Großprojekt:Mehr Gefühl für Frankfurt

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So soll der im Krieg zerstörte Hühnermarkt einmal aussehen. (Foto: DomRömer GmbH/HHVISION)

Der Wiederaufbau der Altstadt nach historischem Vorbild soll ein besseres Image bringen. Das Projekt ist umstritten. Für die Wohnungen gibt es aber dennoch viele Interessenten.

Von Helga Einecke

Oberbürgermeister Peter Feldmann streift die rote Warnweste über, setzt den weißen Helm auf. Er geht voran auf die Großbaustelle, ein Terrain von 7000 Quadratmetern. "Nix anfassen", rät er zur Sicherheit. Der Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt liege ihm am Herzen, sagt er, als müsse er sich und seine Kehrtwende in dieser Sache erklären.

Erste Station ist das Haus Esslinger, das einmal Goethes Tante Melber gehörte. Künftig soll ein Museum hier Struwwelpeter-Exponate zeigen und dessen Erfinder, den Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann, vorstellen. Eine Ecke weiter, "hinter dem Lämmchen" genannt, finden sich Originalbauteile aus dem Barock, die Hausfassaden schmücken und so historische Spuren sichern. Weiter geht es zum Nürnberger Hof. Hier wurden im späten Mittelalter Wein, Tücher und Pferde gehandelt, sogar eine erste Börse gab es.

Dann steht Feldmann am Krönungsweg, dem berühmten Pfad zwischen Dom und Römer, den einst die Kaiser beschritten, wenn sie inthronisiert wurden. "Diesen Weg zu gehen und zu erleben, das wird den Frankfurter Bürgern gefallen", sagt der Oberbürgermeister. Premiere ist an diesem Samstag. Zum Richtfest sind alle eingeladen, hinter die Bretterzäune zu blicken. Die Besucher erwartet eine geballte Portion Geschichte.

Es könnte auch ein Test sein, ob und wie das strittige Projekt Frankfurter Altstadt ankommt. Denn seit der Zerstörung von weiten Teilen der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg blieb das Terrain zwischen Dom und dem Rathaus Römer offen wie eine Wunde. Zwei Waschbeton-Bauten aus den Siebzigerjahren konnten sie nicht schließen. Sie wurden wieder abgerissen. Eine historische Zeile fand mehr Anklang, auf jeden Fall bei den Touristen. Die Stadtverwaltung besitzt den Grund, unter dem sich ein Parkhaus und U-Bahn-Tunnel befinden. Die Abrisse und die Sanierung des Untergrunds kosteten viel Geld und Zeit.

In jahrelangen Diskussionen von Bürgern und Politikern schälte sich der Wunsch nach historischen Vorbildern heraus. Die städtische Gesellschaft Dom-Römer GmbH baut, verkauft und vermietet nun insgesamt 35 Häuser, darunter 15, die nach historischen Vorlagen gestaltet wurden. Mindestens 185 Millionen Euro kostet der Wiederaufbau von Teilen der Altstadt, 80 bis 90 Millionen Euro könnten durch Verkäufe hereinkommen, so die offiziellen Schätzungen. Doch diese Art von Wiederaufbau gefällt nicht jedem.

Der Wiederaufbau gefällt nicht jedem. Manche erinnert er an eine Art Disneyland

Manche ziehen Vergleiche mit Disneyland oder dem Freilichtmuseum Hessenpark, andere finden die Enge der dicht gedrängten Gebäude überholt. Michael Guntersdorf führt die Geschäfte der Dom-Römer GmbH und geht mit der Kritik an seinem Altstadt-Projekt pragmatisch um. "Man sollte es nicht zu hoch hängen, wir wollen keinen intellektuellen Höhenflug", sagt er. Erstens handele es sich um ein Stück überfällige Stadtreparatur. Frankfurt sei gut beraten, sich auf seine historischen Wurzeln zu beziehen. Die Stadt stehe im internationalen Wettbewerb und brauche eine Identität. Zweitens solle das neue Quartier ganz gewöhnliche Läden, Gastronomie und Wohnungen bekommen und nicht nur ein Hort der Retro-Kultur sein. Für Guntersdorf zählt vor allem die Geschichte und deren Transport in die Gegenwart. Frankfurt habe früher die größte zusammenhängende gotische Altstadt besessen, vergleichbar nur mit Städten wie Prag, Nürnberg und Paris. Schon im 14. Jahrhundert seien ansehnliche Fachwerkhäuser mit bis zu 26 Meter Höhe entstanden, daran gelte es zu erinnern.

Überzeugungsarbeit muss Guntersdorf häufig leisten. Beim Oberbürgermeister ist sie ihm gelungen. Feldmann will beim Richtfest die ersten Besuchergruppen persönlich in die historischen Zusammenhänge einführen. Er bedauert den verengten Blick mancher Menschen auf Frankfurt, das Image als Skyline kalter Bankfassaden und Brennpunkt der Kriminalität. "Die das behaupten, versündigen sich", sagt er. Kaiserkrönungen, die demokratische Bewegung in der Paulskirche - so habe Frankfurt europäische Politik mitbestimmt. Dies müsse mehr in den Vordergrund rücken. Es gelte, die Stadt emotional zu besetzen, ihr mehr zuzutrauen als Apfelwein, Handkäse und Bembel. "Das ist nicht nur alles Folklore", widerspricht er Kritikern, die sagen, die alten Häuschen würden lediglich eine Kulisse für Touristen abgeben.

Feldmann selbst stand dieser sogenannten Ostzeile lange kritisch gegenüber. Dann vollzog er eine Kehrtwende. Es gebe in Frankfurt die Sehnsucht nach Beschaulichkeit und Verwurzelung, und die wolle er den Bürgern vermitteln. Gerade im Herzen der Stadt solle sich die Geschichte widerspiegeln, die sich anhand von Ausgrabungen aus der Römerzeit 2000 Jahre lang zurückverfolgen lässt. Feldmann hat sogar den Vorsitz des Aufsichtsrats der Dom-Römer GmbH übernommen.

Ein wenig Folklore darf aber schon sein. Neben Struwwelpeter-Hoffmann spielt auch Friedrich Stoltze, Heimatdichter und politischer Kopf, eine Rolle. Ein Brunnen und ein Museum werden nach ihm benannt. Und mittendrin zwischen den neu-alten Häuserzeilen sollen sich Einheimische wohlfühlen. Am Hühnermarkt etwa, in einem Seniorencafé oder in der Goldenen Waage, einem Gebäude, das mit ganz besonderem Aufwand neu in Szene gesetzt wird. "Tourismus ist wichtig, hat jedoch keine Priorität", sagt Guntersdorf. Aber es schmeichelt ihm schon, wenn Gruppen aus China oder den USA begeistert auf die Rekonstruktionen reagieren. Guntersdorf bezeichnet das Projekt als einmalig. Die Stadt Frankfurt wage das Experiment, die Bürger in der Planung mitbestimmen zu lassen.

Wer in der neuen Altstadt Eigentum erwerben will, muss 5000 bis 7000 Euro pro Quadratmeter zahlen. Das Interesse ist groß. Auf 80 Wohnungen kommen 350 Kaufwillige. Das Los entscheidet. Für einen Eigentümer, die Familie Mettenheim, bedeutet die Wiederauferstehung der Altstadt die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Anfang des 18. Jahrhunderts führte Philipp Gallus Mettenheim eine "Droguen- und Materialwaarenhandlung" im Haus Würzgarten direkt am Krönungsweg.

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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