenen zwei Jahren so viele Unternehmen gegründet wie in Hamburg. Das geht aus dem Ende Mai veröffentlichten Gründungsmonitor der KfW hervor - zwischen 2014 und 2016 haben sich hier 253 von 10 000 Erwerbsfähigen pro Jahr selbständig gemacht, in Berlin waren es 238. Bisher lag die Hauptstadt auf Platz eins. Oder die Studie der Unternehmensberatung PwC: Demnach ist Hamburg bei der Digitalisierung der Mobilität die modernste Stadt in Deutschland, ist also bei intelligenten Transportsystemen und Carsharing am besten.

Hinzu kommt: In Hamburg gibt es neben dem Hafen, der Logistik- und Luftfahrtbranche viele Werbeagenturen, Medien- und IT-Unternehmen. Internetfirmen wie Google, Facebook, Twitter und Dropbox haben hier Zentralen, demnächst eröffnet auch der Social-Media-Konzern Snap eine. Hamburg nennt sich gern "Game-City", weil hier die großen Computerspieleentwickler sitzen.

Gute Voraussetzungen für einen Start-up-Standort, sagt Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Start-ups: "In Hamburg trifft ein starkes Tech-Cluster auf ein deutschlandweit einmalig dichtes Netzwerk aus Unternehmen aus der Medien-, Kultur- und Kreativwirtschaft." Aus diesem Grund haben sich viele Hamburger Gründer auf die Bereiche E-Commerce, Medien, Service und Technologie spezialisiert. Entstanden sind hier in den vergangenen Jahren bekannte Firmen wie das soziale Netzwerk Xing oder die Vermittlungsplattform Mytaxi. Außerdem wächst die Fintech-Szene - Kreditech zum Beispiel, das größte deutsche Finanz-Start-up, kommt aus Hamburg und nicht aus Frankfurt, wie man vermuten könnte.

Dass hier seit einigen Jahren viel passiert, hat neben privatwirtschaftlichen Initiativen auch damit zu tun, dass die Politik mehr für Gründer tut, sagt Heiko Milde. Er ist Geschäftsführer der städtischen IFB Innovationsstarter GmbH, die Start-ups fördert. Eines der Programme unterstützt Gründer am Anfang mit bis zu 150 000 Euro. "Außerdem sind in den Universitäten viele forschungsintensive Ausgründungen entstanden", sagt er.

Von der städtischen Förderung haben auch die Familonet-Gründer profitiert. Mit dem Geld entwickelten sie die erste Version ihrer App. "Im ersten Jahr haben wir vor allem am Produkt gearbeitet", sagt Windmüller. Im zweiten Jahr machen sie Werbung, übersetzen die App in 16 Sprachen. Seit Jahresanfang verkaufen die Gründer nicht mehr nur ihre App, sondern an andere Unternehmen auch ihre Technologie. "Fast jede App braucht eine Ortungstechnologie." Einer ihrer Kunden ist die Hamburger Sparkasse.

"Die Wege sind kurz in Hamburg", sagt Veronika Reichboth. Sie ist die leitende Managerin von Nextmedia Hamburg, einer weiteren Initiative der Stadt. Eine Anlaufstelle, wo Gründer kein Geld bekommen, dafür Beratung und Kontakte. "Die Hamburger Start-up-Szene ist klein, aber gut vernetzt", sagt sie, außerdem konzentriere man sich hier auf Inhalte. Ihr Kollege Milde formuliert das so: "Hier ist es egal, in welchem hippen Café man seinen Laptop aufklappt." In Berlin war das Café St. Oberholz am Rosenthaler Platz lange Zeit das Hauptquartier all derer, die sich kreativ fühlten - auch, weil niemand gezwungen wurde, mehr als einen Espresso pro Tag zu bestellen.

Vielleicht würde Hamburg etwas mehr Eigenwerbung aber nicht schaden, Berlin zumindest profitiert ja davon. Dort sitzen nicht nur mit Abstand die meisten Start-ups, um die 2000, Berlin ist auch auf dem Radar ausländischer Investoren, Hamburg eher nicht. Ein weiteres Problem: Hier gibt es zwar viele Unternehmer mit viel Geld, aber nur wenige, die es in Start-ups investieren wollen. Heiko Milde sagt, dass sich das langsam ändert. Und er glaubt: Wenn Hamburg noch mehr erfolgreiche Start-ups hervorgebracht habe, werde die Stadt auch für ausländische Investoren interessanter. "Amerikanische Investoren sind ja ganz andere Entfernungen gewohnt. Hamburg und Berlin sind für die ein Standort."

Zurück vor dem Büro von Familonet. Ihre App helfe nicht nur Familien, sagt Windmüller. Vor Kurzem habe ihnen ein Schüler geschrieben, der seinem Lehrer beweisen musste, dass er die Schule nicht geschwänzt habe. Den Beweis, dass er in der Schule war, gaben sie ihm gerne.

Mit dem Gipfelstürmer-Wettbewerb zeichnet der SZ-Wirtschaftsgipfel am 19. November deutsche Gründer aus. Die Serie begleitet den Wettbewerb. Bewerbungen und weitere Infos unter: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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