Großbritannien:Störfall

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Die britische Regierung will bis zu sechs Atomkraftwerke bauen lassen. Doch zwei japanische Konzerne geben ihre Projekte auf. Nun sollen es die Chinesen richten. Ausgerechnet.

Von Björn Finke, London

Es hat alles nichts genutzt: Die britische Regierung bot an, als Großaktionärin bei dem Projekt einzusteigen. Die Kredite wollte London auch zur Verfügung stellen. Und den Abnahmepreis für den Strom garantieren. Trotzdem zog das Management von Hitachi den Stecker. Der japanische Konzern beschloss nun, Planungen für zwei neue Atomkraftwerke in Großbritannien einzustellen. Dafür verbucht das Unternehmen 2,5 Milliarden Euro Verlust. Doch der Aktienkurs legte zu, weil Investoren erleichtert sind. Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der japanische Rivale Toshiba entschieden, Vorbereitungen für einen neuen Atommeiler in Nord-England zu stoppen.

Die Folgen dieser beiden Absagen sind dramatisch: Großbritannien hat auf einmal keine funktionierende Energiepolitik mehr. Nicht nur beim Brexit droht Ungemach, sondern auch auf dem Strommarkt. Es ist unklar, wie das Königreich sicherstellen will, dass Ende des kommenden Jahrzehnts nicht die Lichter ausgehen. Bloß ein internationaler Atomkonzern ist weiterhin sehr erpicht darauf, Reaktoren für Her Majesty's Government hochzuziehen.

Aber sich diesem Retter in der Not auszuliefern, ist zutiefst heikel für die Briten. Schließlich handelt es sich um den Staatskonzern China General Nuclear Power Group (CGN). Die Chinesen wollen das Königreich als Schaufenster nutzen, um ihre Kernkraftwerke weltweit besser verkaufen zu können. "Werden wir in Großbritannien akzeptiert, würden wir auch in anderen Ländern stärker akzeptiert werden", sagt Zheng Dongshan, Chef der britischen CGN-Tochter und nebenher Funktionär der Kommunistischen Partei.

Am Montag wurde bekannt, dass die Chinesen bereits mit dem britischen Technologiekonzern Rolls-Royce - nicht zu verwechseln mit dem Limousinenhersteller - verhandeln. Rolls-Royce fertigt neben Turbinen Steuertechnik für Atomreaktoren. CGN plant, in Bradwell an der Nordseeküste, 75 Kilometer von London entfernt, ein Atomkraftwerk zu bauen und dort sein eigenes Reaktordesign zu nutzen . Es wäre das erste Mal, dass ein chinesischer Reaktor in Westeuropa ans Netz geht. Würde das Unternehmen die wichtige Steuertechnik bei Rolls-Royce ordern anstatt eigene zu verwenden, könnte das manche Sicherheitsbedenken zerstreuen. Dies ist zumindest das Kalkül von CGN.

Baustelle von Hinkley Point C, dem ersten neuen Reaktor im Königreich seit einer Generation: Fünf weitere sollen folgen. Aber wer kann sie hochziehen? (Foto: Matt Cardy/Getty Images)

Denn manchen Politikern und Fachleuten behagt die Idee ganz und gar nicht, dass ein chinesischer Staatskonzern großen Einfluss auf die britische Stromversorgung gewinnt und gefährliche Atomanlagen betreibt. Auch aus dem Ausland kommt Kritik: In der US-Regierung beschäftigt sich Christopher Ashley Ford damit, wie die Verbreitung von Kernwaffen und bedrohlichen Technologien verhindert werden kann. Ford wirft CGN vor, Atomtechnik an das chinesische Militär weiterzugeben. London solle noch einmal darüber nachdenken, ob eine Zusammenarbeit mit dem Konzern "eine besonders gut Idee" sei, sagt der Amerikaner.

In Großbritannien steuert Kernkraft ein gutes Fünftel zur Stromversorgung bei. Von den acht Meilern wird im Jahr 2030 aber nur noch einer in Betrieb sein, die Laufzeit der anderen endet vorher. Außerdem verspricht die Regierung, bis 2025 alle Kohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, weil diese besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid herausblasen. Kohle steht für 2,5 Prozent des Strommixes. Für die Meiler muss Ersatz her. London setzt auf mehr grünen Strom, vor allem von Windparks auf See, auf Gaskraftwerke und auf bis zu sechs Atommeiler. Doch ob und von wem diese gebaut werden, ist jetzt offen.

Ohnehin stellt dieses strahlende halbe Dutzend einen Sonderweg dar - zumindest in Europa: Seit der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 wird in Europa nur noch wenig in Kernkraft investiert.

Toshiba und Hitachi sollten drei der sechs geplanten Kernkraftwerke errichten, aber die japanischen Konzerne scheuten die hohen Baukosten und die Risiken, dass Meiler verspätet ans Netz gehen oder im Wettbewerb mit Öko-Strom, der immer billiger wird, nicht mithalten können.

Die anderen Kraftwerke soll der französische Stromkonzern EDF mit seinem umstrittenen Partner CGN hochziehen. Beim ersten Kraftwerk, Hinkley Point C, wird bereits gebaut. Hier sind die Chinesen Juniorpartner, genau wie beim Anschlussprojekt, einem Meiler in Sizewell. Das Reaktordesign stammt jeweils von den Franzosen. Beim dritten Kraftwerk in Bradwell wird hingegen CGN der größere Investor sein und erstmals das eigene Reaktordesign nutzen dürfen. CGN sollte die Anlage auch betreiben, allerdings will der Konzern darauf eventuell verzichten.

EDF und CGN waren nur bereit, Hinkley Point C für 22 Milliarden Euro zu bauen, nachdem die Regierung einen sehr hohen Abnahmepreis für den Strom versprochen hatte. Die Rechnung für den Traum von der Atom-Renaissance zahlen also die Verbraucher. Auf Kritik daran reagierte Wirtschaftsminister Greg Clark, indem er Toshiba und Hitachi einen niedrigeren Strompreis garantierte. Im Gegenzug war London bereit, als Investor bei den Projekten einzusteigen. Doch dies hat das Management der Firmen wohl nicht überzeugt.

Clark will nun im Sommer ein neues Finanzierungsmodell präsentieren. Das ist auch für EDF und CGN interessant, denn das Budget für Sizewell und Bradwell steht gleichfalls noch nicht. Die Chinesen verkündeten aber schon, sie könnten sich zusätzlich eine Übernahme jenes Reaktorprojekts vorstellen, das Toshiba abgebrochen hat: strahlende Aussichten für die britisch-chinesische Atompartnerschaft.

© SZ vom 22.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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