Großbritannien:Platz fünf. Nein, sechs

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Theresa May, 60, hat nach dem Brexit-Referendum David Cameron als Premier abgelöst. Die konservative Politikerin will nun den Antrag auf einen EU-Austritt stellen. (Foto: Carl Court/Getty Images)

Premier May preist Großbritanniens Wirtschaftskraft: Wenn ein Land so stark sei, werde es auch nach dem Brexit noch auf der Weltbühne mitspielen. Kurz darauf zieht kräftemäßig einfach Frankreich vorbei.

Von Björn Finke

Als sie ihre Rede abschloss, war die Aussage noch richtig. Doch ihre eigenen Ausführungen führten dazu, dass dies schon einen Tag später nicht mehr der Fall war. Großbritannien werde auch nach dem Brexit auf der Weltbühne mitspielen, sagte Premierministerin Theresa May am Wochenende auf dem Parteitag der Konservativen: "Und das sollte nicht überraschen, weil wir die fünftgrößte Wirtschaftsnation der Welt sind."

Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Großbritannien allerdings nur auf Platz neun; den fünften Rang hat Deutschland inne. Für diese Tabelle gleicht der Fonds Unterschiede bei der Kaufkraft der nationalen Währungen aus: ein sinnvolles und übliches Konzept, um die Wirtschaftsleistung von Ländern mit verschiedenen Währungen zu vergleichen. Auf dem fünften Platz - wie von May behauptet - liegt das Königreich nur dann, wenn die Wirtschaftsleistung in Pfund angegeben und dann in Euro umgerechnet wird. Eine eher krude Methode für Vergleiche.

Zudem rutschte Großbritannien in dieser Rangfolge nun um einen Platz ab - ironischerweise gerade wegen Mays forscher Rede. Seit Montag fällt der Kurs des Pfunds deutlich, weil Investoren an den Devisenmärkten über den harschen Ton der Regierungschefin erschrocken sind. Dadurch ist die britische Wirtschaftsleistung jetzt weniger wert als die französische: Frankreich zog am Königreich vorbei auf den fünften Platz.

Der IWF schätzt, dass britische Unternehmen in diesem Jahr Waren und Dienstleistungen im Wert von 1932 Milliarden Pfund produzieren. Der Betrag für den ewigen Rivalen Frankreich lautet 2228 Milliarden Euro. Weil das Pfund nach Mays Rede unter den Wechselkurs von 1,15 Euro fiel, ist Frankreichs Wirtschaftsleistung nun größer.

Ursache für den Absturz der Währung sind Mays Versprechen, dass Großbritannien in Zukunft nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof unterliegen und selbst über seine Einwanderungspolitik entscheiden werde. Das würde zwangsläufig bedeuten, dass das Königreich nicht am gemeinsamen Binnenmarkt der EU teilnehmen dürfte. Geschäfte über den Ärmelkanal würden für britische Unternehmen und Banken schwieriger. Das könnte Investoren verschrecken - darum sank der Kurs.

Für das laufende Jahr erwartet der IWF, dass die Wirtschaft um 1,8 Prozent wächst, schneller als in Deutschland oder Frankreich. Die Arbeitslosenquote ist trotz des Brexit-Referendums nicht gestiegen; die Industrie freut sich über den niedrigen Pfundkurs, der Exporte verbilligt. Volkswirte schätzen aber, dass Unsicherheit über die Handelsbeziehungen die Konjunktur im kommenden Jahr belasten werde. Der IWF kappte seine Prognose für 2017 auf 1,1 Prozent. Die Organisation OECD halbierte ihre Vorhersage auf ein Prozent. Frankreich könnte den frischen Vorsprung vor Großbritannien also noch länger halten.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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