Großbritannien:Brexit und Corona

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Lockdown in London: Die Bank of England rechnet mit der tiefsten Rezession seit mehr als 300 Jahren. (Foto: BEN STANSALL/AFP)

Großbritannien steht vor einer epochalen Wirtschafts­krise. Die Zahl der Arbeits­­losenanträge steigt kräftig.

Von Alexander Mühlauer, London

Es ist erst der Anfang, aber schon der verheißt nichts Gutes: In Großbritannien ist die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenhilfe so stark gestiegen wie nie zuvor. Im April verzeichnete das Statistikamt ONS einen Zuwachs von 856 000 auf 2,1 Millionen - das entspricht einem Plus von 69 Prozent. Die Zahlen zeigen, mit welcher Wucht die Corona-Krise bereits jetzt auf den britischen Arbeitsmarkt durchschlägt. "Obwohl nur die ersten Wochen abgedeckt sind, zeigen unsere Zahlen, dass Covid-19 einen großen Einfluss hat", sagte ONS-Experte Jonathan Athow. Premier Boris Johnson hatte vergleichsweise spät auf die Pandemie reagiert und erst am 23. März einen Lockdown verhängt.

Die Zahlen wären noch verheerender ausgefallen, gäbe es nicht das britische Modell der Kurzarbeit. Die Regierung bezahlt dabei 80 Prozent der Monatsgehälter von Angestellten, die in den Zwangsurlaub geschickt worden sind. Die maximale Unterstützung liegt bei 2500 Pfund (etwa 2800 Euro). Mehr als sieben Millionen Jobs werden damit zurzeit gesichert. Das Programm der Regierung soll noch bis Ende Oktober laufen - spätestens dann wird sich das volle Ausmaß der Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt zeigen.

Großbritannien steht vor einer gewaltigen Wirtschaftskrise. Die Bank of England rechnet mit der tiefsten Rezession seit mehr als 300 Jahren. Die Notenbank geht für 2020 von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 14 Prozent aus. Zum Vergleich: Die Bundesregierung erwartet für Deutschland ein Minus von 6,3 Prozent. Und als wären die Auswirkungen der Corona-Krise nicht schon heftig genug, droht den Briten am Jahresende noch ein No-Deal-Brexit. Doch davon wollte der für den EU-Austritt zuständige Minister Michael Gove bei seinem Auftritt im Unterhaus am Dienstag nichts wissen. Im Gegenteil: Er gehe davon aus, dass es ein Abkommen mit der EU gebe, auch wenn es derzeit "philosophische Differenzen" zwischen London und Brüssel gebe, sagte er.

Der Brexit, so sieht es Gove, werde Großbritannien mehr nutzen als schaden. Schließlich müsse London von 2021 an keine Milliarden mehr in den EU-Haushalt zahlen. "Wir haben dann mehr Geld, um die Arbeitslosen in unserem Land zu unterstützen", sagte er. Dass der Brexit die Wirtschaftsleistung schmälern dürfte, davon sagte Gove nichts. Auch kein Wort dazu, dass die Preise für viele Waren steigen, wenn sie aus Ländern importiert werden, mit denen London künftig keinen Handelsvertrag mehr hat. Nach dem Brexit profitieren die Briten nämlich nicht mehr von den Abkommen, die Brüssel weltweit geschlossen hat. Für diese Fälle will London einige Zölle beibehalten, etwa zehn Prozent auf Autos; insgesamt sollen aber Zölle im Wert von 30 Milliarden Pfund wegfallen.

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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