Großbritannien:Gut für die Industrie, schlecht für Verbraucher

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Die Debatte um den Austritt aus der EU lässt das britische Pfund abstürzen. Manchen Unternehmen kommt das sehr gelegen.

Von Björn Finke, London

Das Thema beschäftigt auch die Finanzminister und Notenbank-Chefs der 20 wichtigsten Volkswirtschaften: Die G-20-Minister trafen sich am Wochenende im chinesischen Shanghai, und in ihrer Abschlusserklärung warnen sie unter anderem vor dem "Schock", den ein Austritt Großbritanniens aus der EU für die Weltwirtschaft darstellen würde. US-Finanzminister Jacob Lew sagte sogar, ein sogenannter Brexit gefährde die "nationale Sicherheit" Amerikas und Europas.

Starke Worte. Doch dass die Ungewissheit über das zukünftige Verhältnis des Königreichs zu EU Unternehmen, Börsianer und Investoren verunsichert, lässt sich bereits gut erkennen. So verlor das britische Pfund in der vergangenen Woche kräftig an Wert. Im Vergleich zum Dollar rutschte die Devise auf einen Kurs ab, der sich das letzte Mal in der Finanzkrise 2008 und 2009 ergeben hatte. Im Vergleich zum Euro sank das Pfund Sterling auf die niedrigste Notierung seit mehr als einem Jahr.

Der Grund für den Absturz: Anfang voriger Woche verkündete Boris Johnson, Londons exzentrischer Bürgermeister, dass er für einen Austritt Großbritanniens aus der EU werben werde. Am 23. Juni stimmen die Untertanen Ihrer Majestät darüber ab, ob das Königreich in der Union bleiben soll. Weil Johnson als der beliebteste Politiker der Konservativen gilt, fürchteten Devisenhändler und Anleger, dass dies das Risiko eines Brexit erhöhe - und verkauften die Devise. Weitere Gründe für den Kursverfall sind schwächere Konjunkturdaten und die Sorge, dass die britische Notenbank die Zinsen darum noch länger niedriger lässt als erwartet.

Jaco Rouw, Fondsmanager bei NN Investment Partners, sagt, es sei schwierig, genau zu bestimmen, welchen Anteil die Brexit-Angst am Sinken der Notierung habe: "Aber es erscheint angemessen zu schätzen, dass das Pfund deswegen vier bis sieben Prozent billiger ist."

Reisen ins Ausland werden teurer, doch die Exporteure können profitieren

Schön für die Exporteure im Königreich. Allein dank der Scheidungs-Sorgen wären ihre Waren im Ausland dann vier bis sieben Prozent günstiger. Abnehmer müssen schließlich weniger Euro oder Dollar zahlen, um Produkte made in Britain zu kaufen. Die Euro-Staaten sind der wichtigste Absatzmarkt für Firmen von der Insel, und die Betriebe litten darunter, dass das Pfund seit 2013 kräftig an Wert gewonnen hat. Damals kostete die Devise 1,15 Euro. Im vergangenen Sommer erreichte sie 1,44 Euro. Seit November sinkt der Kurs wieder und liegt nach dem Absturz von voriger Woche bei gut 1,26 Euro.

Einer der bedeutendsten britischen Exporteure ist die Auto-Industrie, aber profitieren werden etwa auch der Triebwerkshersteller Rolls-Royce oder die Modefirma Burberry, die ihre Trenchcoats und Schals weltweit verkauft. Bauern dürften im Ausland ebenfalls auf mehr Nachfrage stoßen.

Schlecht ist die Entwicklung hingegen für die Verbraucher. Reisen ins Ausland und wahrscheinlich auch Lebensmittel werden teurer. Das Königreich führt fast die Hälfte seiner Nahrung ein und muss jetzt mehr Pfund dafür aufwenden. Das könnte Einzelhandels-Ketten belasten. Besonders unerfreulich ist der Kursverfall für ausländische Supermarkt-Konzerne wie Aldi und Lidl oder Wal-Mart. Deren britische Töchter leiden nicht nur unter höheren Preisen für Importe - zugleich verringert das schwache Pfund den Wert der Gewinn-Überweisungen der britischen Tochter an die Mutterholding im Ausland.

Doch selbst die Industrie, deren Exporte vom billigen Pfund profitieren, ist über die Ursache des Kursverfalls - die Brexit-Debatte - nicht glücklich. Dank der EU-Mitgliedschaft sind Handel und Investitionen über Grenzen hinweg problemlos möglich. Würden die Bürger im Juni tatsächlich für die Trennung stimmen, wäre das Land zwar nicht sofort draußen. Die Regierung würde zwei Jahre lang mit Brüssel darüber verhandeln, welchen Bedingungen Geschäfte über den Ärmelkanal nach der Scheidung unterliegen sollen. Für die Unternehmen und Banken wären das zwei Jahre Unsicherheit über die zukünftigen Spielregeln: eine Schreckensvorstellung. Das Pfund würde wegen dieser Turbulenzen weiter an Wert verlieren.

Offenbar schieben Betriebe bereits jetzt Entscheidungen über teure Projekte auf, weil sie das Referendum abwarten wollen. So zeigen neue Zahlen des Statistikamtes, dass Firmen von Oktober bis Dezember vergangenen Jahres merklich weniger investierten: Die Volksabstimmung kostet Wachstum.

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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