Großbritannien:Sonne statt Kohle

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Das britische Stromnetz kam über Ostern 90 Stunden lang ohne Dreckschleudern aus, ein Rekord. Aber das Königreich will auch bis zu sechs neue Atomkraftwerke bauen.

Von Björn Finke, London

Das vergangene Osterwochenende war das wärmste seit Langem im Vereinigten Königreich. Sonnenhungrige Briten aalten sich bei 25 Grad an den Stränden. Für das Stromnetz hatte das Sommerwetter ebenfalls Folgen: Der Bedarf an Strom war niedriger, zugleich lieferten Solaranlagen mehr Energie. Das Nachsehen hatten Kohlekraftwerke. Der Netzbetreiber National Grid berichtet nun, dass er mehr als 90 Stunden lang - bis Ostermontag am Nachmittag - keinen Strom von Kohlemeilern eingespeist hat. So lange hatte das Königreich nie zuvor auf Kohlestrom verzichten können. Das sei "eine wirklich große Sache", sagt National-Grid-Manager Duncan Burt zu diesem Ergebnis.

Kohlekraftwerke pusten besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre. Deswegen will die britische Regierung bis 2025 alle Meiler abschalten. Schon jetzt steuern diese Anlagen im Durchschnitt weniger als zehn Prozent der Energieversorgung bei. In Deutschland dagegen stehen Stein- und Braunkohle für ein Drittel des Strommixes.

Auch in Großbritannien war King Coal, König Kohle, lange der wichtigste Energielieferant. Kohle befeuerte im 19. Jahrhundert die industrielle Revolution und den Aufstieg zur Weltmacht. Das weltweit erste Kohlekraftwerk nahm in London seinen Betrieb auf, im Januar 1882. Doch in den vergangenen Jahren sank die Bedeutung von Kohlestrom rasant; Betreiber legten Meiler still, weil sie sich nicht mehr rechnen. Das liegt zum einen daran, dass die konservative Regierung 2013 eine Kohlendioxid-Steuer einführte. Kraftwerke müssen für den Ausstoß des Treibhausgases zahlen, und Kohlemeiler sind davon stärker betroffen als Gas- oder Atomkraftwerke. Zum anderen drückt der subventionierte Ausbau von Öko-Energie den Börsenpreis für Strom.

In Deutschland steuern schmutzige Kohlemeiler ein Drittel des Stroms bei

Bereits vor zwei Jahren kam Großbritannien einen kompletten Tag lang ohne Kohlestrom aus. Im April 2018 waren es dann gut 76 Stunden am Stück ohne Dreckschleudern. Dieser Rekord wurde am Osterwochenende eingestellt.

In den kommenden Jahren gehen aber nicht bloß die verbleibenden Kohlemeiler vom Netz. Zugleich erreichen bis 2030 sieben der acht Kernkraftwerke das Ende ihrer Laufzeit. Die Regierung will das Aus für die Kohle- und Atommeiler mit mehr grünem Strom ausgleichen, vor allem von Windkraft auf See, sowie mit neuen Gaskraftwerken - und mit bis zu sechs Atommeilern. Diese Nuklear-Renaissance stellt einen Sonderweg dar, zumindest in Europa: Seit der Katastrophe im japanischen Fukushima 2011 wird auf dem Kontinent nur noch wenig in Kernkraft investiert.

Einer der sechs Atommeiler, Hinkley Point C im Südwesten Englands, wird schon gebaut. London garantiert den Betreibern, dem französischen Stromversorger EDF und seinem chinesischen Partner CGN, einen hohen Abnahmepreis für ihre Elektrizität. Ansonsten wären die Firmen nicht bereit gewesen, die nötigen 22 Milliarden Euro zu investieren. Ob die anderen fünf Kraftwerke wirklich errichtet werden, ist hingegen offen. Ende vergangenen Jahres und im Januar zogen die beiden japanischen Unternehmen Toshiba und Hitachi bei ihren britischen Nuklearprojekten den Stecker. Die Japaner sollten drei Meiler bauen, aber sie scheuten die hohen Kosten und die Risiken, dass die Anlagen verspätet ans Netz gehen oder im Wettbewerb mit Öko-Strom nicht mithalten können.

Das französisch-chinesische Duo EDF und CGN möchte neben Hinkley Point C zwei weitere Meiler hochziehen. Allerdings steht das Budget dafür noch nicht. Wirtschaftsminister Greg Clark will in diesem Jahr ein neues Finanzierungsmodell für Atommeiler vorlegen. Offenbar sollen den Konzernen Risiken abgenommen werden - zulasten von Verbrauchern und Steuerzahlern. Die sehr spezielle britische Energiewende könnte für die Bürger teuer werden.

© SZ vom 24.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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